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Meine Erfahrung als Geliebte - wie es ist, die andere zu sein

Er machte ihr die schönsten Komplimente, die sie je gehört hat. Aber sagte auch: Ich brauche euch beide, dich und meine Ehefrau. Als Susanne sich in einen verheirateten Mannes verliebte, ahnte sie nicht, wie sehr das ihr Leben durchrütteln würde. In der Leserkolumne "Stimmen" erzählt sie von ihrer Gefühlsachterbahn als Geliebte - und einer unsanften Landung.
Susanne S., 40, ist in einer Kleinstadt in der Nähe von Stuttgart geboren und aufgewachsen. Sie hat einen Beruf, der ihr Spaß macht, ist viel gereist und Mutter einer sechsjährigen Tochter.
Susanne, 40, hat einen Beruf, der ihr Spaß macht, ist viel gereist und Mutter einer sechsjährigen Tochter.
© Privat

Hier bin ich: Ex-Geliebte und Familienzerstörerin, selbsternannte Hobbypsychologin und Ehetherapeutin. Fast ein Jahr war ich die Geliebte eines verheirateten Familienvaters. Wie ich heute weiß, die "beste Gesellschaft", in der sich aktuell Tausende von Männern und Frauen befinden.

Nachdem ich mich selbst aus meiner langjährigen Beziehung gelöst hatte, hatte ich nach zwei Jahren das Alleinsein satt. Irgendwann leitete mir eine Freundin eine E-Mail samt Telefonnummer weiter. Es war ihr Arbeitskollege von nebenan, dem wir samt Ehefrau ein paar Wochen zuvor in einer Disco über den Weg gelaufen waren.

Was wollte er von mir? Gehörte das etwa zu den Dingen im Leben, die ich noch tun sollte: ein One-Night-Stand oder die Affäre mit einem verheirateten Mann? Aber was ist mit der Solidarität gegenüber allen liierten Frauen - war ich nicht einst auch eine von der anderen Seite, der dies hätte passieren können? Der Reiz war größer, ich antwortete auf seine E-Mail.

Schon nach der dritten E-Mail hatte ich mich virtuell in ihn verliebt. Unsere Nachrichten waren eine Mischung aus Witz, Ironie, Sarkasmus und Erotik. Nach einer Woche stand er plötzlich vor meiner Wohnungstür, samt Rosenstrauß. Es war ein sonniger Wintertag, den wir gemeinsam verbrachten. Als er mich nach Hause fuhr, fragte ich ihn, ob er noch auf einen Kaffee mitkommen wolle, aber er lehnte ab. Er gestand mir, dass er erst offen und ehrlich zu seiner Ehefrau sein möchte und ihr von uns erzählen will. Trennt er sich wirklich ernsthaft von seiner Frau? Ich war mehr als beeindruckt.

Da war es, das Gefühl, das einem beinahe den Verstand raubt und das Herz eine Millisekunde schneller schlagen lässt als sonst. Er machte sein Versprechen wahr und offenbarte unser Verliebtsein seiner Frau. Ich war wohl genauso geschockt wie sie. Ist er sich sicher, was er da tut? Wollen nicht alle verheirateten Männer nur ein bisschen heimlichen Spaß haben? Ein Volltreffer, dachte ich, er meint es wohl wirklich ernst. Dabei war es nur der Beginn einer rasanten Gefühlsachterbahnfahrt, bei der wir alle hintereinander im Wagen saßen. Er, seine Ehefrau und ich.

Nach wenigen Monaten waren wir emotional wund bis auf die Knochen. Wie hoch ist der Leidensdruck in seiner Ehe? Steckt er nur in einer Midlife-Crisis oder liebt er mich wirklich? Wie konnte es dazu kommen, dass er sich fremd verliebte? Fragen über Fragen, intuitiv verfolgte mich ein ständiges Misstrauen. In eine glückliche, harmonische Beziehung tritt keine "dritte" Person von außen ein, dachte ich. Anstatt sich seinen Problemen zu stellen, lief er davon, trieb Sport und kontaktierte mich, anstatt mit seiner Frau über seine Sehnsüchte und Wünsche zu reden.

Als Geliebte wird man nicht geboren, dazu wird man gemacht. Böse Zungen behaupten, dass diese Frauen keinen Mann mehr bekommen und sich deshalb regelrecht verheirateten Männern an den Hals werfen. Die Wahrheit ist: Meist gehören sie zur Sorte der selbstbewussten Frauen. Sie verlieben sich in diesen Mann. Es ist eine Art Liebe, die nichts mit partnerschaftlichem Empfinden zu tun hat. Mit der Ehefrau teilt er eine langjährige Bindung, eine Sicherheit, den Alltag.

Kompensiere ich nun nur ein Gefühl oder ist es tatsächlich Liebe? Verlieben heißt projizieren, sich verdammt gut fühlen, und wenn es auf Gegenseitigkeit beruht, könnte daraus Liebe werden. Dazu muss die Liebe allerdings gelebt werden. Liebe ist nicht das, was man fühlt, sondern das, was man daraus macht.

