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"Mein Handy quatscht dauernd dazwischen!"

Seit Lia Hermanns ein Smartphone besitzt, weicht sie ihm nicht mehr von der Seite - und "quatscht" in jedes noch so angeregte Gespräch. Macht das Handy echte Kommunikation kaputt?
Lia Hermanns, 22, macht nach anderthalb Jahren in Hamburg bald Köln und eine Männer-WG unsicher. In der Domstadt wagt sie mit einem Studium zur Online-Redakteurin einen Neuanfang. Die Zeit dort möchte sie auch mal ohne Handy genießen - aber ganz aufs Smartphone verzichten kann und will sie nicht.
Lia Hermanns, 22, macht nach anderthalb Jahren in Hamburg bald Köln und eine Männer-WG unsicher. In der Domstadt beginnt sie ein Studium zur Online-Redakteurin. Die Zeit dort möchte sie auch mal ohne Handy genießen - aber ganz aufs Smartphone verzichten kann und will sie nicht.
© Niklas Kolorz

Etwa vor drei Jahren fing sie an: die Beziehung zwischen meinem Smartphone und mir. Und da kommen wir schon zum entscheidenden Punkt: Beziehung. Man kauft sich nicht einfach ein Alltagsgerät, nein. Ab dem Zeitpunkt, an dem man dieses kleine Gerät das erste Mal in der Hand hält, geht man eine Symbiose mit ihm ein. Das Smartphone und man selbst wird unzertrennlich. Nicht, dass dies von Anfang an mein Plan war, aber wehren konnte ich mich dagegen nicht. Zu schnell ist man das dauerhafte Online-Sein gewohnt, sieht anfangs nur die Vorteile und merkt erst zu spät, was man sich da eingebrockt hat ...

Natürlich will sich jeder von dieser Handy-Abhängigkeit freisprechen, doch ich muss mir eingestehen: Auch ich bin süchtig, ohne Smartphone geht es nicht mehr. Es ist immer dabei. Schließlich erleichtert es mir oft den Alltag: Bei der Bahn-App zu schauen, wie ich nachts nach Hause komme, schnell mal was zu googeln und immer eine Kamera dabei zu haben, ist praktisch.

"Da ist schon wieder dieses anklagende Leuchten"

Die Kommunikation wurde durch das Smartphone revolutioniert. Kein umständliches Verabreden mehr zum Telefonieren, kein tagelang geplantes Treffen. Apps wie Facebook und Whatsapp haben die Kommunikation extrem beschleunigt. Wir können unseren Gesprächspartner jederzeit und überall erreichen - und erwarten auch von ihm, dass er erreichbar ist.

So ist das Smartphone mein ständiger Begleiter: Es liegt bei der Arbeit neben mir, beim Treffen mit Freunden, ja, auch beim ersten Date. Nachts fallen wir dann gemeinsam ins Bett - nein, nicht mein Date und ich, mein Smartphone und ich -, damit sein Display das erste ist, was ich morgens sehe.

Und dieses kleine Licht unten auf dem Display. Dieser verdammte kleine Punkt, der, selbst wenn das Display aus ist, bei jeder Nachricht blinkt - langsam und beständig, geradezu anklagend: "Hey, du hast eine Nachricht von einem Freund. Das kannst du doch nicht ignorieren!"

Auch bei einem spannenden Gespräch wandert mein Blick zu dem Smartphone neben mir ... und irgendwann werde ich schwach und greife, scheinbar ganz beiläufig, hinüber. Ein "Entschuldigung" geht mir dabei, wie den meisten anderen auch, nicht über die Lippen - das Handy ist längst ein selbstverständlicher Gast bei jeder Konversation.

Unter Kontrollzwang

Man ist mit dem Smartphone unbewusst eine Verpflichtung eingegangen: die Verpflichtung, immer erreichbar zu sein. Aber was passiert, wenn ich nicht ständig auf mein Handy sehe? Da sitzt nun mein Chat-Partner und ich antworte einfach nicht.

Logisch wäre, zu denken, dass ich schlicht und einfach keine Zeit habe und später antworten werde. Aber so läuft das nicht.

