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Toskana Ökodorf-Gründerin Anja Maluck: "Ich habe das Gefühl, dass ich angekommen bin"

Anja Maluck in ihrem Ökodorf in der Toskana
Anja Maluck in ihrem Ökodorf in der Toskana
© privat
Anja Maluck, 62, hat vor Jahrzehnten ein Ökodorf in der Toskana gegründet – und sich dort selbst gefunden.

War das alles ...?

Toskana, 1997: Seit vier Jahren lebte ich in der malerischen Landschaft in der Nähe von Pisa und arbeitete als Übersetzerin und Dolmetscherin. Meine Wohnung lag in einem rustikalen Landhaus an einem plätschernden Bach, umgeben von Olivenhainen und Weinreben. Ein Bilderbuchleben, dass ich mir in den Jahren zuvor in genau in diesen Farben ausgemalt hatte. Zugegeben, ich war frisch getrennt von meinem langjährigen Freund, was mich als 35-Jährige mit Kinderwunsch etwas beunruhigte, aber das würde schon noch werden. 

Dennoch tauchte seit einiger Zeit immer häufiger die Frage auf: War das alles? 

Ich fühlte mich zunehmend unzufrieden, leer, und fand keinen Sinn in dem schönen Rahmen, den ich um mich herum geschaffen hatte. 

Biodanza

Eines Tages nahm mich meine liebste Freundin mit in eine Biodanza-Schnupperstunde: Tanz und Bewegung sollten einen direkten Zugang zu unserer angeborenen Freude am Leben ermöglichen. Dabei erlebte ich etwas, was mich stark berührte und mich gleich in den Kurs einschreiben ließ. Beim Tanzen kamen in den folgenden Jahren viele Bedürfnisse ans Licht, die ich lange in mir verschlossen hatte. Starke Impulse, die mich an die Anja als Jugendliche erinnerten, die rebellisch, emotional und wild entschlossen war, ihr Leben so einzurichten, dass es auf irgendeine Weise Natur und Umwelt dienen würde.

Zwischenstopp Kolumbien

In Italien gab es damals noch nicht einmal Mülltrennung, Aktivisten kannte ich keine. Und so reiste ich als freiwillige Helferin in ein Ökodorf nach Kolumbien. In den vier Wochen mitten im Urwald kam mir die Erleuchtung: Ein Ökodorf sollte es sein, tief in der Natur und möglichst in der Toskana.

Erste Schritte

Gemeinschaft und ein Leben mit der Natur? Damit hatte ich allerdings wenig Erfahrung. Entschlossen ging ich dennoch erste Schritte in Richtung meines Ziels. Ich zog für ein Jahr als freiwillige Helferin in ein Ökodorf nach Ligurien (damals gab es in ganz Italien vielleicht drei oder vier). Dort lernte ich Sonia und Lorenzo kennen, die ein Grundstück mit alten, verfallenen Häusern in einer verlassenen Ecke der Toskana besaßen. Es gab dort nichts, nur Mauerreste und eine wilde, waldige Natur, wo Bauern und Schäfer früher ihre Äcker bestellt hatten und ihre Herden weiden ließen.

Unser Ökodorf

Im ersten Jahr waren wir 20 Pioniere, im zweiten Jahr nur noch vier. Einer der vier wurde mein Lebensgefährte. Wildromantisch und gleichzeitig beinhart, lebten wir zwölf Jahre ohne Strom und Internet. Kapital zum Aufbau der Steinhäuser war keines vorhanden, daher bauten wir für uns kleine Strohballenhäuser, freiwillige Helfer richteten sich im Zelt oder im Wohnwagen ein. Es war schwierig, auf dem abschüssigen Gelände Gemüse anzubauen – nicht ohne Grund hatten unsere Vorgänger hauptsächlich Tierzucht betrieben. Wir rodeten gerade so viel Wald, um Gemüsegärten und ein kleines Kartoffelfeld anlegen zu können.

Bei Nachbarn und im Internet-Café erledigte ich mühsam meine Übersetzungen und machte gleichzeitig eine Ausbildung zur Biodanza-Leiterin. Immer wieder zogen neue Leute zu uns, die aber alle nach einiger Zeit aufgaben. Das war enttäuschend und frustrierend und irgendwann waren wir fast am Ende unserer Kraft. So sehr wir die Ursprünglichkeit und die Freiheit genossen, die uns dieses Fleckchen Erde bot, wir hatten nicht vor, auf Dauer zu viert unter so schwierigen Bedingungen zu leben.

Die Wende

2014 entschlossen sich Rebecca und Juan, beide über 70, bei uns einzusteigen und ihr Kapital zu investieren, um ihren Lebensabend sinnvoll zu verbringen. Besagter Lebensabend erwies sich als aktiv und kreativ; insbesondere Juan, der "Gewaltfreie Kommunikation" (GFK) unterrichtet, hat maßgeblich dazu beigetragen, die Konflikte in unserer Gemeinschaft zu lösen. Endlich konnte auch der Wiederaufbau des großen Landhauses beginnen, und wenige Jahre später entschloss sich eine Familie aus Bologna, mit ihren zwei Jugendlichen zu uns zu ziehen und zur Fertigstellung beizutragen. 

Die Gegenwart

Unser kleines Ökodorf zählt derzeit acht feste Bewohner und viele freiwillige Helfer. Die Häuser sind saniert und dank Fotovoltaik, Sonnenkollektoren und Holzheizung sind wir energetisch autark. Mein Partner und ich leben noch immer in unserem geliebten Strohballenhäuschen, können aber auf ein Zimmer, Internet und ein warmes Bad im Haupthaus zählen. Gemüse gedeiht vom Frühjahr bis zum Herbst, einige Produkte tauschen wir mit unseren Nachbarn. Vieles müssen wir trotzdem dazu kaufen, Getreide, Pasta oder auch Obst, für das diese Gegend nicht so gut geeignet ist. Dafür gibt es im Herbst große Mengen Esskastanien, die wir trocknen und zu dem hier gefragten Mehl mahlen lassen.

Heute habe ich das Gefühl, dass wir angekommen sind. Kinder haben wir leider keine bekommen, aber viele junge Menschen machen bei uns erste Erfahrungen, die sie dazu ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen. Dafür bin ich dankbar. Nach so vielen Jahre im Wald kann ich mir heute auch immer mal eine Auszeit nehmen für Reisen und andere Erfahrungen, um dann liebend gerne wieder zurückzukommen. Und ich spüre: Die Anja als Jugendliche und die Anja als ältere Frau, sie lächeln sich zu.

Die Autorin: Anja Maluck, geboren 1962 in Frankfurt am Main und aufgewachsen in Bayern, lebt seit 1991 in der Toskana. Vor mehr als 20 Jahren gründete sie mit italienischen Freunden ein Ökodorf in der Toskana. Über ihre tragisch-komischen Erfahrungen bei der Entstehung des Dorfes schrieb sie das Buch "Mein Ökodorf in der Toskana" (BoD, 11,99 Euro).

Brigitte

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