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Weihnachten als Patchwork-Familie - sechs Kinder, vier Länder

Bestsellerautorin Hera Lind hat sich vom traditionellen Weihnachten verabschiedet: In ihrer Patchwork-Familie wird nicht gebastelt, gesungen und Sinnloses geschenkt, dafür viel Zeit miteinander verbracht. Warum das mit sechs Kindern, die über vier Länder verstreut sind, auch eine Herausforderung ist, erzählt sie in den "Stimmen".

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Weihnachten ist das traditionelle Fest der Familie - und sieht vor, dass wenigstens einmal im Jahr alle Familienmitglieder in feierlicher, friedlicher Stimmung in geschmückter Atmosphäre bei gutem Essen und Musik zusammenkommen, um ... ja, was eigentlich? Jesu Geburt zu feiern? Die Zeiten des besinnlich-gemütlichen Nüsse-Knackens, Blockflöte-Spielens und Evangelium-Lesens sind in den modernen Haushalten weitestgehend vorbei - so auch bei uns; und auch wenn es unter Promis gerne behauptet wird, um das Image aufzupolieren: Nein, wir basteln keine Strohsterne, singen nicht mehr unter dem Weihnachtsbaum und ich stopfe auch, ganz ehrlich, keine Gans mit Dörrpflaumen aus. Das alles diente ja früher dem Deutlichmachen des Besonderen, des Einmaligen, des "Festlichen".

Festlich und besonders ist bei uns Weihnachten immer noch. Nachdem wir nun im weitesten Sinne gar keine Familie - Papa, Mama, Kinder, Oma, Opa, Hund, Katze, Maus - mehr sind, sondern eine so genannte Patchwork-Familie, mit sechs erwachsenen Kindern und vier Eltern, die auch noch auf zwei Kontinenten und in vier Ländern lebt (zwei meiner Kinder studieren zur Zeit im Ausland), sieht ein modernes Weihnachten anders aus. Wichtig ist tatsächlich noch der Kern des guten Gedankens: das friedvolle, feierliche und herzlich-liebevolle Beisammensein. Unwichtig, ja, sogar unerwünscht ist grundsätzlich der Geschenkezwang. Nichts finde ich ätzender als die Flut von elektronischen Geräten und/oder überflüssigem Krimskrams, die unter der Kategorie "Verlegenheitsgeschenke" abgehakt und irgendwann unauffällig entsorgt werden. Was die Kinder brauchen, kriegen sie im Lauf des Jahres. Zu Weihnachten schenken wir unseren Kindern gemeinsame Erlebnisse. So bekommt jedes Kind eine Reise entweder mit mir oder mit meinem Mann allein. Dadurch festigt sich die Eltern- Kind-Beziehung und bleibt lebendig, spannend und intensiv. Die gemeinsamen Erlebnisse und Begegnungen prägen uns und schweißen uns dauerhaft zusammen.

Uns ist an Weihnachten wichtig, dass man sich trifft, miteinander spricht, einander zuhört, zusammen isst, Spaziergänge macht und zusammen lacht oder auch mal das ein oder andere ernste, tiefe Gespräch führt. Das alles geht, allerdings nur mit einigem Aufwand und in zwei Etappen: Zum in Amerika sehr beliebten "Thanksgiving", Ende November, schlagen mein Mann und ich bei den Töchtern meines Mannes in Kalifornien auf und verbringen dort zwei gemeinsame Wochen mit dem Höhepunkt des feierlichen Truthahn-Dinners, um dann einige Wochen später Weihnachten mit meinen vier erwachsenen Kindern in Österreich, im Hotel meines Mannes in der Steiermark, zu verbringen und dort das typische "Ganserl mit Rotkraut und Knödeln" zu zelebrieren. Mein Mann hat zu meinen, sprich unseren Kindern, ein wunderbares Verhältnis, ist er doch seit fünfzehn Jahren ein wichtiger, fester Bestandteil unserer Familie. Jedes Weihnachten fragt er beim Essen: "Und was war dieses Jahr Euer schönstes und was war Euer traurigstes Erlebnis?" Da kommen unglaublich tiefe, berührende Bekenntnisse. Bei seinen Töchtern in Kalifornien spielen wir beide eher die Rolle des seltenen, wenn auch sehr gern gesehenen Besuchs.

Was wir als Patchwork-Eltern als Sinn dieser beiden Familienfeste erkennen, ist der regelmäßige, herzliche Kontakt, das Vertrauen, das sich in Gesprächen beim Essen oder bei ausgedehnten Spaziergängen immer wieder aufbaut und vertieft, der Spaß, den wir miteinander haben, und die Pläne, die wir immer wieder schmieden. Spiele sind Weihnachten bei uns sehr beliebt und ziehen sich oft über Nächte hin. Wir Eltern hüten uns allerdings, ungefragt Ratschläge zu erteilen, denn unsere "Kinder" stehen dermaßen gefestigt und selbstbewusst im Leben, dass ich oft das Gefühl habe, wir Alten können noch was von ihnen lernen. Mein Mann übernimmt das Dekorieren und Kochen, ich das Entertainment in Form von Erzählen. Singen ist (leider, hahaha) unerwünscht. Besonders beliebt jedoch sind "Geschichten aus der Kindheit", denn wir stammen ja noch aus dem letzten Jahrtausend, was oft genug zum schön-schaurigen Gruseleffekt führt: Ohne Fernseher, ohne Auto, ohne Telefon und ohne Plattenspieler bin ich tatsächlich mit Hausmusik, Kirchenchor und Straßentennis aufgewachsen und bin stundenlang zu Fuß gegangen. Vielleicht habe ich deshalb so viel Fantasie, Frohsinn und Bewegungsdrang? Das ist es, was ich den Kindern mitgeben kann. Es ist nicht das Materielle, was für uns Weihnachten ausmacht. Es ist die liebevoll und sorgfältig zugebrachte, gemeinsame Zeit.

Text: Hera Lind

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