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Mein (gutes) Leben mit Morbus Crohn und Zöliakie

BRIGITTE.de-Leserin Josefine Wagner hat zwei chronische Krankheiten: Morbus Crohn und Zöliakie. Ihr Leben genießt sie trotzdem.

Guten Morgen!

Ich bin gerade wach geworden. Ein paar Sekunden genieße ich mein warmes Bett und die Ruhe, bevor der Tag beginnt. Die Nacht war mit fünf Durchfällen durchaus anstrengend.

Ich scanne meinen Körper: Der Bauch tut weh. Besonders drei Stellen fühlen sich an, als stecke ein Messer drin, der Darm brennt wie Feuer. Auch meine Füße machen heute nicht, was sie sollen, nämlich nichts. Stattdessen fühlt sich der linke Fuß taub an, der rechte, als wären Brennnesseln drumherum gewickelt. Ähnlich fühlen sich die Schienbeine und Hände an.

Trotzdem, in einem „Schub“ gibt es auch schlechtere Tage, und ich werde heute arbeiten und einkaufen gehen können – wenn auch nur langsam und mit vielen Pausen. Ob ich mich mit meinen Freundinnen treffe kann, werde ich spontan entscheiden.

Ich habe Morbus Crohn

Was ich mit „Schub“ meine? Im Oktober 2014 wurde bei mir die Autoimmunerkrankung Morbus Crohn diagnostiziert. Der Morbus Crohn gehört zu den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED), wobei sich die gesamte Schleimhaut vom Anus bis in den Mund entzünden kann. Ist die Dick- und Dünndarmschleimhaut von einem entzündlichen Schub betroffen, reagiert mein Körper mit bis zu 25 Durchfällen bzw. Stuhlgängen am Tag (und auch nachts) und starken, oft krampfartigen Schmerzen. Er kann sich auch außerhalb des Darmes zeigen, z.B. wie bei mir im Nervensystem durch ein Kribbeln oder Taubheitsgefühle in Armen und Beinen.

... und Zöliakie

Inzwischen ist es Vormittag, ich habe vier weitere Toilettengänge hinter mir und traue mich ans Frühstück. Ich esse Hirsebrei mit Ahornsirup. Er ist nicht nur warm und darmschmeichelnd, sondern auch glutenfrei. Wenn ich mit dem Crohn in Remission bin, er also nicht so aktiv ist, esse ich auch gerne ein Nussbrot aus fein gemahlenen Nüssen. Und wenn ich richtig übermütig werde, ein weißes Brötchen mit Rührei. Gemein ist allem, dass es glutenfrei sein muss, denn im Oktober 2014 wurde bei mir auch noch die Diagnose Zöliakie gestellt.

Auch die Zöliakie ist eine Autoimmunerkrankung, die sich jedoch durch eine strenge Diät meist gut in den Griff bekommen lässt: Durch den kompletten und lebenslangen Verzicht auf das Klebeeiweiß „Gluten“, dass sich z.B. in Weizen, Dinkel und Gerste findet, können sich der Dünndarm und möglicherweise geschädigte Darmzotten erholen. Da schon 1/8 Teelöffel Gluten eine Immunreaktion auslösen kann, muss ich auch bei allen Fertigprodukten und wenn ich essen gehe, sehr vorsichtig sein.

Es ist Abend und ich bin nach weiteren elf Toilettengängen hundemüde, aber ganz zufrieden. Denn ich habe gearbeitet und es nach dem langen Mittagsschlaf und einer leichten Suppe geschafft, mich auf morgen vorzubereiten. Das Treffen mit Freundinnen musste ich zwar absagen, aber daran haben wir uns inzwischen gewöhnt. An den meisten Tagen reicht die Kraft einfach nicht für Aktivitäten, die über meinen neuen „normalen“ Alltag hinausgehen.

Ich mag mein Leben – trotz der Krankheiten

Wie ich mein Leben mit meinen Erkrankungen finde? Gut. Nicht super, aber gut. Ich hoffe, ihr erwartet jetzt keinen aufgedrehten Peptalk, denn ich gehöre nicht zu den Menschen, die völlig begeistert davon erzählen, dass ihre Erkrankung ihr ganzes Leben zum Positiven hin verändert hat, und dass es erst dadurch erst richtig Sinn bekommen hat. Denn das stimmt einfach nicht. Ich habe auch vorher schon ein Leben geführt, das von Zufriedenheit und Freude erfüllt war. Aber genau das hat sich nicht geändert: Ich kann viele Tage so annehmen, wie sie gerade kommen, erfreue mich nach wie vor an kleinen Dingen und akzeptiere das neue „normal“ meines Körper so, wie es ist.

