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"Endometriose versaut mein Leben - jeden Tag aufs Neue"

Was in ihrem Inneren stattfindet, nennt Martina Liel ein gynäkologisches "Dawn of the Dead". Sie hat Endometriose - und seit über 25 Jahren Schmerzen. Wie es ist, wenn der Körper zum Feind wird.
Martina Liel, 39, arbeitet als Texterin und lebt mit Mann und Hund in Bonn. Auf ihrem Blog endobay.de berichtet sie über das Leben mit Endometriose. Zudem engagiert sie sich in der Endometriose-Selbsthilfegruppe Bonn: facebook.com/endometrioseshgbonn.
Martina Liel, 39, arbeitet als Texterin und lebt mit Mann und Hund in Bonn. Auf ihrem Blog endobay.de berichtet sie über das Leben mit Endometriose. Zudem engagiert sie sich in der Endometriose-Selbsthilfegruppe Bonn: facebook.com/endometrioseshgbonn.
© Privat

In meinem Bauch findet ein gynäkologisches "Dawn of the Dead" statt: Zellen wandeln sich zu Gewebe um, das man sonst nur in Gebärmutter oder Eileitern findet, und bekommen neues Leben eingehaucht. Unter Einfluss von Hormonen treiben sie ihr Unwesen mit inneren Blutungen und Entzündungen. Ich habe Endometriose. Die Krankheit ist unheilbar.

Seit 25 Jahren leide ich an wiederkehrenden Schmerzen, von denen manche Frauen, die beides erlebt haben, sagen, sie seien schlimmer als Wehen. Zweimal hätte mich die Krankheit fast das Leben gekostet. Ich habe Organteile verloren. Ich kann keine Kinder bekommen. Endometriose ist chronisch, die Ursache unbekannt. So gibt es keine Therapie. Man kann nur versuchen, mit Schmerzmitteln und Hormonen die Symptome abzumildern.

Mit Endometriose wird man nicht ernst genommen

Und als wäre dies alles nicht schon schlimm genug, sieht man sich als Betroffene nur Missverständnissen und Unverständnis gegenüber. Viele Menschen denken, Endometriose zeige sich lediglich mit starken Regelschmerzen. Doch so fängt die Erkrankung oft nur an. Chronische Schmerzen, Darmverschluss, Organschäden, Selbstkatheterisierung, Nierenstauung - Themen, die unter Betroffenen häufiger vorkommen, als man vielleicht denkt.

Nicht jede Endometriose verläuft gleich heftig. Die Symptome sind auch nicht jeden Tag gleichermaßen schlimm. Dies sorgt in der Umwelt für Verwirrung und erweckt schnell den Eindruck, dass man gar nicht so krank sein könne. Die Rolle als Mobbing-Opfer ist geradezu vorprogrammiert.

Doch besonders schlimm wird es, wenn man selbst von manchen Ärzten nicht ernst genommen wird. "Jede Frau hat da so ihre Probleme". Das waren die Worte meines ersten Frauenarztes. Damals war ich 15. Die Endo sollte erst mit fast 29 diagnostiziert werden.

Ein Arzt sagte mir nach Besprechung meiner Symptome: "Tun Sie sich mal was Gutes, gehen Sie mal einen Kaffee trinken!" Seitdem vermute ich ja hier die Ursachen meiner Probleme: Ich bin Teetrinkerin... Es ist nicht einfach, sich mit einer Frauenerkrankung durch eine Männerwelt zu schlagen.

Ich bin nicht faul, ich habe Endometriose!

Ich habe mir immer alles erarbeitet, habe mein Studium selbst finanziert und während meiner Auslandssemester sogar drei Nebenjobs gleichzeitig gehabt. Ich will weiterhin Leistung erbringen – aber ich kann nicht. Es ist, als sei ich in diesem Körper gefangen, der sich mir immer wieder verweigert, sobald ich Gas gebe. Die Endometriose hat mir die Chance verwirkt, ein emanzipiertes, selbstbestimmtes Leben zu führen.

