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Leukämie in der Schwangerschaft: "Meine Tochter hat mich gerettet!"

Leukämie in der Schwangerschaft: Mareike Bothe hat die Krankheit überlebt
© privat
BRIGITTE.de-Leserin Mareike Bothe bekam während der Schwangerschaft eine schreckliche Diagnose: Leukämie. Hier erzählt sie von ihrem Leidensweg - und von ihrem Glück.

Die Geburt meiner Tochter ist mein zweiter Geburtstag

Ich sitze in der Klinik auf meinem Bett und halte mein lebensrettendes, 2.500 Gramm leichtes Bündel voll purem Glück in den Armen. Draußen ist es ungemütlich. Ich spüre Dankbarkeit. Das erste Mal seit Wochen finde ich Ruhe. Der Weg, der hinter mir – hinter uns – liegt, ist unfassbar. Mein persönlicher Aufstieg zum Gipfel des Mount Everest. Wohl wissend, dass der schwierige Abstieg noch vor mir liegt. Nicht wissend, was er für mich bereithält.

Diesen Weg werde ich alleine gehen müssen. Ohne das kleine Herzchen unter meinem eigenen, das mir so viel Kraft gegeben hat. 

Es klopft an der Tür. Morgens um 9 Uhr. Familienbesuch? Eher unwahrscheinlich. Das letzte Mal, als mein behandelnder Onkologe mit solch ernster und angestrengter Miene den Raum betrat, waren die Nachrichten keine guten. Sofort beschlich mich dieses beklemmende Gefühl, als stünde das Wasser bis an meine Oberlippe, langsam, aber stetig steigend. Doch dieses Mal erhellt sich sein Blick, als er mich sieht. Seine Augen lachen. Er umarmt mich und gratuliert mir zur Geburt meiner kleinen Kämpferin. Zu meinem zweiten Geburtstag. 

Ich weiß nun: Das Leben lässt sich nicht planen

Ich bin davon überzeugt, dass es irgendwo da draußen eine höhere Macht gibt, manche nennen sie Schicksal, andere Vorbestimmung oder Karma, die Gläubigen unter uns nennen sie „Gott“. Sie ist es, die unser Leben lenkt. Sie ist es, die mir meine Tochter geschickt hat. Sie hat mein Leben gerettet. Sie ist meine Welt. Ich bin ihre Welt. Zusammen sind wir eins.

Als ich im Juli 2012 zur Schwangerschaftsvorsorge zu meinem Gynäkologen ging, hoffte ich, das Geschlecht meines ungeborenen Babys zu erfahren. Stattdessen fand ich mich bereits am nächsten Morgen im Krankenhaus. Eine 14-tägige Odyssee an Untersuchungen und Verdachtsdiagnosen lag hinter mir, als ich nach einer Knochenmarkpunktion am Freitag, dem 13. Juli 2012, erfuhr, dass ich Akute Myeloische Leukämie habe. KREBS. Ich bin 24 Jahre alt, habe einen wundervollen Mann an meiner Seite. Zusammen haben wir zwei süße Jungs, deren ersten und zweiten Geburtstag wir vor wenigen Wochen gefeiert haben. 

Ich will nicht sterben. Bitte. Ich will nicht sterben. Ich sterbe doch nicht, oder?

Ich habe keine Zeit, lange nachzudenken. Alle Vorbereitungen für die Chemotherapie werden getroffen. Der Abschied von meinen beiden kleinen Jungs ist das schlimmste. Ich darf sie während der Chemo nicht sehen. Keine Kinder unter zwölf. Zu hohes Infektionsrisiko. Schutzisolation. 

Der Tag des Abschieds zerreißt mir mein Herz. Was passiert, wenn ich hier nicht lebend rauskomme? Was, wenn dieser Abschied der letzte war? Da klopft es von innen, als wollte das kleine Mädchen in meinem Bauch mir sagen: „Mami, du bist nicht allein. Wir schaffen das!“ Ja. Ja natürlich. Wir müssen. Sie lebt durch mich. Ich lebe durch sie. Ich hatte keine eindeutigen Symptome. Wäre ich nicht mit ihr schwanger gewesen, wäre ich nicht zum Arzt gegangen. 

Es ist, als hätte ich zwei Leben

Nach ihrer Geburt bekam ich die letzte Zytostatika-Therapie. Mein Ziel war es, nach Hause zurückzukehren. Für immer. Eineinhalb Jahre lang musste ich dann einmal wöchentlich in die Klinik. Erhaltungstherapie, eine Art abgeschwächte Chemo. Es ging mir gut während dieser Zeit und ich wusste immer, wofür ich all das auf mich nehme. 

Heute ist das kleine kämpfende Herz von damals sechs Jahre alt. Ihre blauen Augen sind mein Himmel und erinnern mich oft schmerzlich daran, wie wertvoll das Leben ist.

Ich durfte das Wunder, ein Baby zu bekommen, noch zwei weitere Male erleben. Ich habe fünf gesunde Kinder. Mom of Five. Der Alltag hat mich fest im Griff. Ich bin eine ganz normale Mama. Und ich bin sehr froh, dass ich mich wieder über Kleinigkeiten aufregen darf, dass wir alle gesund sind, dass es hier laut ist und voller Leben.

Es ist, als hätte ich zwei Leben. Davor und danach. Obwohl ich die Gefühle von damals wie auf Knopfdruck aktivieren kann, fühlt es sich manchmal an wie die Geschichte einer anderen. So unwirklich. So fantastisch. 

Zur Person: Mareike Bothe (30) bezeichnet sich selbst als "Vollblut-Mama". Sie ist seit acht Jahren mit ihrem Mann verheiratet, zusammen haben sie fünf Kinder im Alter von 2, 3, 6, 7 und 8 Jahren und nebenbei einen kleinen Hobby-Bauernhof. Ruhe findet sie im Schreiben - dabei sortiert sie ihre Gedanken und Gefühle. 

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