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K.-o.-Tropfen "Der wahre Alptraum begann erst nach der Vergewaltigung"

Nina Fuchs: Nina Fuchs
© Andreas Gregor / Privat
Als sie 30 Jahre alt war, wurde Nina Fuchs unter Drogen gesetzt und vergewaltigt. Seitdem kämpft sie für Gerechtigkeit – auch mit ihrem Verein "KO - Kein Opfer e.V."
Nina Fuchs

Heute bin ich nicht mehr die Frau, die ich vor neun Jahren war, und auch mein Leben ist nicht mehr dasselbe. Damals, im Frühjahr 2013, habe ich das erlebt, was für die meisten Frauen der größte Alptraum ist: Ich wurde unter dem Einfluss von K.-o.-Tropfen vergewaltigt. Doch mein Alptraum begann erst so richtig nach der Vergewaltigung – und zwar bei der Polizei. Und er ist immer noch nicht zu Ende: Bis heute kämpfe ich vergeblich um einen fairen Prozess.

Trotz Spermaspuren: Polizei skeptisch wegen "Erinnerungslücken"

Die K.-o.-Tropfen konnten damals nicht mehr nachgewiesen werden, weil die Blut- und Urinproben erst viel zu spät genommen wurden. Aber die Rechtsmedizin fand Spermaspuren und konnte die DNA von einem der beiden Männer, an die ich mich nur bruchstückhaft erinnern kann, sicherstellen. Aufgrund dieser DNA-Spuren gab es dann fünf Jahre nach der Tat auf einmal einen Treffer in der Datenbank. Das war ein ziemlicher Schock für mich, da ich nach so langer Zeit längst nicht mehr damit gerechnet hatte, dass dieser Mann irgendwann noch gefunden wird. Ich wollte mit dem Thema abschließen und dieses Erlebnis hinter mir lassen. Doch es kam anders.

Damals hatte mir die Polizei weder die Geschichte mit den K.-o.-Tropfen noch mit der Vergewaltigung geglaubt. Keine Person, die das nicht am eigenen Leib erfahren hat, weiß, wie schrecklich eine solche Zeugenaussage bei der Polizei und eine Untersuchung bei der Rechtsmedizin ist – wenn es keine Intimsphäre mehr gibt, wenn du alles preisgeben und dein Innerstes offenlegen musst, wenn du Worte finden musst für ein Erlebnis, das nicht in Worte zu fassen ist, wenn jeder Millimeter deines Körpers und jede Körperöffnung penibelst untersucht wird, wenn dir deine Schamgefühle nicht zugestanden und einfach übergangen werden. Das alles durchzustehen, war schlimm, doch dass man mir nicht geglaubt hat, war wie ein Schlag ins Gesicht.

Dass es schlimme Menschen und Psychopathen gibt, wissen wir alle, und das wird sich auch nie ändern. Doch von Polizei und Justiz erwarte ich, dass alles in der Macht stehende unternommen wird, um Opfern von sexualisierter Gewalt zu helfen, und dass alles versucht wird, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Doch in meinem Fall wurde, wie in so vielen anderen Fällen, genau das Gegenteil gemacht. Die Justiz hat trotz der DNA-Spuren den Fall eingestellt. Meine Erinnerungslücken waren der Grund dafür. Dass diese Entscheidung einen Freifahrtsschein für jeden Täter darstellt, spielt offensichtlich keine Rolle.

Mein Fall ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel

Meine Enttäuschung, das Gefühl der Ohnmacht, meine Wut und Frustration lassen sich nicht in Worte fassen. Doch ich bin eine Kämpferin, schon im Kindergarten konnte ich Ungerechtigkeit nicht ertragen. Deshalb habe ich eine Online-Petition gestartet, die bis heute über 100.000 Menschen unterschrieben haben. Doch weder die Petition und die dadurch entstandene mediale Aufmerksamkeit, noch die Beschwerde, die mein Anwalt eingereicht hatte, konnten etwas daran ändern, dass mein Verfahren ein weiteres Mal eingestellt wurde. Sowohl die Generalstaatsanwaltschaft als auch das Oberlandesgericht hat diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft bestätigt.

