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Dresden gegen den Rest der Welt - was Pegida aus meiner Heimat macht

Zehntausende gingen bei der Pegida-Gegendemonstration am 10. Januar in Dresden auf die Straße.
Zehntausende gingen bei der Pegida-Gegendemonstration am 10. Januar in Dresden auf die Straße
© picture alliance/AP Photo
Eigentlich lebt Regina Rullmann gern in Dresden. Doch seit die Pegida-Bewegung dort für Schlagzeilen, Demos, Gegendemos und Demoverbote sorgt, macht auch Rullman sich Sorgen - und in der Leserkolumne "Stimmen" Gedanken: Um das Leben in ihrer Stadt und die Wirkung, die von Pegida ausgeht.
Regina Rullmann, 34, ist gebürtige Leipzigerin, Wahl-Dresdnerin und im Herzen Europäerin. Die zweifache Jungsmutter (8 und 12 Jahre) und Diplom-Übersetzerin drückt noch einmal die Schulbank und studiert Kindheitspädagogik. Nebenbei schreibt, näht und bäckt sie und bloggt auf koeniginnenreich.blogspot.de
Regina Rullmann, 34, ist gebürtige Leipzigerin, Wahl-Dresdnerin und im Herzen Europäerin. Die zweifache Jungsmutter (8 und 12 Jahre) und Diplom-Übersetzerin drückt noch einmal die Schulbank und studiert Kindheitspädagogik. Nebenbei schreibt, näht und bäckt sie und bloggt auf koeniginnenreich.blogspot.de
© privat

Es könnte alles so schön sein. Meine Wahlheimat Dresden ist eine großartige Stadt: Kunst und Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft, Natur und Architektur verbinden sich zu einer lebendigen und sehr lebenswerten Einheit. Über 540.000 Einwohner und die höchste Geburtenrate Deutschlands zeigen das eindrucksvoll. Seit Jahren überwiegen die Zuzüge die Wegzüge,Tendenz steigend. Die Stadt ist als einige der wenigen hierzulande komplett schuldenfrei, hat eine reichhaltige Auswahl an Angeboten in Sachen frühkindlicher Bildung und Betreuung, ein extrem gut ausgebautes ÖPNV-Netz, die Arbeitslosigkeit liegt mit 6,8 Prozent nur knapp über dem deutschen Durchschnitt. International agierende Unternehmen, 45 Forschungsinstitute und 11 Hochschulen (darunter eine der wenigen deutschen Exzellenzuniversitäten) ziehen Studierende, Wissenschaftler und Forscher aus aller Welt an. In 35 Theatern und über 90 Museen und Galerien zeigen Künstler von hier und anderswo ihr Können. Rings um die Stadt liegen unzählige, wunderschöne Naturlandschaften, von den breiten Elbwiesen über mehrere große Waldgebiete bis hin zu den bizarren Sandsteinformationen der Sächsischen Schweiz. Es gibt nichts, was Dresden nicht hat (okay, außer richtig gute Badeseen vielleicht) und es lebt sich wirklich gut hier.

Doch leider ist Dresden im Moment noch für etwas ganz anderes bekannt: Seit der Vorweihnachtszeit macht hier eine Bewegung mit dem sperrigen Namen Pegida auf sich aufmerksam. Die "Patriotischen Europäer" demonstrierten Montag für Montag "gegen die Islamisierung des Abendlandes" und noch gegen so einiges andere mehr. Ich möchte mich hier nicht inhaltlich zu Pegida äußern, das haben andere schon zur Genüge getan. Nur so viel: Ich verstehe nicht, wie man mit dieser Bewegung sympathisieren kann. Sicher läuft bei Weitem nicht alles richtig in diesem Land. Aber gemeinsam mit Hooligans, Rechten und einem Anführer mit krimineller Vergangenheit auf die Straße zu gehen und gegen andere, oftmals schwächere Menschen zu hetzen, halte ich für den falschen Weg.

Zehntausende gingen bei der Pegida-Gegendemonstration am 10. Januar in Dresden auf die Straße.
Zehntausende gingen bei der Pegida-Gegendemonstration am 10. Januar in Dresden auf die Straße
© picture alliance/AP Photo

Deshalb habe ich jede Gegenveranstaltung besucht - auch, um zu zeigen, dass Dresden nicht nur aus Pegida-Anhängern besteht. Dieses Zeichen, vor allem für die Welt außerhalb Dresdens, finde ich ungeheuer wichtig. Aber es reicht nicht, einmal in der Woche im Regen auf die Straße zu gehen, dadurch verändert sich nichts. Daher engagiere ich mich seit vielen Jahren an meiner Hochschule gegen Diskriminierung jeglicher Art. Ich hinterfrage meine eigenen Vorstellungen und Urteile immer wieder und gehe bewusst auf Menschen zu, die mir fremd sind. Und wenn in der nächsten Woche in meinem Stadtteil das neue Asylbewerberheim öffnet, werde ich vor Ort sein und meine Hilfe anbieten.

Noch schlimmer als die fragwürdigen Überzeugungen der Pegida-Mitglieder finde ich jedoch deren Wirkung auf unsere Stadt einerseits und den Rest der Welt andererseits. Ich habe das Gefühl, dass Stammtischparolen plötzlich wieder salonfähig werden und sich einige Menschen berechtigt fühlen, unter dem Deckmantel der "freien Meinungsäußerung" andere Menschen oder ganze Bevölkerungsgruppen öffentlich zu beschimpfen und zu verunglimpfen. In Dresden selbst bekommen das vor allem Menschen aus anderen Ländern und Kulturen zu spüren. Viele sahen sich in den letzten Wochen verstärkt Anfeindungen und Beleidigungen ausgesetzt. Eine meiner türkischen Bekannten hat Dresden bereits verlassen, eine Freundin aus Südamerika lebt seit Beginn der Demonstrationen in ständiger Angst. Gehässige Kommentare auf offener Straße, ein Abrücken von ihr in der Straßenbahn oder "Ausländer raus!"-Rufe auf ihrer Arbeitsstelle sind für sie seitdem an der Tagesordnung. Montags hat sie sich seither - wie viele Menschen, denen man ihre Herkunft ansieht - kaum noch auf die Straße getraut.

Aber auch außerhalb Dresdens bemerke ich eine starke Tendenz zu Intoleranz und Vorverurteilung. Damit meine ich noch nicht einmal diejenigen, die insgeheim mit dem sympathisieren, was zur Zeit hier geschieht. Ich meine die vielen Menschen in Deutschland und der Welt, die angesichts der aktuellen Vorfälle ihre eigenen Vorurteile gegenüber Dresdnern, Ostdeutschen und Deutschen im Allgemeinen hervorholen und ebenso laut zu Gehör bringen. Kommentarfunktionen und Foren sind voll von üblen Beschimpfungen und gut gehegten Feindbildern gegenüber den Menschen, die hier leben. Da wird verallgemeinert, alles in einen Topf geworfen, nicht differenziert - ebenfalls Stammtischgerede par excellence. Und das ist keinen Deut besser als das Verhalten des Gefolges von Lutz Bachmann! Es ist genau das Gleiche, nur mit einem anderen imaginären Feindbild. Denn Intoleranz und Vorurteile bleiben Intoleranz und Vorurteile - egal, wem gegenüber.

Deshalb habe ich ein großes Anliegen, das an alle Menschen, ob Jung oder Alt, in Ost oder West, in Deutschland oder anderswo gerichtet ist: Seid offen füreinander! Lasst euch nicht von euren oder fremden Vorurteilen leiten! Werft nicht alle Menschen in einen Topf, nur weil ihr sie nicht kennt oder ein kleiner Teil von ihnen negative Schlagzeilen macht! Dresden ist NICHT Pegida! 20.000 "Spaziergänger" vertreten nicht über 500.000 Einwohner Dresdens, geschweige denn 13 Millionen Ostdeutsche oder 80 Millionen Bundesbürger.

Kritisiert die einzelnen, bedenklichen Strömungen, macht euch stark dagegen, aber setzt ihnen vor allem eins entgegen - etwas, das sie selbst nicht haben, können, wollen: ein Miteinander statt ein Gegeneinander. Ein Hinterfragen von Vorurteilen und Klischees, auch der eigenen, oftmals bequemen. Den Blick über den eigenen Tellerrand. Das persönliche Kennenlernen von Fremden, bevor man sich eine Meinung über sie bildet. Das Ersetzen von Gerüchten durch verlässliche Informationen und sachliche Fakten. Eine aktive Mitarbeit gegen Missstände in Stadtparlamenten, Parteien, Bürgerinitiativen, statt nur am Stammtisch und im Internet zu schimpfen. Offenheit. Neugierde. Das ist es, was ich mir in diesen Zeiten am meisten wünsche! Von allen Seiten. Und dann kann alles so schön sein.

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