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Nach schwerem Unfall "Ich vergoldete meine Narben und heilte"

Narben vergolden
Juliane Klüß hat ihre Narben vergoldet - äußerlich wie innerlich
© Stefanie Blochwitz
Als Teenager überlebte Juliane Klüß, 40, einen schweren Unfall. Seitdem zeichnen Verbrennungsnarben ihren Körper. Hier erzählt sie, wie sie aus ihrem Schicksal Kraft zieht.

Mit 16 Jahren überlebte ich eine Explosion im eigenen Haus. Es war ein tragischer Unfall, der mein Leben veränderte. Seitdem zeichnen großflächige Verbrennungsnarben meinen Oberkörper. Das Gute daran: Sie erinnern mich täglich daran, welch enormes Glück ich habe, noch am Leben zu sein. 

Meine Narben haben mich verändert

Dennoch versteckte ich meine Narben lange Zeit und trug selbst im Sommer Rollkragen. Ich konnte es nicht ertragen, angestarrt zu werden. Mit der Zeit lernte ich jedoch, mein neues Ich zu akzeptieren. Wie jede andere junge Frau zog ich wieder Bikinis an und tolerierte die neugierigen Blicke. 

Trotzdem, irgendwas war anders als vor dem Unfall. Es fühlte sich so an, als wäre ich nicht "heil". Als wäre die äußere Veränderung meiner Haut ein Zeichen dafür, wie tief ich im Inneren verletzt bin. Wie ein zerbrochener Krug, der wieder zusammengesetzt wurde – man nimmt ihn noch immer als Krug wahr, aber er ist nicht mehr derselbe wie zuvor. 

Dieses Gefühl begleitete mich 23 Jahre lang. Ich gewöhnte mich daran und stellte es irgendwann nicht mehr infrage. Ich tat, was viele andere auch tun: heiratete, bekam zwei Kinder und folgte dem Rhythmus des Lebens. 

Beim Vergolden konnte ich alle Gefühle zulassen

Dann kam der Tag, an dem ich eine heilsame und kraftvolle Erfahrung machte. Ich bemalte meine Narben mit Goldstaub und wurde dabei von meiner Freundin, der Fotografin Stefanie Blochwitz, begleitet. 

Nach schwerem Unfall: "Ich vergoldete meine Narben und heilte"
© Stefanie Blochwitz

Ich zog die Linien meiner Verbrennungsnarben wie auf einer Landkarte nach, und mit jedem Pinselstrich lösten sich tief vergrabene Emotionen. Ich ließ alle Gefühle zu. Alles Alte und Verletzte, das hochkam, durfte da sein. Ich malte, fühlte und sah hin. Ich veredelte meine Narben mit Gold und machte heil, was sich längst nicht mehr heil angefühlt hatte. Es war unbeschreiblich schön. 

Nach schwerem Unfall: "Ich vergoldete meine Narben und heilte"
© Stefanie Blochwitz

Diese intensive Erfahrung war für die Aufarbeitung meines Traumas enorm wichtig. Sie trug maßgeblich dazu bei, mich selbst zu akzeptieren und aus meinem Schmerz eine Kraft zu ziehen, von der ich nicht wusste, dass ich sie habe. 

Nach schwerem Unfall: "Ich vergoldete meine Narben und heilte"
© Stefanie Blochwitz

Wir müssen lernen, hinzusehen

Heute bin ich überzeugt davon, dass wir alle aus unseren Verletzungen die größte Kraft ziehen können, wenn wir es nur zulassen, hinzusehen. Wir alle haben helle und dunkle Seiten, und alle Facetten unseres Seins wollen gesehen und angenommen werden. 

Leider tendieren wir dazu, nur die Stärken und das Gute anzunehmen und das Böse und Schlechte wegzuschieben. Durch das Verdrängen können wir Ängste entwickeln, die uns blockieren und klein halten. Wenn wir es uns jedoch erlauben, unsere inneren und äußeren Narben anzunehmen und zu "vergolden", entfesseln wir unsere Kraft und ermöglichen es uns, sanft mit uns selbst und mit der Welt zu sein. 

Die Autorin: Juliane Klüß begann ihre berufliche Laufbahn als Chemie-Ingenieurin. Heute lebt sie als Fotografin und Autorin in Rostock – und möchte auch anderen Frauen die Chance geben, ihre sichtbaren oder unsichtbaren Narben zu "vergolden", und den Prozess in Fotos festzuhalten (Anfragen unter julika-foto.de).

Brigitte

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