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Wir, die Generation Fernbeziehung - und unsere Erfahrungen, Probleme, Chancen

Fernbeziehung
© Zhao Zhao / Shutterstock
Dass Liebe auf Distanz kein Einzelfall ist, weiß Lea schon länger: Viele ihrer Freunde haben immer wieder Fernbeziehungen, über hunderte Kilometer, ganze Länder, sogar Kontinente hinweg. Was das mit ihrer Generation macht, darüber hat sich die 28-Jährige in ihrer "Stimme" ein paar Gedanken gemacht.

Wie viele Paare kennen Sie, die keine Fernbeziehung hatten? Die nicht über Jahre in verschiedenen Städten, Staaten oder auf unterschiedlichen Kontinenten gelebt haben? Deren Alltag nicht über kürzere oder längere Phasen weit weg vom Partner oder der Partnerin stattfand?

In meinem Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis sind es ein paar wenige. Die allermeisten jedoch können von umfangreichen Erfahrungen mit Fernbeziehungen berichten. Die Freunde, die sich über Jahre mit der unendlich langsamen Zugverbindung Berlin-München rumgeschlagen haben und sich, wenn es gut lief, alle zwei Wochen am Freitagabend ab 23 Uhr sahen. Und am Sonntagnachmittag schon wieder Abschied nehmen mussten. Die Freunde, die vier Jahre lang die Distanz Aachen - Katar gelebt haben und sich nur alle paar Monate sehen konnten. Oder die Kollegin, deren Freund beruflich gerade nach Nairobi gegangen ist. Unterschiedlichste Konstellationen - aber wir alle teilen die Erfahrungen der Abschiede, der räumlichen Distanz, des fehlenden Alltags. Der Kommunikation über Telefon, Emails, SMS, WhatsApp & Co, die nur ansatzweise ersetzt, den Partner wirklich sehen zu können, und doch meist der beste Moment des Tages ist. Aber auch die Erfahrung der riesigen Vorfreude, immer wieder. Und die Erfahrung der Entscheidungen, im besten Falle der gemeinsamen Entscheidungen. Mache ich das Auslandssemester, statt hier zu bleiben? Gehe ich für das Praktikum nach Singapur? Nehme ich das Jobangebot an, auch wenn es in einer anderen Stadt ist? Und wann ist es genug?

Das Lebensgefühl einer Generation? Generation Fernbeziehung?

Generation Fernbeziehung. Wir sind so flexibel wie keine Generation vor uns. Uns stehen alle Möglichkeiten offen. Und wir wollen alles - die Beziehung und den großartigen Job im Ausland. Gleichzeitig wird Flexibilität damit zur Normalität und inzwischen oft erwartet. Es ist längst üblich, einen Teil des Studiums in einem anderen Land zu verbringen, mindestens ein Erasmus-Semester "muss" sein. Internationale Erfahrung wird gesammelt - vielleicht für den Lebenslauf oder doch aus dem ureigensten Bedürfnis nach dieser neuen Erfahrung. Neue Möglichkeiten der Mobilität und der Kommunikation machen es ja auch (scheinbar?) einfacher, alles zu verbinden: die lang ersehnte Weltreise und über Weihnachten doch nach Hause zur Familie fliegen, Freundschaften pflegen, Kontakte halten.

Wir sind nicht die erste Generation, die ihre Beziehungen über Distanz führt. Aber vielleicht die erste, die dies freiwillig so ausgiebig tut und nicht, wie beispielsweise die Generation unserer Großeltern, durch äußere Umstände wie Krieg, Vertreibung oder wirtschaftliche Not dazu gezwungen ist. Und während die Generation unserer Eltern meist noch an einem Ort ihren Beruf erlernt oder studiert, dort einen Partner gefunden und eine Familie gegründet hat, splitten sich diese Schritte für meine Generation in zig Stationen auf. Der subjektive Eindruck aus unserem Freundeskreis wird durch Zahlen bestätigt: "Nie gab es mehr Fernbeziehungen als heute", schrieb die taz bereits 2006 - Tendenz steigend, bekräftigte die FAZ. Aktuell leben laut stern.de 8 Millionen Menschen in Deutschland in einer Fernbeziehung.

Wir sind eine Generation, die sich so oft und ausdauernd für Beziehungen über Distanz entscheidet wie keine zuvor. Was heißt es, wenn Fernbeziehungen zur Normalität werden? Welche Auswirkungen hat es gesellschaftlich, wenn eine ganze Generation zur Generation Fernbeziehung wird? Was bedeutet die gestiegene Flexibilität für die Haltbarkeit und Langfristigkeit von Beziehungen?