Bei drei Millionen Geliebten in Deutschland (von der Dunkelziffer mal abgesehen) entscheiden sich laut Statistiken ungefähr 90 Prozent der Ehemänner für ihr "altes" Leben, manche früher, manche später. Bedeutet es doch, wenn man sich nach vielen Jahren aus einer langjährigen Ehe löst, auf alles zu verzichten, was einmal im Leben wichtig war, ganz abgesehen vom vermeintlichen finanziellen Ruin, dem sozialen Umfeld, der Angst, die Kinder zu verlieren.

Unter Druck kann man keine guten Entscheidungen treffen, ich wollte ihm nie ein Ultimatum stellen, stand somit aber die meiste Zeit hilflos mit meinen Gefühlen daneben. Abwarten, das Schicksal aller Geliebten. Nur auf die Wucht dieser Erfahrung war ich nicht vorbereitet. Plötzlich stellt man fest, die Affäre hat sich zur emotionalen Belastung entwickelt, die das gesamte Denken und Fühlen blockiert. Auf der einen Seite die unerfüllte Sehnsucht nach Zweisamkeit, auf der anderen Seite die Ausweglosigkeit der Lage. Ich schlug ihm vor, sich eine Auszeit zu nehmen, ein Coaching zu machen, herauszufinden, was er will. Aus psychologischer und moralischer Sicht sozusagen der "Königsweg", der mich enorm viel Energie und Kraft kostete.

Ich schaffte es und er ging "freiwillig" zu einer Therapeutin. Das Fazit war, dass er feststellte, er liebt uns beide. Ich war mehr als überfordert. Wäre es nicht langsam Zeit, mich sprichwörtlich aus der Affäre zu ziehen? Doch ich war schwer verliebt und wurde immer wieder durch seine Worte und Begegnungen rückfällig:

"...Ich vermisse Dich und bin immer noch in Dich verliebt, vielleicht warte ich nur darauf, dass Du mich abpasst, mich dann entführst und verführst. Vielleicht will ich aber auch, dass Du mir antwortest und mitteilst, Dich in Ruhe zu lassen, damit ich unsere Zeit als Erinnerung abschließen und für immer behalten kann ..."

Vielleicht sollte man auch einmal die Ehefrauen unter die Lupe nehmen: Da gibt es die Sorte der Handlungsunfähigen, die ihre Opferrolle nach wie vor nicht abgelegt haben und kein Rückgrat beweisen. Es gibt die Frauen, die ihre Koffer packen. Aber auch die, die seine Affäre als zweite Chance nutzen und von der Vorarbeit der Geliebten profitieren. Doch möchte man ihn wirklich zurück? Einen konfliktscheuen Fremdgänger, der einen vor der ganzen Familie und dem Freundeskreis bloßgestellt hat? Eins steht fest, kein Beziehungsratgeber der Welt kann den gleichen Therapieeffekt bewirken, wie die real existierende Bedrohung der Geliebten, die bereits in den Startlöchern steht.

Um endgültig aus der Geschichte auszusteigen, entschied ich mich für eine Gesprächstherapie und stellte alle persönlichen Treffen und Telefonate mit ihm ein - bis auf eine Geburtstags-Mail an ihn, die erneut eine Welle auslöste. Doch spätestens nach dem Brief seiner Ehefrau, in dem sie mich bat, ihn nicht mehr zu belästigen und ihre Familie weiter zu zerstören, bedankte ich mich bei ihm für seine Inspiration, die er trotz allem in mir ausgelöst hatte. Ich hatte mich auf einen verheirateten Mann eingelassen, am Ende bin ich selbst schuld, ich war verletzt, aber nie wütend. Ich habe eine wahnsinnige Erfahrung gemacht. Da war ich nun, das Engelchen, das zum richtigen Zeitpunkt über seine Ehekrise flog. Und die ihn dazu brachte, auch seiner Frau nette Emails zu schreiben, wie sie mir in ihrem Brief berichtete:

"Er überschüttete mich mit Liebes-Emails, Blumen, ständige SMS, Anrufe. Für mich also durchaus nachvollziehbar, an eine weitere Zukunft zu glauben."

Wenn das Leben einen herausfordert, wird es einen verändern. Ich habe die Liebe nun von einer anderen Seite kennengelernt. Nachdem ich seiner Ehefrau zurückgeschrieben hatte, meldete er sich noch einmal bei mir. Manche seiner Sätze ergaben nun einen Sinn, es war wie ein Rätsel, das ich nach und nach löste. Ich bin stellvertretend für seine Ehefrau in die Bresche gesprungen, es war fünf vor zwölf, ich war die besagte zweite Chance seiner Ehe. "Sie hat um mich wie eine Löwin gekämpft und liebt mich nun wieder", waren seine letzten Worte.

Der Traumtänzer, so nannte ihn meine Therapeutin bereits in der ersten Sitzung, ist nun Vergangenheit. Ab und an ertappe ich mich trotzdem dabei, wie ich an ihn denke und mich frage, ob er und seine Familie nach dieser Geschichte wirklich wieder glücklich sind. Seine Komplimente waren die allerschönsten, die ich jemals bekommen hatte - bis zu dem Zeitpunkt, als ich erfuhr, dass seine Frau annähernd die gleichen bekam.

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