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Wahnsinn in Rosa und Hellblau: Kinder, die Welt hat mehr als zwei Farben!

Dr. Judith Striek ist freiberufliche Beraterin für Menschenrechte. Sie liebt Selbermachen und Upcycling, betreibt leidenschaftlich Foodsharing und hat keinen Fernseher. Sie schreibt über Menschenrechte und Geschlechterverhältnisse und hier für alle, die genervt sind von Rosa und Hellblau.
Dr. Judith Striek ist freiberufliche Beraterin für Menschenrechte. Sie liebt Selbermachen und Upcycling, betreibt leidenschaftlich Foodsharing und hat keinen Fernseher. Sie schreibt über Menschenrechte und Geschlechterverhältnisse und hier für alle, die genervt sind von Rosa und Hellblau.
© privat
Rosa für Mädchen und Blau für Jungs? Für Judith Striek ist das keine Option, sondern ein Farbdogma, das schon Kleinkindern beibringt: Mädchen sind süß, Jungs wild, Punkt. In ihrer "Stimme" wünscht sie sich weniger Klischees - und mehr grüne Kinder-Shirts in den Läden.

Sobald man die Kinderabteilung eines Bekleidungsladens betritt, hat die Welt nur noch zwei Farben - Rosa und Hellblau. Man muss sich also sofort entscheiden, ob man etwas für Mädchen oder für Jungen sucht. Interessant ist, dass es im 19. Jahrhundert genau andersherum war: Rot als Farbe der Macht und Rosa (das kleine Rot) für Jungs. Blau als Farbe der heiligen Maria und Hellblau (das kleine Blau) für Mädchen. Ich habe keine Aversion gegen Rosa und Hellblau, aber gegen die ganzen Überzeugungen, die mit damit verbunden sind. Mädchen sind rosa, süß, fluffig, glitter und pink. Jungs sind wild, laut, stehen auf Autos und kämpfen.

Stellen Sie sich mal Ihre eigene Garderobe vor und dann stellen Sie sich das ganze nur noch in Rosa und Hellblau mit ein paar "Farbvarianten" vor - bei Jungs Grau, Dunkelbau und Schwarz, bei Mädchen Lila und Weiß. Fänden Sie das auf Dauer nicht langweilig? Und warum sollte das bei den Kindern anders sein? Vor Kurzem erzählte mir eine Freundin, dass ihr Sohn die ganzen Klamotten in Dunkelblau und Schwarz nicht anziehen wollte und erst glücklich war, als er orange und grüne T-Shirts hatte. Sein liebstes Stück ist die pinke Hose aus der Mädchenabteilung. Natürlich gibt es diese Farben hier und da zu kaufen, aber man muss lange danach suchen.

Es gibt nicht den klassischen Jungen und das klassische Mädchen, wie uns die Werbung vermitteln will, sondern unsere Kinder werden dazu gemacht. Durch die immer gleichen Werbebotschaften und die Erwartungen eines großen Teils der Gesellschaft, die sich bereits im Kindergarten manifestieren. Die Kleidung ist nur eine Form der Pflege dieser Stereotypen. Ich weiß, Sie werden jetzt sagen, aber mein Sohn rauft und tobt lieber als meine Tochter. Das mag auf einige so zutreffen, aber für viele ist es so, weil sie von klein auf die entsprechenden Botschaften und Ermunterungen erhalten haben. Jungen sind halt wild und Mädchen lesen lieber, alles andere ist komisch und entspricht nicht der Norm.

Es interessiert mich nicht, wie wildfremde Menschen es finden, wenn ein Junge eine pinke Hose trägt, aber sie meinen trotzdem, dass sie ihren Senf dazu geben können. Warum meint eine Kindergartenmutter, dass es lustig sei, stichelnd zu fragen, ob dieses Mädchen vielleicht ein Junge sei, weil sie den gängigen Klischees nicht entspricht? Oder umgekehrt, warum darf ein Junge zu Karneval nicht Prinzessin sein, ohne fiese Lacher zu kassieren? Grenzüberschreitungen dieser Art sind alltäglich, wenn man dafür Augen und Ohren öffnet.