Es war gerade mal eine Woche nach meinem Uni-Abschluss, als ich mich auf der Intensivstation wiederfand und man mir vier Kilo Gewebe, unter anderem 30 Zentimeter Darm, entfernt hatte. Ein Jahr später kam dann die Not-OP wegen Darmverschluss. Ich habe fast vier Jahre gebraucht, um wieder einigermaßen Energie zu haben, einen Tag bis zum Abend durchzuhalten. Während meine Freunde durch Praktika, Referendariate und Doktorprogramme gingen, war ich damit beschäftigt, meine Verdauung wieder auf die Reihe zu kriegen.

Altersarmut, ich komme!

Ich konnte nur stundenweise arbeiten, hatte nicht die Chance, in feste Arbeit zu kommen. Anfangs unterrichtete ich Deutsch für Migranten an der Volkshochschule. Fünf Stunden reichten bis zur totalen Erschöpfung völlig aus. Mittlerweile hatte ich durch die Hormonbehandlung noch mit plötzlichen Unterzuckerungszuständen und zittrigen Schwächeanfällen zu tun.

Auf der Agentur für Arbeit sagte man mir, man könne mir nicht helfen. Ich solle mich besser selbständig machen, dann könne ich die Arbeit nach meinen Symptomen ausrichten. Zurzeit bin ich als freiberufliche Texterin tätig, was mir sehr viel Spaß macht, aber zum Leben nicht ausreicht.

Von offizieller Seite ist niemand für mich zuständig. Das soziale Netz hat für Fälle wie meinen keine Maschen. Chancengleichheit gilt anscheinend nur für kalkulierbare Beeinträchtigungen. Die Endometriose ist zu unberechenbar. In den Foren lese ich immer wieder von Frauen, die wiederholt ihre Arbeitsstellen verlieren, weil sie Endo bedingt häufig ausfallen.

Aus Angst vor dem sozialen Abstieg schleppen sich viele trotzdem hin und erhalten die Rechnung: Schmerzen, Blutungen, Zusammenbrüche. Wir brauchen dringend Hilfe! Spezielle Arbeitsmodelle und Eingliederungshilfen, Umschulungen für Tätigkeiten im Home Office-Bereich, was weiß ich. Aber meine Wünsche sind wohl utopisch, Endometriose hat keine Lobby. Immerhin, mir wurde ein Grad der Behinderung von 30 Prozent anerkannt. Juchhe, ich kann 310 Euro pauschal von der Steuer absetzen...

Endometriose bestimmt mein Leben

Das schlechte Gewissen begleitet mich jeden Tag. Besonders meinem Mann gegenüber, von dem ich finanziell komplett abhängig bin und dessen Leben durch die Unberechenbarkeit meiner Erkrankung ebenso wenig planbar geworden ist. Verabredungen müssen spontan abgesagt werden, ich habe immer Angst, uns durch eine schlechte Phase Urlaub oder Wochenende zu versauen.

Oft genug liege ich vor Schmerzen mit der Wärmflasche auf der Couch und komme mir einfach nur nutzlos vor. Ich bin nicht alt, und trotzdem bin ich uralt. Joggen, Springen, Tanzen - das ist alles nicht mehr drin. Seitdem die Endo mit dem Ischias flirtet, ist auch Fahrradfahren kein einfaches Thema mehr. Meine einzige sportliche Aktivität: Ich gehe mit meiner Hündin spazieren, ohne die ich mich wahrscheinlich nur noch zuhause verkriechen würde.

Die Operationen liegen nun 10 Jahre zurück. Heute sind die Geschwüre in ihrer vollen Größe wieder da. Die Ärzte meinen einstimmig, ich solle die Schmerzen solange aushalten, wie es nur ginge. Bei einer weiteren OP würde ich mit hundertprozentiger Sicherheit mit künstlichem Darmausgang aufwachen.

Die Endo macht mich fertig. Die Endo isoliert mich. Ich habe Angst vor der Zukunft. Es ist ein täglicher Kampf, aber man kann nicht immer nur stark sein. Es muss mal gesagt werden: Endometriose versaut mein Leben - jeden Tag aufs Neue.

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