Eigentlich wollte ich aufgeben. Ich fühlte mich klein und machtlos, wie David gegen Goliath. Aber dann wurde mir eines bewusst: Entscheidungen dienen immer auch als Referenzen für neue Entscheidungen, insbesondere dann, wenn sie von zwei höheren Instanzen als richtig befunden wurden. Der Gedanke, dass auch in Zukunft Opfer von sexualisierter Gewalt aufgrund meines Falles das Gleiche durchmachen müssen und auch ihnen ein fairer Prozess verweigert wird, ist für mich unerträglich. Gerade in unserem Land, in dem von allen angezeigten Vergewaltigungen gerade mal 7,5 Prozent zu einer Verurteilung führen und, wenn man das riesengroße Dunkelfeld miteinbezieht, von 100 Vergewaltigungsfällen nur etwa ein einziger Täter zur Rechenschaft gezogen wird, ist so ein Vorgehen fatal. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, weiterzukämpfen und bin zuerst ans Bundesverfassungsgericht gegangen und – nachdem meine Verfassungsbeschwerde dort abgewiesen wurde – an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Auf eine Reaktion aus Straßburg warte ich seit Sommer 2021.

2020 hat mir eine Freundin einen Artikel über das Urteil zu der Massenvergewaltigung in Freiburg geschickt: "Ich sehe ziemlich viele Parallelen zu deinem Fall", schrieb sie. Die sehe ich auch und ich frage mich, wie es sein kann, dass wir in einem System leben, in dem es von der persönlichen Einschätzung einzelner Personen abhängt, ob ein Verfahren eingestellt wird oder ob es eine Verurteilung von über fünf Jahren Haftstrafe gibt. 

Aufgeben ist keine Option für mich

Das Thema sexualisierte Gewalt ist Teil meines Alltags geworden. Das ist oft belastend und emotional herausfordernd. Aber mein Unvermögen, den Ist-Zustand zu akzeptieren und mein Streben nach Veränderung geben mir Kraft, immer weiterzukämpfen. Der Austausch mit anderen Betroffenen, mit Feminist:innen und anderen starken Frauen, der Zusammenhalt und die Solidarität erfüllen mich jedes Mal aufs Neue mit Hoffnung und Freude. Und nicht zuletzt sind der Rückhalt und die Unterstützung von vielen Tausenden Menschen jeden Tag wieder die Bestätigung, dass ich das Richtige tue. Aufgeben ist keine Option für mich.

Nina Fuchs
© Andreas Gregor / Privat

Eingangs schrieb ich, dass mein Leben nicht mehr so ist wie vor der Vergewaltigung. Ich bin daran gewachsen und ich bin heute stärker denn je – und weiß genau, wofür ich diese Stärke benötige. Meine Vergangenheit kann ich nicht mehr ändern. Aber ich kann dafür kämpfen, dass sich in der Zukunft etwas ändert und dass wir in einer Gesellschaft leben, die von einer Konsenskultur, von Zivilcourage und Zusammenhalt geprägt ist.

INFO: Nina Fuchs hat den Verein "KO – Kein Opfer e.V." gegründet. Ihre Mission ist es, die Gesellschaft für die Themen sexualisierte Gewalt und K.-o.-Tropfen zu sensibilisieren und zu einer Kultur des Hinsehens und Hinhörens beizutragen. Der Verein gibt Opfern eine Stimme und setzt sich dafür ein, dass auf gesellschaftlicher und politischer Ebene nachhaltige Veränderungen stattfinden und die Rechte von Opfern gestärkt werden. Alle Infos unter KO - Kein Opfer e.V. 

Brigitte

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