Der ganze Wahnsinn hört ja bei der Bekleidung nicht auf. Es gibt Ü-Eier, Getränke und vieles anderes für Jungen und für Mädchen. Sie werden sagen, ja, weil Jungen und Mädchen unterschiedliche Bedürfnisse haben. Aber das ist nur so, weil wir das von ihnen erwarten und ihnen früh genug beibringen. Damit beschneiden wir ihre Wahlfreiheit zu sein wie sie möchten und was sie möchten. Sie kommen gar nicht dazu, ihre Chancen und Talente zur Entfaltung zu bringen, weil wir ihnen vermitteln, dass das nicht zum Rollenklischee passt. Für eine Sammlung der Absurditäten sei #ichkaufdasnicht empfohlen. Es hat auch nichts mit Gleichmacherei zu tun, sondern damit, zu akzeptieren, dass jedes Kind unterschiedliche Bedürfnisse hat.

Es gibt Lesestartbücher, die eindeutig den Geschlechtern zugeordnet werden - die Piraten für Jungs und die Pferde für Mädchen (das steht so deutlich auf dem Cover). Seit 2014 ist das so, 2012 bekam man diese Bücher noch ohne den entsprechenden Aufdruck. Also kann man einem Jungen wohl nicht das mit Pferden kaufen. Sofern man ihn nicht den Kommentaren sämtlicher KlischeefetischistInnen aussetzen will. Vielleicht hat er ja bis dahin begriffen, dass Pferde nichts für ihn sind und er sich für Piraten zu interessieren hat? Und hier noch einmal der Vergleich: Fänden Sie es nicht komisch, wenn demnächst auf jedem Roman stehen würde "Für Männer" oder "Für Frauen"? Fänden Sie es nicht auch merkwürdig, wenn Ihnen der Buchhändler Ihres Vertrauens (falls das nicht ein Online-Warenhaus ist) sagen würde: "Nein, dieses Buch kann ich Ihnen nicht empfehlen, das ist für Männer"?

Für welches Mädchen ist heutzutage der "Berufswunsch" Prinzessin noch zeitgemäß? Warum bieten wir unseren Mädchen nicht wesentlich spannendere Rollenmodelle/Vorbilder an, die sie in den entsprechenden Spielen nachahmen können? Und wenn wir wollen, dass Jungen sich später als Väter ganz selbstverständlich und liebevoll um den Nachwuchs kümmern, sollten sie das doch einfach als Kleinkinder schon mal mit Puppe und Puppenwagen üben können.

Wir nehmen unseren Kindern die Möglichkeit, alle Facetten ihrer Persönlichkeit zu entwickeln, wenn wir sie von klein auf in diese Geschlechterklischees zwängen, die mit Rosa und Hellblau einhergehen. Es sollte nicht die Frage "Wie muss ich sein?" im Vordergrund stehen, sondern "Wie will ich sein?". Wir selbst nehmen uns die Möglichkeit, uns und unsere Welt fernab von Klischees weiterzuentwickeln. Solange es Vorstellungen davon gibt, wie Jungen und Mädchen zu sein haben und was richtig oder falsch ist, wird sich an der Welt nichts ändern. Die Kinder, die diesen Klischees nicht entsprechen können oder wollen, werden unglücklich, weil ihnen vermittelt wird, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Sie wollen dazugehören und versuchen sich dem Rosa-Hellblau-Schema zu beugen. Sie fühlen sich nicht richtig, obwohl an ihnen nichts falsch ist. Es geht ja nicht darum, dass Rosa, Hellblau, Prinzessinnenkleidchen und Piraten verboten werden sollen. Es stört mich, dass es scheinbar nur noch diese geben soll und alles andere schon fast als abnormal betrachtet und kommentiert werden muss.

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