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"Erst durch meine Krankheit fand ich als Künstlerin zu mir"

"Erst durch meine Krankheit fand ich als Künstlerin zu mir"
© privat
BRIGITTE.de-Leserin Nadine Ajsin ist international erfolgreiche Künstlerin. Hier erzählt sie, wie sie es trotz – oder wegen – ihrer chronischen Krankheit geschafft hat, ihren Traum zu leben.

Ein Wunder, dass ich noch am Leben bin

Mein Name ist Nadine Ajsin und ich bin Mutter, Ehefrau, die mit der Atemmaske, Studentin und Künstlerin. Seit Kurzem sogar international erfolgreiche Künstlerin. Kaum zu glauben, wann ist das nur passiert? 

Vielleicht irgendwann zwischen Windeln wechseln und Atemnot. Ich weiß es selbst nicht so genau. Es ging so schnell, dass ich es noch gar nicht richtig realisiert habe. 

Begonnen hat alles mit meiner Krankheit. Vor circa zwei Jahren trat unbemerkt Kohlenmonoxid aus unseren Gasheizungen. Seitdem bin ich chronisch krank.

Wir hatten großes Glück, meinte die Polizei. Und da hat sie verdammt recht. Nicht auszudenken, wenn meiner Familie etwas passiert wäre. Es ist tatsächlich ein Wunder, dass wir noch am Leben sind. Denn über einen längeren Zeitraum waren wir immer wieder der unsichtbaren Gefahr ausgesetzt. Die Kohlenmonoxid-Konzentration war nicht so hoch, dass man nach wenigen Minuten eingeschlafen wäre, aber hoch genug, dass bei längerem Aufenthalt mit geschlossener Tür die Sache ganz anders ausgegangen wäre. 

Meine jetzigen gesundheitlichen Probleme waren damals eine Art Schutzengel für uns. Sozusagen die körpereigene Schutzpolizei, die mich immer wieder mit Signalen zu alarmieren versuchte: mit Zungenbrennen, Schwindel, Benommenheit und einem ausgeprägtes Krankheitsgefühl zu Hause. 

An einem Tag im Dezember musste ich zum ersten Mal in die Klinik. Grund war eine allergische Reaktion auf Duftstoffe. Mir wurde schwindelig, plötzlich bekam ich keine Luft mehr und dann kam schon der Krankenwagen.

Durch die Krankheit hatte ich meine Freiheit verloren

Woher diese allergische Reaktion kam, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht. Aber ich begann zu recherchieren und irgendwann kam ich auf unsere Gasöfen. Meine Vermutung wurde am nächsten Tag von Feuerwehr, Polizei und Ärzten bestätigt. Wir hatten großes Glück, und deshalb lächle ich meinen gesundheitlichen Problemen fast versöhnlich zu. Ohne sie wären wir wohl nicht mehr am Leben. 

Dennoch begann für mich danach eine schlimme Zeit. Denn meine gesundheitlichen Probleme blieben, obwohl die Gasöfen aus meinem Leben verschwanden. Ich konnte nicht mehr unter Leute gehen oder mich schminken. In der Allergieambulanz wurde mir dann der Verdacht auf "Multiple Chemical Sensitivity" (MCS) mitgeteilt. Diese Chemikalienunverträglichkeit ist eine Krankheit, die durch Vergiftungen entstehen kann. 

Nachdem ich alle Duftstoffe aus unserem Leben verbannt hatte, ging es mir besser. Doch mir wurde klar, dass ich meine Freiheit verloren hatte. Kein Kino, keine Restaurantbesuche oder Bahnfahrten mehr. Mit Farben hantieren konnte ich auch nicht länger - und das als Kunststudentin. 

Mein einziger Halt war meine Familie. Für sie stellte ich mich jeden Tag ein bisschen mehr meiner Krankheit. Ich kaufte mir eine Atemmaske und kämpfte mich Stück für Stück zurück ins Leben. Dennoch quälten mich Existenzängste: Könnte ich jemals wieder malen? Mit dieser Krankheit arbeiten? 

Die rettende Idee kam bei einem Marmeladenbrötchen

Dann kam der Tag, der alles veränderte. Das Nudelwasser kochte über, zum Spaß fotografierte ich die Spuren auf dem Kochfeld und bearbeitete die Bilder. Die Künstlerin im mir wurde wieder wach, und ich sprudelte nur so über vor Kreativität. In den Tagen darauf fing ich an, unterschiedlichste Dinge zu fotografieren und digital zu verändern. 

Bei einem Marmeladenbrötchen kam dann die Idee. Lebensmittelfarbe! Ich erfand eine ganz neue Technik und mache seitdem großformatige Gemälde. Nach fast zwei Jahren hatte ich endlich wieder das Gefühl, eine Künstlerin zu sein, und meine Leidenschaft kehrte zurück. Das Verrückte daran war, dass ich mich erst jetzt als Malerin fand. 

"Rainbow Dust" von Nadine Ajsin
"Rainbow Dust" von Nadine Ajsin
© Nadine Ajsin

Ich bewarb mich bei Kunstgalerien und bekam schon nach wenigen Tagen Zusagen. Und dann ging alles ganz schnell. Innerhalb von drei Monaten waren meine Arbeiten auf der Art Zürich, Art Muc, Art Salzburg und Art Leipzig zu sehen. Im November kam der Anruf, dass ich bei der Art Miami ausstellen soll. Im Dezember war es dann soweit: Meine Werke in Miami, unglaublich! Dann die Nachricht: Mein Bild „Tropical Vibes" wurde als Pressefoto ausgesucht.

Es war das zweite Mal nach dem Unfall, dass ich meiner Krankheit versöhnlich zulächelte: Schenkt das Leben dir Zitronen, mach Limonade draus. Dieses Zitat passt ganz gut zu meinem Leben. 

Egal, wie dunkel manche Phasen im Leben waren, ich habe sie einfach bunt angemalt. Mit meinen Bildern habe ich ein Stück Freiheit wiedergewonnen. Nicht nur, dass ich wieder malen kann - da meine Kunstwerke in Hongkong oder New York hängen, ist es, als könne ein kleiner Teil von mir auch dort sein. Stellvertretend für mich bereisen sie die Welt, während ich stillend, übermüdet und glücklich auf dem Sofa sitze.

Ich habe viel verloren, aber auch viel gewonnen. Ich habe mich selbst gefunden.

Die Autorin: Nadine Ajsin (34 ) ist Mutter zweier kleiner Töchter, verheiratet, Studentin und Künstlerin. Seit zwei Jahren ist sie durch eine Kohlenmonoxidvergiftung chronisch krank. Doch deswegen mit dem Glücklichsein aufzuhören, kam für sie nicht infrage. Ihre Kunst könnt ihr auf ihrer Website www.nadineajsin.com bewundern.

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