Wie ich gelernt habe, damit umzugehen

Lasse ich mein Leben von meiner Erkrankung bestimmen? Ich könnte jetzt ganz heroisch antworten: „Nie!“. Aber ganz so ist es nicht, etwa, wenn ein neuer Schub beginnt, Medikamente umgestellt werden oder ich nur noch auf einer 70-Prozent-Stelle arbeiten kann.

Doch ich versuche den Umgang mit der Krankheit so aktiv wie möglich zu gestalten. Dabei hilft es mir, mein Leben in „Säulen“ zu unterteilen: Familie und Freunde, Yoga und Bewegung, Ruhe und Entspannung und schließlich die Ernährung. Dies alles sind Stellschrauben, die mir dabei helfen, mein Leben angenehm zu gestalten. Früher hätte ich zum Beispiel nie gedacht, dass mir das Kochen so gut helfen könnte: Im Schub behelfe ich mir mit milden, aber leckeren Suppen. Außerhalb eines Schubes mit Gerichten, bei denen ich zwar alle Einschränkungen im Blick habe, die aber trotzdem gut schmecken. Auch Spaziergänge und Yoga haben sich als wichtige Hilfe im Umgang mit den Erkrankungen herausgestellt. So kann ich, wenn es mir schlecht geht und ich vor Krämpfen und Durchfällen das Haus nicht verlassen kann, vorsichtig entkrampfende, entspannende Übungen machen. Auch Atemübungen tun mir gut und helfen mir, den Puls und den Schlaf positiv zu beeinflussen. Ein guter Schlaf ist wichtig, damit der Körper heilen und ich Kraft schöpfen kann.

Wer sich das alles ansieht, wird feststellen, dass ich viel Zeit allein verbringe. Das stimmt und das tue ich gerne, ohne dabei unsozial zu sein. Denn zum einen habe ich einen Beruf, in dem ich sehr viel mit Menschen zu tun habe. Zum anderen achte ich darauf, dass ich die Säule „Familie und Freunde“ nicht vernachlässige. Dabei ist es am einfachsten, mit meiner Familie, meinem Freund und meinen besten Freundinnen Zeit zu verbringen. Mit diesen Menschen geht das auch in der Jogginghose auf der Couch, mit oder ohne viel Reden. Aber auch sonst gibt es Menschen, die ich sehr gern habe und mit denen es an guten wie nicht so guten Tagen schön ist. Denn alle wissen, dass ich mehr als „krank“ bin, was mir wiederum hilft, mich abzulenken und mein Leben zu genießen.

Ich habe auch schlechte Tage!

Gibt es keine Tage, an denen ich alles hinschmeißen möchte? Doch. Tage, an denen es mir nicht so gut geht, an denen ich unzufrieden bin und ich am liebsten Urlaub von beiden Erkrankungen machen würde. Das sind die Tage, an denen mir bewusst ist, dass weder Morbus Crohn noch Zöliakie je weggehen werden; Tage, an denen ich mich frage, welche Komplikationen möglicherweise noch auf mich zukommen werden; Tage, an denen ich die Logistik meines Alltages ganz schrecklich nervig und ermüdend finde: wann und was ich esse, damit ich nicht zu unpassender Zeit auf die Toilette muss, bis zu der Frage, wo ich unterwegs auf eine Toilette gehen kann.

Aber eines habe ich gelernt: Es ist völlig in Ordnung, auch mal schlecht gelaunt und traurig zu sein. Auch das gehört zu diesem neuen „normal“ dazu und ist gesund. Besonders, wenn man weiß, dass das Leben weitergeht und es in ein paar Stunden oder Tagen schon wieder ganz anders aussehen kann. Dabei halte ich mich gerne an den Spruch des Dichters Robert Frost, wobei der letzte Teil inzwischen auch mein Handgelenk ziert: „In three words I can sum up everything I learned about life: it goes on." - „In drei Worten kann ich alles zusammenfassen, was ich alles über das Leben gelernt habe: Es geht weiter.“ Beruhigend. Oder? 

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