Verändern Fernbeziehungen unsere Art, Beziehungen zu führen? Ja. Es lässt sich darüber diskutieren, ob all die aus der Ferne geführten Beziehungen Ausdruck steigender Unabhängigkeit sind. Heute sehen wir hohe Flexibilität in allen Lebensbereichen. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass diese Flexibilität und Fernbeziehungen zu unverbindlicheren Partnerschaften geführt haben. Im Gegenteil, ich bin beeindruckt von all den überaus langjährigen Partnerschaften in unserem Freundeskreis, die die unterschiedlichsten Fernbeziehungskonstellationen über oftmals lange Zeit überstanden haben. Ist vielmehr in einer Zeit, in der alles immer flexibler wird, unsere Wohnorte eingeschlossen, die Beziehung einer der Fixpunkte, um die sich alles dreht? Nur die räumliche Komponente wird flexibler, die Beziehungen selbst sind sehr gefestigt, scheint es.

Sicher spiegeln Fernbeziehungen in einer zusätzlichen positiven Hinsicht Unabhängigkeit wider - wie selbstverständlich es heute meistens ist, dass beide Partner ihre (beruflichen) Vorstellungen verwirklichen möchten und sich gegenseitig die Freiheit hierfür zugestehen. Letztlich muss aber oft einer von beiden zurückstecken, will man sich auf einen Ort einigen. Wer gibt für den anderen seinen Beruf, seine Chancen, seine Wahl-Heimat auf? Wer steckt zurück? Diese Grundfragen, wie man seine Beziehung führen möchte, kommen bei einer Fernbeziehung offen zum Tragen, wenn eine Entscheidung für einen Ort ansteht.

Viele beenden das Modell Fernbeziehung irgendwann. Andere Paare führen noch (oder wieder!) eine Fernbeziehung, wenn längst Kinder da sind, weil die beruflichen Chancen in der einen Stadt liegen, Lebensmittelpunkt und Kitaplätze aber in der anderen. Vielleicht werden wir demnächst bis ins hohe Alter immer mal wieder Fernbeziehungen führen. Das muss nicht das Schlechteste sein. Wie genau die Fernbeziehungen unserer Generation letztlich unsere Art formen, Beziehungen zu führen und zusammen (oder getrennt) zu leben, wird sich in den nächsten Jahrzehnten weiter zeigen.

Welche Folgen hat dieses Modell der Liebe auf Distanz für ein Paar? Viele warten über Jahre auf den Zeitpunkt, endlich an einen Ort ziehen zu können. Was wir uns vielleicht während all der Zeit nicht klar machen, sind die noch lange spürbaren Auswirkungen, wenn wir unsere Beziehungen über Kilometer hinweg führen. Ich dachte, die Fernbeziehung ist in dem Moment vorbei, in dem wir in eine Stadt ziehen. Beide haben jedoch über Jahre (trotz der ständigen Zugfahrten am Wochenende zum Partner) in der jeweils anderen Stadt ein Leben aufgebaut: berufliche Kontakte, den Freundeskreis, Dinge und Orte, die man an der eigenen Stadt schätzt. Bestimmte Straßen, dieses und jenes Café, das Kino, das die OmU-Filme zeigt. Endlich in einer Stadt - und doch halten die Nachwirkungen der Fernbeziehung noch lange an, weil das Leben des einen in der anderen Stadt zurückgeblieben ist. Die Nebenwirkungen unserer Flexibilität und des Wunsches, alles haben zu wollen?

Vielleicht ist es am wichtigsten zu erkennen, wie viel Flexibilität zu viel ist. Wann ist der Punkt gekommen, an dem man die Fernbeziehung eintauschen muss gegen das Leben an einem Ort? All die Jahre der Flexibilität können uns so viel geben. Wenn wir über Katar und Australien, über Berlin, München, Paris und Hamburg diskutieren, möchte keiner, den ich kenne, diese Erfahrungen tauschen. Und wenn es gelungen ist, zum für uns richtigen Zeitpunkt die gemeinsame Entscheidung für einen Ort zu treffen, ist das Verrückte: Nach all den spannenden Stationen, ob Tauchen mit Haifischen in Australien, das Praktikum in Singapur oder der interessante Job in München, ist für lange Zeit das gemeinsame Tatort-Gucken am Sonntagabend viel aufregender. Weil wir nicht an irgendeinem Bahnhof stehen und auf den Zug warten.

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