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Schönheitswahn? "Da mach' ich nicht mehr mit"

Früher strampelte Verena Carl sich für ein jüngeres Aussehen ab. Bis sie kapierte: Dieser Wettlauf ist nicht zu gewinnen. Heute ist hat sie sich vom Schönheitswahn befreit - und ist glücklicher.

Nächstes Jahr feiern mein Körper und ich goldene Hochzeit

Mein Gesicht kann etwas Neues. Letzte Woche habe ich es entdeckt, vor dem Badezimmerspiegel im Büro: Wenn ich lache, wirft die Haut unter meiner Nase eine Querfalte. Die war da vorher nicht.

Mein Mann amüsiert sich: Schau lieber zu Hause in den Spiegel, der ist schlechter beleuchtet! Dabei macht die Falte mich eher neugierig: Körper, alter Freund, was hast du noch für Tricks auf Lager?

Nächstes Jahr werde ich 50, da feiern mein Körper und ich goldene Hochzeit. Eine Zweckverbindung, aber liebevoller denn je. Das ist eine schlechte Nachricht für die Vereinigung der ästhetisch-­plastischen Chirurgen. Für mich ist es eine gute.

Der Schönheitswahn schadet der Lebensqualität

Ich war mal jünger, dünner und faltenfreier, klar. Aber ausgerechnet damals blickte ich in den Spiegel, als stände ich vor den bewachten Türen eines hippen Clubs. Bin ich schön? Mein innerer Türsteher rollte ironisch mit den Augen: ernsthaft? Du glaubst doch nicht, dass ich dich hier reinlasse!

Ich dachte damals, ich muss mich nur genügend bemühen, dann geht irgendwann die Tür auf. Und dahinter spielt das wahre Leben. Weil schönere Menschen das Anrecht haben auf größere Gefühle, Leidenschaft, Drama. Weil sie sogar dann besser aussehen, wenn sie am Küchentisch weinen.

Dafür strampelte ich mich ab: mit Sport, der mir keinen Spaß brachte, Fastenkuren, die mich langsam im Kopf machten, Frisuren, für die ich morgens früher aufstehen musste. Das fraß so viel Energie, dass ich ansonsten auf kleinerer Flamme kochte: ein Leben mit handlichen Gefühlen, erreichbaren Träumen, lauwarmen Beziehungen.

Irgendwann dachte ich mir: Was für eine gigantische Verschwendung!

Aber Beauty ist ein Biest. Egal wie man sich bemüht, irgendwo ist immer jemand mit strafferen Bauch und längeren Beinen. Daneben ich: mittelgroß, mittelschlank, mittelblond. So weit, so normal. Keine Frau, die Blicke auf sich zieht, wenn sie den Raum betritt. Ein Rennen, das ich nicht gewinnen konnte.

Irgendwann dachte ich mir: Was für eine gigantische Verschwendung. Ich hatte vergeblich versucht, mich fremden Bildern anzupassen. Von da an machte ich mir die Bilder passend.

Ließ meine Haare an der Luft trocknen, verlangte von Klamotten, dass sie mich auch in Größe 40/42 gut aussehen ließen, ging nur noch zum Sport, wenn ich Lust hatte. Sah meinen Körper nicht mehr als ewigen Low-­Performer, sondern als prima Wohnung für mich und meine Gedanken.

Plötzlich, zack, ging die Tür auf und machte Platz für das, was mir wichtig war. Bücher schreiben, im Ausland leben, große Liebesgeschichten, eine eigene Familie. Mein Schminktäschchen behielt ich. Aber das angestrengte Schaulaufen anderer betrachtete ich fortan als seltsames Spiel, bei dem ich weder mitspielen muss noch will.

Lieber lachend Falten vergleichen statt Schönheits-OP

Manchmal kommt das Gute, wenn man aufhört zu warten. Pickel bis Mitte 20, dafür vergleichsweise glatte Gesichtshaut mit Ende 40. Feine Haare, die früher nicht für Frisuren taugten, aber heute noch kaum grau sind. Danke, nettes Geschenk, aber wäre nicht nötig gewesen. Ich bin ja raus aus dem Rennen.

Dagegen beobachte ich, wie Freundinnen und Kolleginnen an die Startblöcke gehen: plötzlich nur noch Low-­Carb, antrainieren gegen die Schwerkraft, oder sogar anoperieren. Kann man machen. Tut mir aber leid, dieser verzweifelte Versuch, an einem Oldtimer herumzuschrauben, bis er fast aussieht wie ein Sportflitzer. Aber eben nur fast.

Irgendwann ist eben auch die längste Partynacht vorbei. Wäre es nicht schön, wenn wir dann in der frühen Morgensonne lachend am Kantstein sitzen, Nasenfalten vergleichen und so richtig einen losmachen?

Verena Carl findet, wir sollten uns ein Vorbild an den Andalusiern nehmen. Dort gelten alle Frauen als "bonita", "guapa" oder "preciosa" - hübsch und wunderbar!

Brigitte 13/2018

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