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Aufgeklärt Wie es ist, keine sexuelle Anziehung zu spüren

Aufgeklärt: Wie es ist, keine sexuelle Anziehung zu spüren
© Symbolfoto: Artem Furman / Shutterstock
Immer wieder erlebt Fiammetta de Bornelh*, wie wenig andere mit ihrer Asexualität anfangen können. Hier erklärt sie, was es bedeutet, wenn sie sagt "Ich bin asexuell" - und was nicht.

Sexuelle Anziehung kenne ich nicht

"Ich habe keinen Führerschein." - "Macht nichts, zu mir kommst du ganz leicht mit dem Bus." "Ich esse nicht gern Eis." - "Ernsthaft? Aber egal, in dem Café gibt es auch Waffeln." "Ich bin asexuell." - "Was bist du? Du meinst, du findest Sex schlecht? Du kannst keine Lust empfinden?" Nein - ich habe gerade meine sexuelle Orientierung genannt. Ich sehe, du hast wie die meisten Menschen noch nicht davon gehört. Setz dich kurz hin und nimm dir eine Tasse deines bevorzugten Getränks, ich erkläre es dir.

Wenn eine Person sich als asexuell bezeichnet, bedeutet dies, dass sie sich von keinem Geschlecht sexuell angezogen fühlt. Sexuelle Interaktion wird je nach Person als schrecklich, langweilig oder ganz nett, aber im Grunde überflüssig empfunden. Übrigens: Achtung, hierunter fällt nicht nur heterosexuelle Penetration, sondern noch eine ganze Menge mehr!

Von der sexuellen Orientierung unterschieden werden muss die romantische, die besagt, in welches Geschlecht oder welche Geschlechter sich die Person verliebt und mit wem sie sich eine Liebesbeziehung vorstellen kann. An die bekannten Präfixe hetero, homo, bi etc. wird statt ein -sexuell einfach ein -romantisch angehängt und fertig ist die Identitätsbezeichnung. An dieser Stelle wollen wir die aromantischen Menschen nicht unerwähnt lassen, die keine Verliebtheit empfinden und keine klassische Zweierbeziehung anstreben. Wiederum Achtung! Dies bedeutet nicht, dass sie gefühllose Roboter sind! "Und was bist du?" - Wer, ich? Biromantisch.

Da wir uns gerade im Modus "Achtung, nicht dies mit jenem verwechseln" befinden: Es gibt eine ganze Menge Dinge, mit denen Asexualität gern verwechselt wird - zölibatäre Lebensweise, grundsätzliche Ablehnung alles Sexuellen, sexuelle Funktionsstörungen, Angst vor Sex aufgrund von schlechten Erlebnissen, Unfähigkeit, eine/n Partner/in zu finden...

Asexualität bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass eine Person nie in ihrem Leben Sex hat (wie oben erwähnt, ist dies ja für manche Asexuelle durchaus machbar), ist keine Entscheidung und hat auch keine bestimmte Ursache. Selbstverständlich können Asexuelle genau wie alle anderen Menschen von Krankheiten betroffen sein, dem vorherrschenden Schönheitsideal nicht entsprechen und so weiter, aber dies ist dann ganz unabhängig von ihrer Orientierung der Fall.

Sex ja - aber bitte nur alleine

Und, ach ja, viele Asexuelle kennen das Gefühl sexueller Erregung, möchten dieses jedoch nicht gemeinsam mit einer anderen Person ausleben. Die Libido nicht asexueller Menschen richtet sich auf andere; die Libido asexueller Menschen hat keine Richtung, kein Ziel. Wenn man sich als asexuelle Person outet, muss man in den meisten Fällen erst einmal eben diese Erklärungen abspulen. Da dies mühsam ist, oute ich mich im Gespräch mit irgendwelchen Leuten seltener als ich dies tun würde, wenn ich lesbisch wäre. Ansonsten habe ich es aber recht gut.

Ich bin in relativ jungen Jahren (mit 21) auf die deutsche Version des Asexual Visibility and Education Network (AVEN) gestoßen und konnte mich im angeschlossenen Forum mit anderen asexuellen oder am Thema interessierten Menschen austauschen. Daher blieb es mir erspart, zu glauben, ich sei die einzige Person auf der Welt, die so empfindet, oder bei mir sei irgendetwas kaputt. Dies ist eine Phase, die viele Asexuelle durchmachen und die sehr lange dauern kann.

