Anzeige

"Mädels, ihr passt nicht mehr zu mir!"

"Mädels, ihr passt nicht mehr zu mir!"
© zerocreatives/Westend61/Corbis
Es ist klug, eine Freundschaft zu beenden, die nicht mehr trägt. BRIGITTE.de-Leserin Sabine Strobl musste feststellen, dass ihre "Mädels" kein echtes Interesse mehr an ihr hatten - und machte einen befreienden Schritt.

Ich hatte ein anderes Leben gewählt

Wir kennen uns jetzt über 35 Jahre. Sieben Frauen aus Dortmund - "die Mädels". Alle gut ausgebildet und berufstätig. Wir gingen auf die gleiche Schule, wir spielten in einer Mannschaft Volleyball. Wir hatten Spaß zusammen. Leere Kalorienspeicher wurden nach dem Sport sofort mit heißer Schokolade aufgefüllt - der Beginn einer bis heute andauernden Stammtischtradition. Wir wohnten nah beieinander, Hochzeiten wurden gefeiert, Kinder geboren.

Bis zu dem Punkt Kinder konnte ich mithalten. Dann trennten sich die Wege meines Mannes und mir. Schon zu Schulzeiten hatten mich Weltenbummler fasziniert, und nach der Trennung ergab sich die Chance, selbst hinaus in die Welt zu ziehen.

Ein Jahr später fand ich mich in der französischen Schweiz wieder und nahm nach vielen Berufsjahren ein Studium auf. Es gab kein Sicherungsnetz - nichts. Nur einen geraden Schnitt zwischen altem und neuem Leben. Irre, verrückt, toll, wunderbar ... es gab viele Kommentare für meine Veränderung.

Aus geplanten zwei Jahren wurden mehrere Jahre in einem tollen Job in der wohl kleinsten internationalsten Stadt der Welt. Ich lebte meinen Traum.

Flexibilität hat einen Preis

2001 kehrte ich zurück Richtung Heimat, und mein Fokus lag nun auf meinem Berufsleben. Das bestimmte auch meinen Wohnort. Ich wollte einen passenden Job und nicht zwangsweise eine bestimmte Stadt.

Wie bei fast allen Dingen im Leben hängt auch an der Flexibilität ein Preisschild. So manche alte Verbindungen zu Freunden lösten sich durch die Umzüge auf, man schloss neue Freundschaften, davon lösten sich wieder einige auf. Vielen Kollegen, die mehrere Städte im Lebenslauf stehen haben, geht das genauso. Beziehungswechsel sind Teil des Preises, den wir für berufliche Veränderungen bezahlen.

Das mag manchmal ein Vorteil sein, kann man doch so ganz bequem ungeliebt gewordene Beziehungen im Sande verlaufen lassen. Schwieriger wird’s mit wertvollen Freunden und der Familie.

Jeder Mensch hat die Chance, sein Leben nach seinen eigenen Wünschen zu gestalten. Take it, leave it or change it. Jede Entscheidung sollte man akzeptieren - wichtig ist doch, dass der Entscheider glücklich ist. Oder? Gewohntes in Frage zu stellen oder zu verändern kann aber auch Tsunami-ähnliche Reaktionen im vertrauten Kreis hervorrufen. Nicht so mit den Mädels. Dachte ich wenigstens.

Entfremdung

Über 20 Jahre wohne ich jetzt nicht mehr in Dortmund – die sechs Mädels nach wie vor. In dieser Zeit muss die zunächst unsichtbare Plattenverschiebung begonnen haben. Was war der Auslöser? Neid? Unzufriedenheit?

Wann immer ich konnte, kam ich zu Besuch vorbei. “Hab‘ gerade so viel um die Ohren - ach, Du bist ja demnächst wieder hier ...“ waren beliebte Argumente, sich selbst nicht auf den Weg machen zu müssen. Warum schwingen sich die einen ins Auto, die anderen nur auf die eigene Couch?

