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"Mit meinem Vater verlor ich den wichtigsten Mann in meinem Leben"

Tod des Vaters: Agnes erzählt
© privat
"Ich war noch nicht bereit für eine Welt ohne ihn": BRIGITTE.de-Leserin Agnes Mazoch (34) erzählt, was der Tod ihres Vaters für sie bedeutete.

Ich war noch nicht bereit für eine Welt ohne ihn

Ich stand nicht zum ersten Mal in diesem Zimmer im Krankenhaus. In den letzten drei Monaten hatte ich aufgehört zu zählen, wie oft ich dort gewesen war. Doch dieses Mal hätte ich am liebsten einfach nur geweint und geschrien, aber ich konnte nicht. Ich brachte keinen Ton raus, geschweige denn eine Träne.

Wir alle hatten uns seit zwei Monaten darauf vorbereitet, doch diese kraftlose, von Schmerzen gebeutelte Hülle in dem Bett war nicht mehr mein Vater. Das war nicht der Mensch, an dessen Brust ich zwei Tage zuvor noch bitterlich geweint hatte, weil es nun keinen Zweifel mehr gab, dass es der letzte Moment war, in dem wir miteinander reden konnten.

Ich hatte mich schon von ihm verabschiedet, aber jetzt wurde mir klar, dass ich für eine Welt ohne ihn noch nicht bereit war. Die Zeit mit ihm war viel zu kurz gewesen. Ich wusste nicht, wie ich loslassen sollte oder konnte. Mein Verstand hämmerte mir seit Tagen ein, dass mein Vater im Sterben lag, aber mein Innerstes sträubte sich mit aller Kraft gegen diese Tatsache.

Da war dieser undefinierbare Schmerz in meinem Körper. Es fühlte sich an, als wäre mein Inneres mit einem Kochlöffel umgerührt worden.

Ich war unfähig, zu sagen, wo oder was genau wehtat, es schmerzte einfach alles. 

Ich hoffe, dass viele Töchter sagen können, dass ihr Vater der Beste ist/war. Meiner war es nicht nur für mich, sondern auch in den Augen meiner Freundinnen. Wenn ich ihnen erzählte, worüber wir redeten und was wir unternahmen, kamen Aussagen wie: „Ich wünschte, ich könnte das mit meinem Vater.“ 

Unser Verhältnis war nicht immer einfach - aber gut

Das heißt aber nicht, dass unser Verhältnis immer einfach war. Mein Vater war mein bester und schlimmster Kritiker, er setzte den höchsten Maßstab für meine Leistungen - so lang, bis ich das selbst tat und versuchte, immer ein bisschen besser zu sein als vorher.

Gleichzeitig war er die Person, die mich immer dazu angehalten hat, nicht zu vergessen, mein Leben zu genießen, wenn mich mein Ehrgeiz gerade wieder so auffraß, dass ich außer zu lernen oder zu arbeiten kaum was anderes machte. Mein Vater hat mich vielleicht nicht immer verstanden, aber er hat mich immer unterstützt, wenn er merkte, dass mir etwas wichtig war.

Als mittleres Kind habe ich immer darauf geachtet, dass sich meine Eltern keine Sorgen um mich machen mussten, ich habe vieles nicht erzählt und oft nicht um Hilfe gebeten. Mein Vater schien trotzdem immer alles zu wissen, er wusste um mein Streben nach Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, also war es keine Frage, dass er mich die beiden Male rettete, als ich ihn wirklich brauchte. 

Sein Tod riss mir den Boden unter den Füßen weg

Ich war nicht da, als mein Vater starb, ich hatte mich zwei Tage vorher verabschiedet und auch die Ärzte meinten, niemand von uns sollte das Gefühl haben, dableiben zu müssen. Dann hat die Nachricht von seinem Tod mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Als meine Mutter aufgelegt hatte, habe ich geweint und geschrien, weil Realität geworden war, wovor ich mich seit Monaten gefürchtet hatte.

Am liebsten hätte ich die Welt angehalten, denn in meiner Welt fehlte plötzlich der wichtigste Mensch, und alles sollte nur für einen Moment stehen bleiben.

Ich fühlte mich wie in einer Blase. Alles, was passierte, schien mich nicht wirklich zu erreichen. Es war, als hätte ich ein langsameres Tempo als alle um mich herum. Aber ich hatte keine Zeit, stehen zu bleiben, mein beruflicher Wechsel nach Deutschland war besiegelt, ich musste Kisten packen, Möbel verkaufen. Ich habe bei jedem Handgriff, mit dem ich meine Sachen packte, geweint.

Auf der anderen Seite hatte ich viele Gründe, jeden Morgen aufzustehen und weiterzumachen. Ich denke, deswegen hatte mein Vater so sehr darauf bestanden, dass für meinen beruflichen Wechsel vertraglich alles geregelt wird, solange es ihm noch halbwegs gut ging. Wir beide wussten, dass seine Krankheit gesiegt hatte, auch wenn ich mich nicht traute, es auszusprechen. 

Die Herausforderungen meines Neuanfangs haben dazu beigetragen, dass ich mich nicht weiter mit dem Verlust beschäftigte, aber irgendwann ging es nicht mehr. Ich hatte einen Zusammenbruch und fing an, mich mit meinem Schmerz auseinanderzusetzen. Erst jetzt, acht Monate später, kann ich anfangen, mein neues Leben zu genießen.

Agnes Mazoch (34) hat die letzten zehn Jahre in Wien gelebt. 2018 ist sie aus beruflichen Gründen nach Frankfurt am Main umgezogen.

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