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"Seit ich ein Kind habe, bin ich zum Angsthasen mutiert"

Julia R. dachte immer, sie wäre mit einem prima Grundvertrauen ins Leben ausgestattet. Bis sie ein Kind bekam. Seitdem sieht sie überall Gefahren lauern - und fragt sich: Wie schafft man den Drahtseilakt zwischen Angst und Vernunft?
Julia R., 39, lebt mit ihrem Mann und ihrem dreieinhalbjährigen Sohn im Taunus und arbeitet als Research Consultant in einer Personalberatung. In ihrer Freizeit macht sie am liebsten lange Spaziergänge mit Hund Odin, weil sie dabei perfekt abschalten und den Kopf frei bekommen kann.
Julia R., 39, lebt mit ihrem Mann und ihrem dreieinhalbjährigen Sohn im Taunus und arbeitet als Research Consultant in einer Personalberatung. In ihrer Freizeit macht sie am liebsten lange Spaziergänge mit Hund Odin, weil sie dabei perfekt abschalten und den Kopf frei bekommen kann.
© Privat

Die Geburt meines Sohnes Alexander war der bislang großartigste Tag in meinem Leben. Ich hatte hart um das Mutterwerden gekämpft; und auch die Geburt war kein Spaziergang. Umso größer das Glück, als er im Krankenhaus endlich in meinen Armen lag. All das ließ die Kaiserschnittschmerzen völlig in den Hintergrund treten.

Viel bekommt man erzählt in der Schwangerschaft; Frauen insbesondere teilen eben gerne die Erfahrungen, die sie in der - möglicherweise - prägendsten Phase ihres Lebens gemacht haben. Worauf mich keiner so recht vorbereitet hat, waren die Ängste, die das Muttersein plötzlich auf den Plan rief.

Sicher, ich war nie der mutigste Mensch von allen. Weder bin ich zum Extremsportler geboren, noch hatte ich bislang den Drang, mich an einem Fallschirm aus dem All auf die Erde zu stürzen. Aber, das kann ich wohl von mir sagen, ich bin mit einem guten Grundvertrauen in das Leben ausgestattet und mit der Ansicht, dass sich am Ende schon alles zum Positiven fügen wird. Sprich: Ich hatte bislang weder Angst vor dem Leben, noch Angst vor dem Tod.

Selbst Zuhause war meine Welt nicht mehr sicher

Mit diesem kleinen Wesen in meinem Arm hat sich jedoch eine Kehrtwende sondergleichen vollzogen. In den ersten Wochen, noch unterwegs mit Baby in der Trageschale, traute ich mir nicht einmal das Autofahren so richtig zu. Undenkbar, ausgerechnet jetzt einen schweren Unfall zu haben. War es nicht schon riskant, so übermüdet am Steuer zu sitzen?

Ganz klarer Fall: Ich war in diesen Wochen nicht die beste Autofahrerin - ständig unsicher und meistens recht langsam auf der rechten Spur zwischen den LKWs unterwegs. Und das in ständiger Angst, zwischen diesen Riesenbrummis bei einem Unfall eingeklemmt zu werden.

Selbst zu Hause war meine Welt plötzlich nicht mehr sicher: Was hatte ich nicht alles über den plötzlichen Kindstod gelesen. Gerade bei Jungen kommt so etwas ja öfter vor als bei Mädchen. Wie oft bin ich bei ihm im Zimmer gewesen und habe gelauscht, ob er noch atmet. Und teilweise mache ich das auch heute noch...

Ich mache mir mehr Sorgen - auch um mich

Auch die Ängste um mein eigenes Leben haben sich in der Zwischenzeit vervielfacht. Nicht etwa, weil sich meine Einstellung zu meinem Leben völlig verändert hat. Sondern weil ich weiß, dass ich noch gebraucht werde; und das sehr intensiv und noch jahrelang - oder gar jahrzehntelang.