Es fängt mit kleinen Zweifeln an: "Entschuldige, nerve ich dich?"

Vielleicht sogar mit einer Sorge: "Du warst seit 15 Minuten nicht online, ist alles okay?!"

Auf Enttäuschung folgt Wut: "Aha, du willst also einfach nicht mit mir schreiben."

Oder: "Ignorier mich ruhig, wirst schon sehen, was du davon hast."

Und die Apps helfen einem da auch nicht gerade weiter, nein, sie unterstützen diesen Kontrollzwang sogar noch! Facebook zeigt die genaue Uhrzeit an, wann jemand eine Nachricht gesehen hat. Whatsapp hat mit den neuen, blauen Häkchen direkt drei Kontrollinstanzen: Wurde meine Nachricht abgeschickt, ist sie angekommen, wurde sie gelesen? So werden wir alle ungewollt zu Stalkern unserer Chat-Partner.

Kommen wir zum absoluten Worst-Case-Szenario: Eine Nachricht wurde gelesen, aber nicht beantwortet. "Hast du Lust auf das Konzert heute?" Aha, der andere hat die Nachricht gelesen. Warum dauert das mit der Antwort so lange? Schnell fühlt sich der Schreiber ernsthaft angegriffen. Und startet nach wenigen Minuten eine ausführliche Psychoanalyse: Die Pause wird - wie in einem realen Gespräch - als Zögern des Gesprächspartners interpretiert und die Wut setzt ein: "Wir können es auch gleich lassen, wenn du so lange darüber nachdenken musst". Frustrierend für beide Seiten, oder?

Das Smartphone, mein Konkurrent

Das Problem: Wir unterscheiden nicht zwischen realen und digitalen Gesprächen. So entstehen Missverständnisse, weil man Stimme und Mimik des anderen nicht hört oder sieht, aber in die Nachricht hineininterpretiert. Ironie wird im Chat zum Risiko und erfordert viel Fingerspitzengefühl.

Außerdem wissen wir meist nicht, mit welchen wichtigen - oder auch unwichtigen - Dingen der andere gerade beschäftigt ist. Trotzdem erwarten wir von unserem Chat-Partner immer volle Aufmerksamkeit - wie man sie eben auch bei einem echten Gespräch gerne hätte.

Ich neige dazu, häufig auf mein Handy zu schauen, bin aber unheimlich schnell genervt, wenn andere das tun. Das Handy meines Gesprächspartners wird bei einem Treffen zu meinem Konkurrenten. Es ist ein Indikator für meinen Unterhaltungswert: Wieso kontrolliert er ständig seine Whatsapp-Nachrichten? Bin ich so langweilig, dass er woanders Unterhaltung sucht? Schaut mein Gegenüber mal eine halbe Stunde nicht auf sein Handy, durchströmen mich hingegen geradezu Glücksgefühle - heute scheine ich besonders unterhaltsam zu sein.

Knigge würde vermutlich beim Anblick unserer heutigen Kommunikation die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Wir wollen alles - am besten gleichzeitig. Aber man kann eben nicht überall gleichzeitig und mit jedem verknüpft sein, dadurch verlieren alle Gespräche - die realen wie digitalen - an Qualität.

Wir brauchen einen Smartphone-Knigge

Wir mögen zwar multitaskingfähig sein, aber im Café mit der besten Freundin ihre Beziehungsprobleme zu diskutieren, gleichzeitig einem Freund bei Whatsapp zu erzählen, was man am Wochenende gemacht hat, und beiden die verdiente Aufmerksamkeit zu schenken - das kann niemand. Das Smartphone stört mit seiner unhöflichen Art die Konversation. Ein Smartphone-Knigge, vielleicht ist es genau das, was wir brauchen: Regeln, damit das Handy nicht mehr stört.

Eine erste Regel könnte sein: sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Auf den Zauber, den ein reales Gespräch unter vier Augen hat, das nicht gestört wird. Auf die einfachen und doch so schönen Dinge im Alltag, die es verdient haben, beachtet zu werden - und damit meine ich jetzt nicht dieses kleine Blinken auf dem Handy-Display ...

Fotos: ImageZoo/Corbis

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