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Eine Mutter erzählt: "Ich habe seit 20 Jahren HIV - und lebe gut damit"

Leben mit HIV
© Liderina / Shutterstock
Franziska Borkel (35) hat drei Kinder, seit 20 Jahren HIV und lebt wie eine Gesunde. Trotzdem erlebt sie immer wieder Diskriminierung.

Ich habe mich schon in jungen Jahren angesteckt

Als junges Mädchen habe ich mich bei meinem damaligen Freund angesteckt. Glücklicherweise hatte ich bald darauf grippeähnliche Beschwerden und eine kluge Hausärztin, sodass die Infektion sehr früh diagnostiziert wurde.

Schon damals, vor etwa 20 Jahren, gab es Medikamente, aber die ersten Therapieversuche hatten erhebliche Nebenwirkungen und man hatte noch keinen Überblick, welche großartige Verbesserung die neueren sind. Es hieß also: Sie nehmen so lange wie möglich nichts, sondern erst wenn es Ihnen schlechter geht.

Die Diagnose hat meine Perspektive als junger Mensch verändert. Was will ich eigentlich? Und wie lange kann ich noch machen, was ich will?

Diese Fragen wurden plötzlich wichtig. Mir wurde schnell klar: Ich will studieren, ich will ins Ausland, ich will alles Mögliche - und die HIV-Infektion hindert mich erst mal nicht daran. Sicher habe ich die Erkrankung auch ein Stück weit verdrängt, aber das war auch gut so, denn es half mir, Normalität zu leben.

Heute lebe ich sehr gut mit meinen Medikamenten

Ich hatte lange wahnsinnige Angst vor dem Zeitpunkt, ab dem ich auf Medikamente angewiesen sein würde. Inzwischen weiß ich, wie unnötig das war, denn ich lebe sehr, sehr gut mit meiner Therapie. Ich spüre überhaupt keine Nebenwirkungen. Und wenn mich manchmal eine bleierne Müdigkeit überfällt, ist es für mich viel wahrscheinlicher, dass die von meinem Schlafmangel als Mutter kommt. Ich habe drei kleine Kinder - das ist auf jeden Fall die größere Herausforderung als meine HIV-Infektion.

Was mich wütend macht, ist die Unwissenheit und Ablehnung, die ich im Gesundheitswesen erfahre. Im privaten Umfeld, bei Freunden, Familie und Bekannten habe ich nie negative Reaktionen erlebt, manchmal vielleicht eine gewisse Umständlichkeit, weil viele Menschen erst einmal unsicher sind. Aber es ist immer ein sehr respektvoller Umgang.

Beim Zahnarzt oder Orthopäden muss ich mir dagegen immer wieder unangenehme Fragen anhören: Wo haben Sie das denn her? Wie konnte das passieren? Ich wurde schon ganz abgewiesen, weil die Ärzte überzeugt waren, Menschen mit HIV nicht behandeln zu können. Dabei ist HIV schon immer eine schwer übertragbare Erkrankung gewesen. Normale Hygienemaßnahmen, wie sie für alle Patienten gelten, sind absolut ausreichend.

Ich musste lange nach einer Entbindungsklinik suchen, die mich aufnimmt

Völlig absurd wird die Situation, wenn bei uns Patienten mit HIV durch die Therapie die Viruslast im Körper so gering ist, dass eine Übertragung unmöglich ist. Man kann ungeschützten Sex haben, und auch Kinder stecken sich während Schwangerschaft, Geburt oder Stillen nicht bei einer infizierten Mutter an. Aber so mancher Hausarzt meint, er müsste gleich seinen Vollschutz anziehen und mich ans Robert Koch-Institut melden. Nach einer Entbindungsklinik habe ich lange gesucht - und musste am Ende 200 Kilometer weit fahren.

Aber vielleicht ist die Wut über diese Erfahrungen gut, weil sie mir Energie gibt für mein ehrenamtliches Engagement. Ich gebe beispielsweise Fortbildungen für Ärzte und möchte anderen Frauen Mut machen zu einem selbstverständlicheren Umgang mit der Diagnose. Es gibt so viel mehr Lebensqualität, wenn man die Infektion nicht aktiv verheimlicht.

Aufklärung ist immer noch notwendig!

In unserer Community gibt es insgesamt sehr viel Solidarität, weil wir diese Diskriminierungserfahrungen teilen und wissen, welches Privileg die Therapie ist. Denn weltweit gibt es sehr viele Menschen, die keinen Zugang dazu haben. Auch in Deutschland leben Menschen, die keine oder nur mit Schwierigkeiten eine Behandlung bekommen, z. B. wenn sie keine Krankenversicherung haben oder in Haft sind. Das darf nicht sein!

Es macht mich außerdem sehr traurig, wenn Menschen mit HIV sich aus Angst und Scham vom Leben zurückziehen und eigene Wünsche und Träume vergraben. Ich finde, das muss nicht sein. Gemeinsam können wir uns gegen Diskriminierung wehren und die Unwissenheit über die enormen Fortschritte in der HIV-Behandlung verringern.

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