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Umgeben von Krieg: Unser Leben zwischen Syrien, Israel und Irak - in Jordanien

Keine 200 Kilometer entfernt wird gekämpft - in Syrien. In Irak, kaum weiter entfernt, mordet der IS und im Nachbarstaat Israel ist die Waffenruhe noch ganz frisch. Susanne Döring lebt im jordanischen Amman und erzählt in unserer Leserkolumne "Stimmen", wie es sich lebt, wenn um einen herum Krieg herrscht.

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"Denkt Ihr eigentlich daran, nach Deutschland zu gehen?", fragt meine Freundin am Telefon.

"Nein, warum sollten wir?" Ich verstehe die Frage nicht. Seit fünf Jahren lebe ich mit meinem Mann und Kindern in Amman. Ich fühle mich wohl in Jordanien, und gerade mein Mann würde gar nicht daran denken, so weit fort zu gehen und Kinder und Enkel nicht mehr täglich sehen zu können.

"Na ja, es ist ringsum Krieg. Das kann man doch nicht so einfach ignorieren. Auch wenn jetzt in Gaza gerade wieder ein Waffenstillstand vereinbart wurde, bleibt der Bürgerkrieg in Syrien und diese Spinner vom IS in Irak und in Syrien. Und das, nachdem Ägypten auch schon schlimm genug aussah. Ich dachte damals schon, Ihr würdet lieber hierher kommen."

"Ach, so meinst du das..."

Natürlich wissen wir, dass die syrische Grenze nur knapp 200 Kilometer von Amman entfernt ist, die zum Irak weiter fort, aber auch schon direkt von Kämpfen betroffen war, am Roten Meer, in Aqaba, dem Grenzübergang nach Israel und Ägypten, die anderen heiklen Zonen liegen - und wir dennoch hier leben, als wären wir im tiefsten Frieden. Oberflächlich betrachtet wenigstens.

Jordanien, Zufluchtsort für hunderttausende Palästinenser in den Jahren nach 1948 und 1967, für Irakis nach den Golfkriegen, ist seit mehr als zwei Jahren auch Ziel für syrische Flüchtlinge - laut UNHCR sind es bereits über 600000, aber längst nicht alle sind dort registriert. Manche schätzen, dass es eher zwei Millionen seien. Wenn man bedenkt, dass Jordanien ungefähr neun Millionen Einwohner hat, eine unglaubliche Zahl. Einige leben direkt in unserer Nachbarschaft; viele, vor allem die ersten der Fliehenden, haben sich in den Städten angesiedelt, mehr im Norden, etliche aber auch in Amman. Erst später wurden die großen Flüchtlingslager aufgebaut, über die manchmal in der deutschen Presse berichtet wird.

Tatsächlich ist das unser Hauptberührungspunkt mit den Unruhen der Nachbarstaaten - mehr Menschen, die an der in Jordanien so knappen Ressource Wasser teilhaben wollen, um Wohnraum und Arbeitsplätze konkurrieren. Die Preise sind merklich gestiegen, Mieten noch mehr. Trotzdem hält sich der Unmut in der Bevölkerung bisher sehr in Grenzen. Vielleicht sind die meisten froh, dass es sie nicht getroffen hat, vielleicht auch, weil sehr viele in den Nachbarländern Verwandte und daher mehr Verständnis für die Flucht anderer haben. Zudem erscheinen die Flüchtlinge nicht wirklich wie Fremde: alle sprechen Arabisch, auch wenn man an der Aussprache die Herkunft erkennen kann.

Im Stadtbild jedoch sehe ich kaum Änderungen. Keine Häufung von Militärfahrzeugen, Hubschrauberflügen oder ähnlichem. Zwischen den Fernsehbildern und dem Blick aus dem Fenster fehlt der Zusammenhang, so sehr sich der Hintergrund oft ähnelt. Es hat, denkt man darüber nach, etwas Gespenstisches. In einer Entfernung, die in weniger als einer Tagesfahrt mit dem Auto zurückgelegt werden könnte, sind Straßen und Häuser, die denen dort draußen zum Verwechseln ähnlich sehen, in Schutt und Asche gelegt, suchen verzweifelte Menschen in den Trümmern nach Toten und überlebensnotwendigen Dingen. Hier feiern wir Hochzeiten, manchmal nicht wissend, was mit den im anderen Land lebenden Familienangehörigen gerade passiert. Ob sie die inzwischen allgegenwärtigen Handy-Videos werden sehen können?

Fernsehen, Internet - die Nabelschnüre des heutigen Lebens. Seit dem Beginn des "Arabischen Frühlings" haben wir oft Stunden damit verbracht, auf den ein oder anderen Bildschirm zu starren, wie zuletzt in den 51 Tagen des Gaza-Kriegs in diesem Sommer. Was dabei Wahrheit ist, was gefiltert und was Lüge - Gegenstand vieler Diskussionen.

Die Frage "Was wäre, wenn auch unser Land vom Krieg eingeholt würde?" habe ich noch nie gehört. Ist es der Elefant im Raum? Ein gewisses Vertrauen, dass Jordanien sich doch von den anderen Ländern unterscheidet, die Unzufriedenheit nicht so groß ist, dass außer den inzwischen eher abgeflauten Demonstrationen Unruhen entstehen könnten? Ganz zu Anfang, als in Ägypten die Revolution auf ihrem Höhepunkt war und hier freitags die Aufmärsche immer größer und teilweise auch unruhiger wurden, gab es gelegentlich Hamsterkäufe einiger besorgter Familienväter. Nicht genug, um auf die Preise Einfluss zu nehmen, und zu irgendwelchen Engpässen kam es auch nicht.

Manchmal denke ich, in Deutschland würde unter vergleichbaren Umständen die allgemeine Stimmung wesentlich schlechter sein. Ich bewundere die Familie, Nachbarn und Freunde, dass hier das Leben weiter geht, mit Zuversicht, auch mit Freude. Getrauert wird, wenn es Anlass dazu gibt - nicht vorher. Was nicht heißt, dass wir keine Angst um die hätten, die unter Bomben leben; in diesem Jahr waren Ramadan und die Feiertage danach sehr still.

Ich bin keine Jordanierin, werde es wohl auch nie werden können. Aber ich stehe nicht auf der Evakuierungsliste des Konsulats. Ich würde nicht gehen wollen, sage ich meiner Freundin, außer, wenn die Situation so schlimm würde, dass man allen Familienmitgliedern Visa gäbe.

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