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Alptraum Fehlgeburt: Mein Bauch gehört mir!

Nadine Baur (35) hat den Alptraum einer jeden Schwangeren erlebt. Noch heute wird sie von den Erinnerungen verfolgt - und fordert ein umfassendes Recht auf Aufklärung und Selbstbestimmung im Falle einer Fehlgeburt.
Nadine Baur, 35, ist Mutter einer vierjährigen Tochter. Sie hat die Elternzeit mit einem Masterstudium im Bereich Marketing verknüpft und ist zurzeit auf Jobsuche.
Nadine Baur, 35, ist Mutter einer vierjährigen Tochter. Sie hat die Elternzeit mit einem Masterstudium im Bereich Marketing verknüpft und ist zurzeit auf Jobsuche.
© Nadine Baur

Ich habe das große Glück, in einer Zeit aufgewachsen zu sein, in der eine Frau über ihren eigenen Körper bestimmen kann. Wäre ich ungewollt schwanger geworden, hätte ich gewusst, wer mich berät und welche Möglichkeiten ich habe. Im Falle eines Falles hätte ich entscheiden können, was mit meinem Bauch passiert.

Tatsächlich wurde ich erst schwanger, als ich dies auch wirklich wollte. Als ich in der sechsten Woche Blutungen bekam, verschrieb mir meine Frauenärztin Hormone - über eine mögliche Fehlgeburt verlor sie kein Wort. Ich wusste nichts über Fehlgeburten. Daher ging ich, als die Blutungen wiederkamen, in die nächste Klinik. Irgendjemand würde mir und meinem Kind schon helfen können.

Fehlgeburt - Alptraum in der Klinik

Als kein Embryo gefunden wurde und ich stationär aufgenommen wurde, dämmerte mir langsam, dass etwas nicht stimmte. Allerdings hatte ich keine Vorstellung davon, was einer Frau in einer deutschen Klinik blühen kann, wenn sie nicht das Glück hat, an einen netten Arzt zu geraten. Als auch am nächsten Tag kein Embryo entdeckt wurde, erfuhr ich es. Mit der Diagnose hatte der Herr Doktor auch schon die Lösung parat: Ausschabung.

Zu diesem Zeitpunkt verstand ich kaum, was um mich herum geschah. Ich stand unter Schock und musste erst einmal begreifen, dass mein Traum vom Muttersein ein jähes Ende gefunden hatte. Wie in Trance fand ich den Weg zurück zur Station. Statt mich zu trösten, als ich unter Tränen „Ausschabung“ stammelte, fragte mich eine der Schwestern, was denn bitte so schlimm daran sei. Ich war mit den Nerven am Ende, floh auf mein Zimmer und weinte.

Aufklärung? Fehlanzeige

Erst Wochen nach der Operation fragte ich mich, warum mir die Notwendigkeit einer Ausschabung nicht erläutert wurde. Warum wurde mir der Aufklärungsbogen mit den Worten "das müssen Sie nicht lesen" überreicht? Keine Zeit für Fragen, keine Zeit, dem Narkosearzt von meiner panischen Angst vor einer Operation zu erzählen. "Denken Sie an was Schönes", weg war ich.

Als ich wieder zu mir kam, fühlte ich sofort, dass es falsch war, nicht dabei gewesen zu sein, als mein Kind aus mir herausgeschabt wurde. Kurz nach Mitternacht bekam ich Heulkrämpfe: Das Gefühl, dass mein Bauch plötzlich leer war, war unerträglich. Und es war keiner da, der mich tröstete. Völlig erschöpft schlief ich ein. Wach wurde ich erst, als die Nachtkrankenschwester meinen Slip herunterzog und ihren Kopf zwischen meine Beine steckte.

Herzlichen Glückwunsch!

Am nächsten Tag erklärte mir der Arzt triumphierend, dass ich wieder schwanger werden könnte. Ich war ehrlich erstaunt - bis zu diesem Zeitpunkt war mir nicht klar gewesen, dass meine Fruchtbarkeit überhaupt auf dem Spiel stand. Viel später erfuhr ich, dass dieser Arzt damals noch gar nicht wissen konnte, ob ich jemals wieder ein Baby bekommen könnte. Hätte ich das Asherman-Syndrom davongetragen, wäre dies erst später aufgefallen.

Folgen der Behandlung

Endlich wieder daheim, habe ich tage- und nächtelang geweint, geschrien und mich blutig gekratzt. Ich war unendlich traurig, dass ich mein Kind verloren hatte. Aber das Schlimmste waren die Bilder von der Operation, die mich das Geschehene immer und immer wieder erfahren ließen. Als Zuschauer sehe ich, wie ich bewusstlos auf den gynäkologischen Stuhl verfrachtet werde. Wie gesichtslose Ärzte mir die Beine unter dem grellen Licht der OP-Lampe auseinanderdrücken, ihre Instrumente in meine Vagina einführen und mein Kind aus meinem Bauch herauskratzen. Ich schäme mich, dass ich so vor wildfremden Menschen liegen muss und fühle mich so ekelhaft. Auch der Moment, in dem mir die Krankenschwester mitten in der Nacht den Slip herunterzieht, hat sich eingebrannt.

Ich bekam Angst vor dem Schlaf, weil die Bilder und Alpträume nicht kontrollierbar sind. Sie verfolgen mich bis heute, fünf Jahre später – auch tagsüber. Sie kommen zum Beispiel, wenn ich ein Krankenhaus sehe oder wenn in einem Film operiert wird. Oder wenn ich Sex habe.

Ist gute Beratung Glücksache?

Heute weiß ich, wie naiv ich gewesen bin, den Ärzten blind zu vertrauen. Ich lese von Frauen, die sich gegen eine Ausschabung gewehrt haben. Deren Ärzte die Möglichkeit aufgezeigt haben, auf die Natur zu vertrauen. Ich lese von der medikamentösen Einleitung. Auch kann eine Ausschabung ambulant und unter Teilnarkose durchgeführt werden. Werden diese Alternativen zu oft verschwiegen, weil eine Operation wirtschaftlich lukrativer ist?

Frauen mit einer Fehlgeburt haben hierzulande offenbar kein Recht auf ausführliche Aufklärung und Beratung. Die deutsche Standardbehandlung bei einer Fehlgeburt ist die Ausschabung. Dabei birgt sie hohe Risiken und ist nur in einem Teil der Fälle wirklich notwendig. Das bedeutet für Fehlgebärende, dass sie sich im Zweifel selbst über alternative Behandlungsmöglichkeiten sowie ihre Rechte (z. B. Anspruch auf Hebamme, Bestattung) informieren müssen.

Jede Frau hat das Recht auf Information und Beratung. Sie muss sich gemeinsam mit ihrem Arzt für die für sie geeignete Methode entscheiden dürfen. Nur wenn mehr Frauen dieses Recht einfordern, kann es auch im Falle einer Fehlgeburt heißen: Mein Bauch gehört mir!

Teaserbild: Jamie Grill/Tetra Images/Corbis

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