Plötzlich mache ich mir deutlich mehr Sorgen um meine Gesundheit und gehe lieber einmal mehr zum Arzt als nötig. Mit Mitte vierzig an Brustkrebs sterben? Ein absoluter Albtraum. Das ist einfach nicht drin, wenn man ein kleines Kind hat!

Die Medien tun ein Übriges, um meine Ängste zu schüren: Der Amoklauf in einem amerikanischen Kindergarten mit vielen toten Kindern hat sich tief in mein Angstgedächtnis eingebrannt. Ich frage mich seither regelmäßig beim Betreten des Kindergartens meines Sohnes, ob es denn wirklich sein muss, dass der Eingang so gut sichtbar ist und jeder einfach (auch bewaffnet) dort herein spazieren kann.

Wenn ich diverse Horrorszenarien im Kopf durchspiele, beruhigt mich die Tatsache, dass mein Sohn in der hintersten Gruppe auf dem Flur ist, wo ein Amokläufer vermutlich zuletzt hin käme. Und dass man dort sicher im Notfall noch aus dem Fenster fliehen kann. Und dann schüttele ich den Kopf über mich selbst und all die Szenarien, die meine offensichtlich überbordende Phantasie so alle ausspuckt.

Ich sehe Pferderipper, wo vermutlich keine sind

Aber nicht nur meine Ängste peinigen mich mehr, seit ich Mutter bin - ich kann auch das Elend in der Welt nicht mehr länger ertragen. Bilder von syrischen Flüchtlingskindern im Fernsehen tun mir nachhaltig und körperlich weh. Zu sehen, wie viele Menschen so aufwachsen müssen; in Hunger und Elend und sogar Krieg - einfach furchtbar!

Auch neige ich nun viel eher dazu, andere Menschen unter Verdacht zu stellen, was normalerweise nie meine Art war. Da sah ich neulich im Feld beim Spaziergang mit unserem Hund einen älteren, ziemlich ungepflegt wirkenden Mann herumlaufen. Er hatte mit seinem Auto, das ein fremdes Kennzeichen trug, am Rande des Neubaugebietes geparkt, und war dann in den Wald gelaufen. Dies ausgerechnet direkt neben einer Pferdekoppel und an einer Stelle, wo gar kein Weg war.

Dies teilte ich prompt einer anderen, mir entgegenkommenden Spaziergängerin mit, die ebenfalls mit ihrem Hund unterwegs war. Könnte ja schließlich ein Pferderipper gewesen sein, der Unheil im Schilde führt. Und Tierquälerei kann ich ähnlich schlecht ertragen wie Kinderleid. Also muss man das im Auge behalten!

Im Nachhinein, als meine Ängste sich wieder ein wenig beruhigt hatten, kam mir die Vermutung, dass dieser Mann vielleicht schlicht und einfach eine Notdurft zu verrichten hatte und dies nicht ausgerechnet im Neubaugebiet tun wollte.

Wie geht man mit solchen Gedanken und Ängsten um?

Das Rätsel wird wohl nie gelöst werden - es bleibt die Frage, wie man mit solchen Gedanken und Ängsten am Konstruktivsten umgeht.

Schließlich möchte man ja auch sein Kind nicht zum Angsthasen erziehen; sondern so, dass es einigermaßen entspannt den Herausforderungen des Lebens entgegensehen kann. Und auch man selbst hat eine schönere Zeit mit seinem Kind, wenn man die Dinge locker angehen kann. Wie also trickst man diese irrationalen Ängste am besten aus?

Eine hundertprozentig gute Lösung habe ich hierfür noch nicht gefunden. Es bleibt vermutlich immer ein Drahtseilakt zwischen Vernunft und Angst. Aber es hilft ungemein, wenn man sich immer wieder einmal vergegenwärtigt, dass man am besten im Hier und Jetzt aufgehoben ist und gerade alles in bester Ordnung ist. Das man dies entsprechend genießen sollte. Und dass eine der größsten Gefahren die ist, das Leben zu verpassen vor lauter Angst vor dem Leben.

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