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Verloren in einem Strom aus Möglichkeiten, Chancen und Risiken - wie finde ich meinen Platz im Leben?

Johanna, 23 Jahre alt und Studentin der Romanistik, ist immer auf der Suche: nach spannenden Geschichten, neuen Erlebnissen sowie den kleinen und großen Momenten des Alltags. Wenn sie nicht gerade in ein Buch vertieft oder Gespräch verwickelt ist, hält sie sich am liebsten am Meer auf. Über ihre Wahlheimat Stadt Rostock bloggt sie ab sofort auf Ahoirostock.
Johanna, 23 Jahre alt und Studentin der Romanistik, ist immer auf der Suche: nach spannenden Geschichten, neuen Erlebnissen sowie den kleinen und großen Momenten des Alltags. Wenn sie nicht gerade in ein Buch vertieft oder Gespräch verwickelt ist, hält sie sich am liebsten am Meer auf. Über ihre Wahlheimat Stadt Rostock bloggt sie ab sofort auf Ahoirostock.
© Privat
Mit Anfang 20 steht einem alles offen - was es für Johanna nicht leichter macht, ihren Platz im Leben zu finden. Wie sie verzweifelt versucht, aus den Erwartungen der anderen, den Widersprüchen in sich selbst und der Fülle der Möglichkeiten das eigene Ich herauszufiltern, erzählt sie in der Leserkolumne "Stimmen".

Soweit ich mich zurückerinnern kann, befand ich mich immer schon auf der Suche nach etwas: Waren es als Kind aber noch recht triviale Dinge, wie mein liebstes Kuscheltier oder ein Spielpartner, wurde die Suche mit den Jahren immer komplexer. Ich suchte nach Beschäftigungen, die mich ausfüllten, Menschen, bei denen ich mich fallen lassen konnte, nach intensiven Momenten, der großen Liebe und den vielen kleinen. So unterschiedlich die Motive auf den ersten Blick erscheinen, beinhalten sie im Grunde doch alle den gleichen Kern: die Suche nach mir selbst und meinem Platz in der Welt.

"Wo blieb das kleine Mädchen mit den Zöpfen...Dem blauen Schulkleid mit den Perlmuttknöpfen, - Auf Zehenspitzen seine stumpfe Nase Noch stumpfer pressend an dem Spiegelglase, Um, wie ? s der alten Köchin einst geschehen, Das ferne Bild der Zukunft drin zu sehen... Oh, Spieglein, Spieglein an der Wand, Wohin hast du das Kind verbannt?" - Mascha Kaléko

Ich bin 23 Jahre alt, stamme aus ganz gutem Hause, studiere, mache manches richtig und manches falsch, aber komme doch ganz durch das Leben. Es gibt viele gute Momente, in denen ich das Gefühl habe, stark zu sein und das Abenteuer Erwachsenwerden schon irgendwie zu meistern. Doch es gibt auch die anderen Momente, die mich meistens befallen, wenn ich allein bin und an das Morgen denke - dann fühle ich mich verwundbar, verloren in einem Strom aus Möglichkeiten, Chancen und Risiken und weiß nicht, wer ich bin und was ich möchte.

"Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich - aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wär man nie dabei gewesen." - Ödon von Horvath (Kasimir und Karoline)

Ich glaube, am meisten habe ich Angst davor, mein Leben lang diese Leere als einen Teil in mir zu tragen und nie etwas zu finden, was sie ausfüllt. Wie einen Schlüssel, zu dem ich nicht das passende Schloss finde. Mein Innerstes erscheint mir oft wie ein Sammelsurium aus Gedanken und Wünschen, die sich gegenseitig im Wege stehen und mir die Sicht auf den eigenen Weg versperren. So träume ich einerseits davon, einmal eine eigene Familie zu gründen, ein beschauliches und gutes Leben zu haben, eine Arbeit auszuführen, die mir gefällt, mir aber auch die Freiheit lässt, daneben ein ausgefülltes Privatleben zu besitzen. Gleichzeitig runzel ich oft die Stirn über Paare, die seit der Schulzeit schon zusammen sind, der Gedanke, mich jetzt schon für einen Lebensweg zu entscheiden, bereitet mir Unbehagen, nach wie vor fasziniert mich alles Außergewöhnliche und doch fühle ich mich meistens im Durchschnitt am wohlsten. Ich kann vieles ein bisschen, bin schnell für eine Sache zu begeistern und bin nicht so gut darin, etwas zu Ende zu bringen. Meine Lebenshaltung ändere ich so regelmäßig wie meine Haarfarbe, und vielleicht ist es ja vor allem die Geduld, die mir zurzeit so fehlt. Einfach mal die Dinge auf mich zukommen zu lassen, anstatt alles einzufordern, und immer zu erwarten, dass es das Herz etwas schneller schlagen lassen muss, um es als gut zu befinden.

"Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu." - Ödon von Horvath

Ich glaube fest daran, dass jeder Mensch mehrere, verschiedene Persönlichkeiten in sich trägt und in verschiedenen Lebensformen glücklich werden kann. Aber wie findet man heraus, welche Art am besten zu einem passt? Manchmal wünsche ich mir, mein aktuelles Leben wie ein Paar ausgetretener Schuhe von mir abstreifen und durch ein neues Modell ersetzen zukönnen, um zu merken, was wirklich zu mir passt. Heute Tarnkappe und morgen Kampfanzug. Lange Zeit habe ich mich selbst vor allem in der Meinung anderer, auf Fotos und in Spiegelbildern, meinen Tagebüchern und in der Lebensgeschichte meiner Eltern gesucht und Inspiration in den Biografien von interessanten Menschen gefunden. An manchen Tagen besaß ich Romy Schneiders Leidenschaft und an anderen Dorothy Parkers spitze Stimme. Was das genau über mich aussagt, weiß ich nicht, doch ich behalte mir vor, meine Tagträume als ebenso festen Part meiner Persönlichkeit zu zählen, wie meine ausgeführten Taten. Sagen Träume schließlich nicht viel mehr über uns aus? Entspringen sie doch unserem Innersten und sind frei von den Erwartungen anderer. Vielleicht bedarf es auch nur einer neuen Perspektive, um die Dinge etwas klarer zu sehen. Wieso uns nicht selbst einfach mal wie durch ein Kaleidoskop betrachten? Ich bin die Summe meiner Einzelteile, und wie es vielleicht nicht nur eine Persönlichkeit gibt, existiert auch nicht nur ein Lebensweg.

"Wir müssen nur wollen / Wir müssen nur wollen / Wir müssen nur Muss ich immer alles müssen was ich kann eine Hand trägt die Welt die andere bietet Getränke an." - Wir sind Helden

Womöglich lautet die Zauberformel, schlichtweg die Dinge auszuprobieren, den Mut zu haben, auch mal eine falsche Entscheidung zu treffen und im Idealfall sogar aus den Fehlern zu lernen. Ebenso sollte man sich auch das Recht nehmen, sich von der Erwartungshaltung des eigenen Umfelds abzugrenzen, und bereit sein, manche Tür hinter sich zu schließen. Denn obwohl uns die Generation unserer Großeltern und zum Teil auch unserer Eltern zu Recht zu unserer Unabhängigkeit und den damit verbundenen Freiheiten beglückwünschen, fällt es mir schwer, diese große Auswahl als reines Glück anzuerkennen. Dir steht die ganze Welt offen, du kannst so vieles machen - mittlerweile empfinde ich diese wohl gemeinten Kommentare als reine Last. Was, wenn ich gar nichts besonders machen möchte? Wenn ich mit einem 08/15-Job zufrieden bin, mir nie ein Tattoo stechen lassen, nie ein Jahr lang durch Asien reisen werde? Dann ist das vermutlich genauso gut und für mich der richtige Weg.

"Ich kreise um Gott, um den uralten Turm, und ich kreise jahrtausendelang; und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang." - Rainer Maria Rilke

Vielleicht werde ich später auf diese Lebenszeit zurückblicken und über mein ungestümes Wesen milde lächeln, während ich gleichzeitig diesem Pool an noch möglichen Lebensweisen etwas hinterher trauern werde. Oder aber ich werde einfach froh darüber sein, dass sich mit der Zeit automatisch manche Tür von selbst geschlossen hat und alles so gekommen ist, wie es sollte.

Vermutlich sollte ich es mit der Zukunft aber auch einfach wie Jack Kerouac halten: "Denn der einzige Grund für das Leben oder eine Geschichte ist doch: Was passiert als nächstes?"

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