Was mich konkret ins Forum geführt hatte? Ich war damals unglücklich in einen Freund von mir verliebt und in meinem Freundeskreis verstand mich niemand, wenn ich sagte, ich hätte tiefe Gefühle für ihn, könnte mir aber nichts Sexuelles mit ihm vorstellen. Bei AVEN fand ich das ersehnte Verständnis und jede Menge interessante Informationen.

Sex ist für mich fremd, umständlich, absurd

Wenn man mich heute, etliche Jahre später und um ein paar Erfahrungen reicher, fragt, wie ich persönlich Sex empfinde, kommen mir als erstes die Adjektive "fremd", "absurd" und "umständlich" in den Sinn - bei bestimmten Praktiken kommt noch "eklig" hinzu.

Die etwas abstrakte Definition "kein Verspüren von sexueller Anziehung" würde ich auf mich selbst bezogen so veranschaulichen: Mir fehlt die Motivation, mit sexuellen Dingen anzufangen, ich erreiche niemals den Punkt, an dem so etwas sich für mich logisch und natürlich anfühlt. Wenn ich an sexuellen Handlungen teilhabe, ist es immer ein "Mitmachen" und etwas, das ich für die andere Person tue - selbst brauche ich es nicht.

Einige engagierte Menschen aus dem deutschsprachigen AVEN-Forum, zu denen ich mich selbst zählen darf, wollten irgendwann mehr als virtuelle Diskussionen und regionale Stammtischtreffen in der Kneipe: Mehr Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit zeigen hieß die Devise.

Meine Berufung: Für asexuelle Sichtbarkeit kämpfen

Im Jahre 2012 wurde der Verein AktivistA gegründet, der in seinem jungen Leben schon bei einigen CSD-Straßenfesten in Süddeutschland mit Infoständen vertreten war. In Berlin bin ich in den vergangenen Jahren mit einigen anderen motivierten Menschen bei CSD-Paraden mitgelaufen, um Schildchen mit lustigen Sprüchen zu präsentieren, Flyer zu verteilen und Fragen zu beantworten.

Die Autorin: Fiammetta de Bornelh*, 31, arbeitet als Übersetzerin. Sie liebt Sprachen und ist stets auf der Suche nach musikalischen und literarischen Schätzen. Asexuelle Sichtbarkeit liegt ihr am Herzen. Über all dies bloggt sie auf Fructusdulces.
Die Autorin: Fiammetta de Bornelh*, 31, arbeitet als Übersetzerin. Sie liebt Sprachen und ist stets auf der Suche nach musikalischen und literarischen Schätzen. Asexuelle Sichtbarkeit liegt ihr am Herzen. Über all dies bloggt sie auf Fructusdulces.
© privat

Ich übertreibe nur ein bisschen, wenn ich sage, dass das Egagement für asexuelle Sichtbarkeit für mich eine Berufung ist. Asexuelle Menschen haben in unserer Gesellschaft viele Probleme (Ablehnung, "Das gibt es doch gar nicht", schlimmstenfalls Pathologisierung), aber dagegen lässt sich etwas tun. Aufklärung löst nicht alle Probleme, aber manche schon.

Wenn sich eine Person an einem unserer Infostände für die Informationen bedankt und sagt, sie sei jetzt schlauer als vorher, freut mich das jedes Mal sehr. So hoffe ich, dass ich auch dich schlauer gemacht habe.

*Pseudonym; der Name ist der Redaktion bekannt.

Info: Was bedeutet Asexualität?

Aven-info.de definiert Asexualität so: "Asexualität hat nichts mit Ekel oder einer Abneigung gegen Sex zu tun, sondern bedeutet lediglich, dass kein Verlangen nach sexueller Interaktion vorhanden ist!

Asexuelle Menschen sind nicht "verklemmt", haben Missbrauchs­erfahrungen in der Kindheit oder Jugend gemacht oder leiden an einer Krankheit oder seelischen bzw. organischen Störung.

Asexualität ist keine bewusste Entscheidung wie sexuelle Enthaltsamkeit oder das Zölibat. Asexualität ist am besten mit einer sexuellen Orientierung vergleichbar und wird von uns daher auch so gesehen."

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