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Mein Junge in der Pubertät: "Chill mal eben deine Basis, Mama!"

Mutter und Sohn diskutieren auf dem Sofa
© Monkey Business Images / Shutterstock
Er riecht meilenweit nach "Paco Rabanne", findet Schuhebinden peinlich und seine Mutter noch peinlicher: Indira Rautenbergs Sohn ist in der Pubertät. Wie es sich mit ihrem Jungen so lebt, erzählt sie in der Leserkolumne "Stimmen".

Als ich am Tag seiner Geburt meinen Sohn zum ersten Mal sah und ihn halten durfte, habe ich mich verliebt. Und ich wusste, dieses kleine Wesen würde die größte Liebe meines Lebens sein.? Was ich nicht wusste, war, dass irgendwann in unserem gemeinsamen Leben der Zeitpunkt kommen würde, an dem ich mich ständig an dieses Gefühl würde erinnern müssen, um den Kerl nicht in Grund und Boden zu stampfen.

Der kleine, süße Junge ist heute sechzehn Jahre alt und "süß" ist nicht mehr der Ausdruck, den ich heute verwenden würde, um ihn zu beschreiben. Man nehme zum Beispiel einen ganz normalen Morgen an einem ganz normalen Wochentag. Ab halb sieben renne ich die Treppe hoch und runter, um meinem Sohn mitzuteilen, dass es Zeit ist aufzustehen, es langsam wirklich Zeit ist aufzustehen, es jetzt echt knapp wird und dass er soeben den Bus verpasst hat. Der Knabe pliert mich Morgen für Morgen genervt an, murmelt etwas von "chill mal eben deine Basis", erhebt sich dann grunzend aus seiner Pubertätshöhle und schlappt ins Bad. Da ich ohnehin nicht verstanden habe, was er mir eigentlich sagen will, renne ich, über Hund und Katze stolpernd, nach unten, sammle nebenbei noch endlos viel Leergut und Schmutzwäsche ein - by the way, der Teenagerschweiß lässt mich zusätzlich erblinden - und schmiere dem jungen Mann ein Pausenbütterken, das sowieso abgelehnt wird. Pausenbrote sind nämlich so was von uncool... "Ich kauf mir lieber ’ne Minipizza... haste mal zwei Euro?!", und setze mich völlig erschöpft an den noch völlig unberührten Frühstückstisch.

Endlich Kaffee, zwar nur lauwarm, aber kalter Kaffee soll ja bekanntlich schön machen. Ich weiß nur noch nicht, ob man ihn dazu trinken oder über sich schütten sollte, aber das ist letztendlich auch egal, ich habe andere Sorgen.? Kaum erreicht die Kaffeetasse meinen Mund, höre ich oben die Badezimmertür zuknallen - psst, Papa schläft noch - und ein merkwürdiger Geschmack legt sich auf meine Zunge. Mein Sohn hat sich, völlig unberührt vom Zeitdruck, geduscht und gestylt. Damit die Frisur sitzt, braucht es Haarspray, Pomade - aber bitte die für 26 Euro, die andere hält nicht - und Gel. Wahrscheinlich noch mehr, aber ich habe mich so langsam daran gewöhnt, dass die Anzahl seiner Tiegel die meiner um Längen schlägt. Zusätzlich zum Haarstyling verbraucht der junge Mann mindestens eine Parfümflasche pro Woche und diese Duftmischung legt sich wie ein Schleier auf meine Zunge, lähmt mein Riechorgan und lässt meine Augen tränen. Sicherlich besser als der Teenagerschweiß, aber leider schmeckt halt auch mein Brötchen nach der tödlichen Mischung aus "Paco Rabanne" und Styling-Produkten. Kaum unten angekommen - eine Horde Elefanten hätte den Treppenabstieg wahrscheinlich leiser geschafft - stürmt er wieder nach oben, weil sein doofes Mathebuch fehlt. Er empfiehlt mir, diese Zeit doch zu nutzen, um den Wisch, den er vorgestern abgeben sollte, noch eben zu unterschreiben. Da es sich hierbei um einen wiederholten Tadel wegen Renitenz handelt, beschließe ich, die Autofahrt - den Bus hat er ja verpasst - zu nutzen, um meinem Sohn ins Gewissen zu reden. Dieser stürmt die Treppe wieder runter, flucht unbotmäßig und fragt mich, wo ich denn sein bescheuertes Mathebuch hingelegt habe.? Ich weise den Vorwurf empört zurück, beteilige mich aber trotzdem an der hektischen Suche und finde das Mathebuch auf der Treppe liegend. Ja richtig... wir sprechen genau über die Treppe, auf der mein lieber Sohn bereits seinen Frühsport absolviert hat.