Über die Jahre zogen sich die Mädels weiter zurück. Sie haben, völlig verständlich, ein ganz anderes Verhältnis zueinander, als ich es jemals zu ihnen haben werde. Kinder wurden gemeinsam groß gezogen, Freud und Leid geteilt - ich (Kinderlose) war nicht oft präsent.

Ich wollte den Kontakt wieder intensivieren

Heute wohne ich in der Nähe von Dortmund, arbeite aber 80 Kilometer entfernt. Laut Google ein Klacks – hätten Verkehrsplaner mitgedacht. Das Ruhrgebiet ist zu Berufszeiten ein Alptraum, jeder Weg die Wahl zwischen Pest oder Cholera. Gerne wollte ich den Kontakt zu den Mädels wieder intensivieren und überlegte, wie. Stets hatten sie für Dienstpläne, Kinderkrankheiten und Urlaube Terminlösungen gefunden - was sind dann also schon ein paar Kilometer?

Eine Menge, lernte ich. Wochenendtreffen wurden kategorisch abgelehnt, bevorzugt wurde ein Montag. Für mich eine Strecke von 120 Kilometer und 2,5 Stunden Fahrzeit. Ging es jemals um eine gemeinsame Lösung?

Ein Besuch war ihnen zu mühsam

Ok, dachte ich, dann zeigt mal euer Gesicht. Die Gelegenheit kam über WhatsApp. Frage an mich: "Schlag eine Lösung für den Stammtisch vor, wenn Du nicht kannst." Antwort an alle: "Kommt doch mal zu mir." Einzelantwort an mich: "Da muss ich ja fahren." Stillschweigen bei den anderen.

Da baute sie sich auf - die Welle. Und legte in der nachfolgenden Zeit die wahre Einstellung frei: “Du bist gegangen. Warum sollen wir deshalb Aufwand für Dich in Kauf nehmen?“ Gelegentlich gab es eine vernünftige Gegenstimme, aber schön mit Sicherungsnetz: “Man könnte das ja auch mal so machen, aber ich schließe mich natürlich der Mehrheit an.“ Was ist das bitte für eine Einstellung?

Ein befreiender Schritt

Sabine Strobl (52) hat in Genf bei den Vereinten Nationen volontiert und beim Auswärtigen Amt gearbeitet. In internationalen Konzernen in Köln/Eschborn war sie Vorstandsassistentin, heute im Investor Relations Bereich in Düsseldorf. In ihrer Freizeit fotografiert sie, designt Kameragurte und schreibt den Reiseblog www.mooli-art.de
Sabine Strobl (52) hat in Genf bei den Vereinten Nationen volontiert und beim Auswärtigen Amt gearbeitet. In internationalen Konzernen in Köln/Eschborn war sie Vorstandsassistentin, heute im Investor Relations Bereich in Düsseldorf. In ihrer Freizeit fotografiert sie, designt Kameragurte und schreibt den Reiseblog www.mooli-art.de
© privat

Nur um das klarzustellen: Es ging mir um zwei Besuche im Jahr bei mir und einen gemeinsame Termin zum Jahresende – in Dortmund. Aber abends um 19:30 Uhr auf die Autobahn? Zu viel Stau. Ein gemeinsames Essen? Gerne, aber der November oder ein Neujahrsessen lägen doch zu nah an Ostern. "Ist halt schade, dass Du im Dezember nicht kannst." Das war’s. Von Charles de Gaulle stammt das Zitat: „Staaten haben keine Freunde. Sie haben Interessen.“

Echte Freunde haben für mich keine Interessen. Es ist eine Freundschaft um des Freundes willen - verbunden durch Werte, Respekt und Vertrauen, egal, wie nah oder wie weit entfernt man voneinander ist, wie oft man sich sieht oder hört. Die Mädels waren es mir wert, Zeit in sie zu investieren.

Früher habe ich mich gefragt, was ich tun muss, damit ich in einer Gruppe dabei sein kann. Nichts - das ist die richtige Antwort. Die Menschen müssen zu mir passen. Wenn sich ein Investment nicht mehr lohnt, ist es gut, auszusteigen. Die einen können das schnell, die anderen brauchen dafür länger. Aber egal wann - ein konsequenter Schnitt befreit.

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel