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Tabu Selbstbefriedigung: "Es war, als hätte ich endlich die Erlaubnis, mir selbst Lust zu verschaffen"

Nila E. Sebastian musste 74 Jahre alt werden, um zu realisieren: Es ist in Ordnung, sich selbst zu befriedigen. Seither genießt sie ihre Sexualität mehr denn je - mit ihrem Mann, aber auch allein. Wieso sie es schade findet, dass "Selbstliebe" noch immer ein Tabu ist, erzählt sie in den "Stimmen".

Allgemein gilt, dass Solosex in einer guten Partnerschaft nicht unbedingt einen Platz hat. Das mag für einen Mann gelten, wenn er dabei ejakuliert, bei einer Frau erhöht die Selbstliebe aber eher die sexuelle Erlebnis- und Genussfähigkeit. Doch die wenigsten Frauen reden darüber. Meine Erfahrungen mit der Selbstliebe ziehen sich über ein langes Leben hin. In den Jahren ohne festen Partner erlebte ich zwar Orgasmen mit mir selbst, den Freudenfluss und einen besonderen Geschmack auf der Zunge. Aber es hatte immer den Geruch von etwas Verbotenen, obwohl ich Filme von Betty Dodson und Lonny Barbach gesehen hatte. Auch fühlte ich mich oft traurig, weil ein Mann an meiner Seite fehlte.

Im Sommer 1978 fand ich meine große Liebe, einen 14 Jahre jüngeren Mann. Kaum jemand gab unserer Partnerschaft eine Zukunft. Doch wir sind immer noch ein Paar und seit Nikolaus 2001 verheiratet. Ich genoss die Sexualität mit meinem Liebsten, war aber nach der Selbstliebe, obwohl er mich dazu ermunterte, oft in einem Gefühlszustand, den ich nicht mochte. So gingen die Jahre dahin. Ich musste 74 werden, bis sich das änderte. Der Satz von Doris Christinger in einem Interview in der Brigitte Woman, "... die besten Orgasmen hat eine Frau ohnehin mit sich allein. Solo-Sex ist kein Ersatz-Sex, bei dem Frau sich einsam oder schuldig fühlen muss, sondern echte, bewusst zelebrierte Lust - sehr gute Nahrung für sinnliche Ausstrahlung im Alltag", eröffnete mir eine völlig neue sexuelle Dimension. Es war, als hätte ich endlich die Erlaubnis erhalten, mir selbst Lust zu verschaffen. Wie Doris Christinger es in ihrem Buch "Auf den Schwingen weiblicher Sexualität" Frauen vorschlägt, in Selbstlieberitualen ihren Körper zu erkunden. Ohne Vibrator, mit reichlich Gleitgel nicht nur die Klitoris zu stimulieren, sondern den ganzen Vulva- und Vaginalbereich zu berühren, ohne sich allein auf den Orgasmus zu konzentrieren.

Eigentümlich fand ich nur, dass es zu diesem Thema bei "Brigitte Woman" online keinen einzigen Kommentar gab. Ist Selbstliebe das letzte Tabu? (Ich mag den Begriff Masturbation nicht. Er wird auch als "Schändung mit der Hand" gedeutet.) Ich hatte gerade nach langen Jahren die Hormone abgesetzt und Angst, dass die Lust, wie damals in den Wechseljahren, wieder versiegte. Doch das Gegenteil geschah. Ich spürte (vielleicht infolge einer Behandlung der überaktiven Blase?) eine stärkere sexuelle Lebensenergie in meinem Körper als jemals zuvor.

Seitdem sind vier Jahre vergangen und die Sexualität ist für uns immer noch die Quelle der Lebensenergie. Die Sicherheit in unserer Partnerschaft trägt dazu wesentlich bei. Bietet sie doch den Spielraum, uns immer wieder neu zu erfahren und einander ohne Scheu hinzugeben. Wir haben nach einigen Tantra-Trainings unseren eigenen Weg gefunden. Obwohl wir uns für alles viel Zeit lassen, ist Slow Sex nichts für uns. Bevor wir uns lieben, stimmen wir durch gegenseitige, sanfte Massage unsere Körper und Seelen aufeinander ein. Und danach stellen wir jedes Mal fest, dass unsere Begegnung wieder so beglückend und ganz anders war als alle vorhergehenden. Das hält die Neugier aufeinander wach.

Für mich ist es immer noch sehr wichtig, dass ich unabhängig von meinem Partner Lust erlebe. Meine Erfahrungen dabei unterscheiden sich von dem, was Betty Dodson praktiziert. Der Vibrator bleibt in der Schublade. Er vermindert die feinen Empfindungen beim Sex, nicht nur mit einem männlichen Partner. Eine Stimulation kann auch ohne Vibrator geschehen. Meistens habe ich bei der Selbstliebe innerhalb einer Viertelstunde einen Orgasmus, der durch den ganzen Körper bis unter die Augen geht. Kreuzweh und andere Schmerzen verschwinden. Als vor zwei Jahren trotz vorhandenen Verlangens buchstäblich die Luft entwich, haben wir ohne Viagra die Kurve gekriegt. Ich konnte geduldig warten, bis die Flaute vorüber war, weil mein Körper keinen Mangel leiden musste.

Teaserbild: Randy Faris/CORBIS

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