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"Meine letzte Erziehungsmaßnahme: Ich gehe mit den Kindern ins Schweigekloster"

Schweigekloster mit Kind
© privat
BRIGITTE.de-Leserin Claudia Hirsch pflegt ein ganz bestimmtes Ritual, um ihre Kinder aufs Leben vorzubereiten: Sie reist mit ihnen in ein Schweigekloster nach Thailand.

Wie schaffe ich es, meinen Kindern noch etwas Wichtiges mitzugeben?

Ich liebe meine Kinder und bin leidenschaftlich gern Mutter. Mein Leben mit Kindern zu teilen und sie beim Erwachsenwerden zu begleiten, hält mich auch am Puls der Zeit. Ich kenne die neuesten Bands und Trends und die neuesten Social-Media-Kanäle.

Aufgewachsen mit Wählscheibe, ist mir diese ganze virtuelle Welt aber immer noch suspekt. Dazu kam die Angst vor Handystrahlen an weichen Kinderköpfen und vor wesensverändernden Computerspielen - und dass dieser ganze digitale Wahnsinn meinen Kindern schadet, sie nerdig werden lässt, einsam und abhängig.

Zeitliche Einschränkungen am Computer oder kein Ersatz bei in die Kloschüssel gefallenen Handys wirken in einem bestimmten Alter noch Wunder - sofern man starke Nerven hat. Aber spätestens nach dem Abi sind derartige Erziehungsmaßnahmen hinfällig.

Jetzt war die große Frage: Wie schaffe ich es, einen wichtigen Teil meines Lebens noch schnell gewinnbringend in das Leben meiner Kinder zu transportieren?

Ein Schweigekloster ist ein Crashkurs in Selbsterkenntnis

Seit vielen Jahren übe ich Yoga, um in Balance zu bleiben, und habe meine Begeisterung dafür zu meinem Beruf gemacht. Was der Yoga-Weg für mich alles bedeutet und wie wichtig mir das Besuchen meiner inneren Welt ist, möchte ich hier gar nicht lang ausbreiten. Aber zu dieser inneren Welt wollte ich meinen Kindern am Ende meines Erziehungsauftrages den Schlüssel überreichen. Den Schlüssel zu ihrer eigenen inneren Kraftquelle.

Dieses Vorhaben habe ich geschickt als Abi-Belohnungsreise nach Thailand verpackt – wo ich ihnen ein Crashkurs in Meditation und Selbsterkenntnis angedeihen lassen wollte.

So fuhr ich 2011 das erste Mal mit meiner damals18-jährigen Tochter zum Schweigen nach Thailand. Es war eine intensive Reiseerfahrung, auch wenn die Zeit im Kloster nicht einfach war. Im Anschluss ist meine Tochter weder zum Buddhismus übergetreten, noch Meditierende oder Yogini geworden. Das war auch nicht das Ziel. Aber es ruht ein Samen in ihr, der hier und da durchblitzt, und der bereit ist, eines Tages aufzugehen.

Bei meinem Sohn wurde der Fluchtinstinkt ausgelöst

Im Sommer 2018 beendete dann mein Sohn seine Schulzeit und las zur Vorbereitung auf unser gemeinsames Abenteuer in Thailand zwei Bücher. Seine Meditations- oder Yogaerfahrung waren gleich Null.

In den sieben Jahren zwischen dieser und der ersten Reise hatte sich die Anzahl der Retreat-Teilnehmer vervierfacht und das Durchschnittsalter um mindestens 20 Jahre gesenkt. Jetzt saßen wir also mit 46 Menschen aus 21 Ländern zusammen, von denen der Jüngste (mein Sohn) 19 und die Älteste (ich) 55 Jahre alt war.

Wenn man so ein Retreat besucht, lebt man strikt nach den Regeln der Mönche. Der Tagesablauf ist vorgegeben, und jeder trägt einen weißen, pyjamaähnlichen Anzug. Es gibt von allem wenig: wenig Schlaf, wenig Essen und keinerlei Zerstreuung. Dafür morgens um 4 Uhr eine Yoga-Einheit, um 7 und 11 eine warme Mahlzeit, mindestens acht Stunden Meditationsunterricht und sehr viel Zeit für intensive Innenschau.

Bei meinem Sohn machte sich, wie erwartet, in den ersten 24 Stunden ein Fluchtinstinkt breit.

Den Durchbruch brachte der Vergleich unseres Lehrers, dass Meditation so etwas wie Krafttraining für das Gehirn sei.

Das weckte seine Neugier und er meditierte stundenlang im Stehen, Gehen und Sitzen. Trat jeden Morgen vor Sonnenaufgang bei der Yogastunde an und sang am Abend Mantren auf Pali, die niemand von uns verstand. Zehn Tage lang.

Glaubenssätze und innerer Frieden

Ich als Meditationserfahrene hatte wahrscheinlich mehr Probleme durchzuhalten, als er. Wie das so ist, wenn man auf sich selbst reduziert wird. Da steigen alle möglichen destruktiven Glaubenssätze und einiges an Verwirrung auf, womit man erstmal klarkommen muss. Es ist anzunehmen, dass sich in 55 Jahren deutlich mehr davon angesammelt hat als in 19.

Am Ende unserer Klosterzeit gab es eine wundervolle Zeremonie bei der jeder, der wollte, den Raum hatte, vor allen Teilnehmern über seine Erfahrungen zu sprechen. Mein Sohn stand auf und setzte sich ans Mikrofon. Mit erstickter Stimme begann er tränenreich vor einem Haufen Fremder, seine tiefsten inneren Einsichten zu teilen. Er hatte seinen Schlüssel gefunden. Ich war beeindruckt und bewegt.

In diesem Jahr trete ich mit meiner jüngsten Tochter dieses etwas andere Abi-Geschenk an. Dann ist es nach 26 Jahren Muttersein Zeit, loszulassen und alle Kinder dem Fluss ihres Lebens zu übergeben. Ich bin gewiss, dass sie auf einem guten Fundament stehen und mit der Erfahrung ihrer inneren Welt bereit sind, die Stürme in der äußeren Welt zu bestehen. Und auch ich bin bereit: Ein neuer Abschnitt beginnt!

Die Autorin: Claudia Hirsch (56) ist Yogalehrerin (www.prana-yatra.de). Nachdem ihre drei Kinder das Haus verlassen haben, nimmt sie sich eine Auszeit von allem und schaut zuversichtlich in ihren dritten Lebensabschnitt. Ab 2020 bietet sie Inspirationsreisen nach Thailand an, um auch anderen Menschen eine ähnliche tiefe Erfahrung zu vermitteln.

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