Mittlerweile ist es so spät, dass ich mir schon überlege, wie ich des Knaben Verspätung in einem hübschen Entschuldigungsbrief erkläre, aber das Kind muss erst noch Schuhe anziehen. ?"Wo sind meine Schuhe, wo ist der Schuhlöffel und warum krieg ich die Dinger so schwer an?!" Die "Dinger" sind Turnschuhe in Größe 48,5. Ich empfehle, die Schnürsenkel zu öffnen, mein Sohn erklärt mir, dass dies doch viel zu aufwendig und völlig dämlich sei. Währenddessen fuhrwerkt er mit dem Schuhlöffel vor meiner Nase rum, bekommt einen roten Kopf vor Anstrengung und ist nach einer gefühlten Stunde endlich in seinen Schuhen. Der Schuhlöffel fliegt auf den Frühstückstisch, beim Anheben des Rucksacks fliegen Katze, Milch und Brot von eben diesem runter und dann endlich: "Mama, jetzt komm schon!!! Sonst komm ich zu spät." Der Höllenritt durch den Berufsverkehr verläuft relativ friedlich. Zum einen, weil ich zu erschöpft bin, um mit meiner Brut über sein Verhalten in der Schule zu diskutieren, zum anderen weil mein Sohn vollkommen versunken in sein Handy schaut. Ich bin mir nicht sicher, ob er so angestrengt auf sein Display schaut, um ein Gespräch mit mir zu vermeiden, aber unterdrücktes Gekicher - als ob man mit reifen sechzehn Jahren noch lachen könnte - weist mich darauf hin, dass er wirklich in den Untiefen des Internets verschwunden ist. Kurz bevor wir endlich die Schule erreichen, taucht er abrupt aus dem Handy auf und weist mich an, nach seinem Verlassen des Wagens einfach weiterzufahren... nicht winken, nichts sagen... Ich nehme an, es wäre ihm sehr recht, wenn ich mich unsichtbar machen könnte, und mein popeliges Auto obendrein. Ich bin ja sooo peinlich...

Ich halte mich an seine Anweisungen, beschließe zum zirka einhundertsten Mal, mich nicht von eben diesen verletzen zu lassen und fahre nach Hause, um wenigstens den letzten Rest meines eiskalten Kaffees zu genießen und meinen Blutdruck auf normal zu senken. ?Kaum habe ich jedoch "home, sweet home" erreicht, bimmelt mein Handy. Ich nehme ab und schon ertönt die liebliche Stimme meines Sohnes, der in den Hörer brüllt, dass er die erste Stunde frei habe... das habe er mir doch gestern Abend gesagt!! Da hätte er doch locker noch mindestens ’ne Stunde länger schlafen können!!! Völlig zwecklos, ihm jetzt zu erklären, dass es dann genauso hektisch geworden wäre. Ich wünsche ihm einen schönen Tag... tut, tut, tut, tut, tut.... und freue mich einfach auf morgen früh. Da werden wir wahrscheinlich das Deutschbuch suchen, aber sonst wird sich nichts von dem heutigen Chaos unterscheiden... Und trotzdem... isser nicht süüüüß??!!

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