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"Eine Schönheits-OP für mein Baby!? Ich sah keinen anderen Ausweg"

BRIGITTE.de-Leserin Eva Mell erzählt, warum sie sich dafür entschied, ihr Baby fünf Stunden lang am Kopf operieren zu lassen.
Kraniosynostose: Eine Mutter erzählt
Eva Mell ist Redakteurin, Bloggerin und Mama. Auf ihrem Blog https://evameintsgut.de schreibt sie über ihre Versuche, ein fast perfektes Leben zu führen – wobei natürlich einiges schief geht.
© privat

Die Ärzte sagten: "Das verwächst sich"

Mein Mann und ich haben das niedlichste Baby der Welt. Okay, es ist mit einer etwas schiefen Stirn auf die Welt gekommen, ein Auge erschien irgendwie größer als das andere, und auf der Nase war eine seltsame Falte.

"Verwächst sich", sagten die Ärzte dazu, die ich gefragt habe. Und für uns spielte es erst einmal sowieso keine Rolle. Vom ersten Moment an fanden wir unser Kind perfekt.

Aber nach einer Weile wurde ich dann doch stutzig. Nichts hat sich verwachsen. Im Gegenteil. Die Stirn blieb auf der einen Seite total flach und beulte auf der anderen Seite immer mehr aus. Doch noch immer hätte mein Baby jeden Schönheitswettbewerb gewonnen – zumindest, wenn ich in der Jury gesessen hätte.

Ich fing an, mir auszumalen, wie meine Tochter mir Vorwürfe machen würde

Doch ich fing an, mir auszumalen, wie meine Tochter mir mit 16 Jahren Vorwürfe machen würde: "Mama, warum hab ich so eine schiefe Stirn?" – "Naja, der Arzt hat gesagt, es sei doch nicht so schlimm, und ich fand dich auch so total niedlich." Nein, so wollte ich mein Zukunfts-Ich nicht reden hören.

Also hörte ich auf mein Gefühl und ignorierte alle Verharmlosungen der Kopfform – auch auf die Gefahr hin, dass ich als Übermutter gelten würde. Als eine, die jede Kleinigkeit untersuchen lässt. Eine, über die die Ärzte in ihrer Freizeit bei Freunden lästern. Sollten sie doch!

Es folgte eine zum Glück relativ kurze Odyssee zu ein paar Ärzten und einem Osteopathen. Er schlug eine Helmtherapie vor und verwies mich sofort an die richtige Stelle, nachdem er sicher war, dass wir bei ihm nicht an der richtigen Adresse waren. Bei dieser Therapie bekommt das Baby einen Helm aufgesetzt, in den der Kopf im Laufe mehrerer Monate hineinwächst wie in eine Kuchenform. "Mein armes Baby", dachte ich. Aber ich ging hin. Wenn ich geahnt hätte, was mein Kind wirklich hatte, dann hätte ich mich über die harmlose Helmtherapie gefreut.

Das Gehirn wuchs nach links

"Kraniosynostose": Der Arzt, der mir schließlich die Diagnose gab, bat mich noch, das auf keinen Fall zu googeln. "Da machen Sie sich nur unglücklich." Was soll ich sagen? Ich habe es trotzdem getan.

Der Mensch hat fünf Schädelplatten. Am Anfang des Lebens sind sie noch nicht miteinander verwachsen. So passt das Köpfchen problemlos durch den Geburtskanal, weil die Platten sich verschieben können. Und nach der Geburt kann das Gehirn ungehindert dorthin wachsen, wohin es wachsen muss. Erst mit den Jahren verwachsen die Schädelplatten und bilden einen festen Schädel.

Kraniosynostose bedeutet, dass die Schädelplatten zu früh zusammenwachsen. Mein Baby hatte wahrscheinlich schon im Mutterleib zwei zusammengewachsene Schädelplatten.Die rechte Stirnplatte war mit der dahinterliegenden Schädelplatte verwachsen. Das heißt auf Schlau: Koronarnahtsynostose. Kraniosynostosen sind selten. Laut Wikipedia kommen sie bei einem von 2000 Kindern vor.

Weil die beiden Schädelplatten zu früh miteinander verwachsen waren, konnte die Stirnplatte auf der rechten Seite nicht nach vorne wachsen. Sie wurde ja von der dahinterliegenden Platte festgehalten. Also wuchs das Gehirn nach links vorne. Noch fiel es den meisten Leuten kaum auf. Noch.

Der Arzt erklärte mir, wie sehr sich ihr Kopf im Laufe der Zeit deformieren würde, wenn man nichts unternähme.

Diagnose Kraniosynostose: Spezialisten rieten zur OP

Spezialisten aus zwei Unikliniken bestätigten schließlich die Diagnose und rieten zur Operation. Die Schädelplatten sollten wieder getrennt und die Stirnfront beim Eingriff begradigt werden. Der Arzt eines Teams sah meinem Baby ins Gesicht und sprach das Wort "Harlekinismus" aus. Er meinte damit, dass ihr gesamtes Gesicht schief sei.

Obwohl wir unser Baby genau so lieben, wie es auf die Welt gekommen ist, wurde uns klar, dass wir die vier- bis fünfstündige Operation machen lassen müssen.

Der Eingriff hatte ästhetische Gründe - war das okay?

Die Operation hatte also vor allem ästhetische Gründe – die aber nicht zu unterschätzen sind. Wenn eine Stirnseite zurückbleibt und die andere immer mehr ausbeult, sind psychische Probleme eine wahrscheinliche Folge. Es war klar, dass wir das nicht so lassen konnten.

Trotzdem habe ich mich immer unter Rechtfertigungsdruck gesehen, wenn andere mich fragten, warum die Operation gemacht werden müsse. "Nur" von ästhetischen Gründen zu sprechen, erschien mir nicht genug. Ich hatte dann fast das Gefühl, ich mute meinem Baby eine unnötige Schönheitsoperation zu. Doch letztlich wusste ich immer, dass ich ihr noch viel mehr zumuten würde, wenn ich der Operation nicht zustimmen würde.

Inzwischen haben wir die Operation hinter uns. Die riesige Narbe, die im Zickzack quer über ihren Kopf führt, ist immer noch zu sehen, aber endlich wachsen Haare über die Sache.

Nach der Operation waren ihr Köpfchen und auch ihre Augen zwei Tage lang so stark angeschwollen, dass sie gar nichts sehen konnte. Es war hart, meine Tochter so leiden zu sehen, aber die wenigen anstrengenden Tage haben wir gut überstanden. Und schon jetzt ist das Ergebnis beeindruckend. Ihre Stirn und ihr Gesicht sind annähernd symmetrisch. Sie sieht "normal" aus. Und das ist in diesem Fall einfach die beste Wahl.

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