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Eltern pflegen? "Ich kann meine Mutter doch nicht ins Heim abschieben!"

Eltern pflegen: ältere Person in Rollstuhl wird geschoben
© lighthunter / Shutterstock
Soll ich meine Eltern selbst pflegen? Diese Frage hatte sich Marita (66) nie gestellt, bevor sie begann, sich um ihre kranke Mutter zu kümmern. Mittlerweile sind daraus drei Jahre geworden.

Als sich meine Mutter vor drei Jahren im Krankenhaus von einer Rauchvergiftung erholte, war schnell klar, dass sie Hilfe im Alltag braucht. Durch die lange Liegezeit war sie noch wackeliger auf den Beinen als sonst, aber auch geistig ließ sie immer stärker nach. Schon vor dem Brand hatte sie oft rätselnd vor der Kaffeemaschine gestanden oder vergessen, ihre Medikamente zu nehmen.

Nun musste ich eine Entscheidung treffen. Wobei ich für mich gar keine Wahlmöglichkeit sah. Ich wusste, dass ein Heim oder Pflegedienst für meine Mutter nicht infrage kam. Beides fand sie unverschämt teuer, und die Vorstellung, dauernd fremde Leute in der Wohnung zu haben, furchtbar. 

Ich pflege meine Mutter aus Pflichtgefühl

Das verstand ich sogar. Außerdem hatte ich auch meine Schwiegermutter Hilde gepflegt, bis zu ihrem Tod. Natürlich erwartete meine Mutter jetzt, dass ich mich auch um sie kümmere. Trotzdem war es etwas völlig anderes für mich. Obwohl ich Hilde zum Schluss füttern und wickeln musste, verbinde ich vor allem schöne Momente mit dieser schweren Zeit. Hilde war ein lieber Mensch. Ich habe sie wirklich gern gepflegt. Sie war so froh darüber. Selbst als sie kaum noch sprechen konnte, flüsterte sie immer "Danke Marita, dass du dich so lieb um mich kümmerst".

Meine Mutter Herta ist dagegen herrisch und streng, und zwar seit ich denken kann. Unser Verhältnis war nie besonders eng oder innig. Dennoch beschloss ich aus Pflichtgefühl nach Absprache mit meiner Familie, dass ich für ein paar Wochen zu meiner Mutter ziehe. Auch, um nicht jeden Tag 60 Kilometer fahren zu müssen. Nur sind aus den Wochen mittlerweile Jahre geworden. Ein Ende ist nicht absehbar. 

Mit meinem Mann führe ich seit drei Jahren eine Art Fernbeziehung.

Wir sind seitdem kein einziges Mal gemeinsam in den Urlaub gefahren. Er unterstützt mich nach wie vor, sagt aber immer wieder, dass sich endlich etwas ändern muss. Und wer kann es ihm verdenken? Meine erwachsenen Töchter schütteln den Kopf und erklären mir immer wieder, dass sie mich jederzeit abholen, wenn es mir zu viel wird. Und es ist mir schon lange zu viel. Trotzdem bleibe ich.

Ich habe nie ein Wort des Dankes gehört

Bis heute ist Herta nicht ein Wort des Dankes über die Lippen gekommen. Für sie ist mein Einsatz eine Selbstverständlichkeit. Ich bin ihre einzige Tochter und habe das aus ihrer Sicht zu tun. Und offenbar steckt dieser Glaubenssatz auch in mir irgendwo ganz tief fest, sonst hätte ich ja nicht so gehandelt. Von meinen eigenen Töchtern würde ich das nie erwarten. Vielleicht klingt es hart, aber ich habe tatsächlich nicht damit gerechnet, dass meine Mutter wieder so fit wird.

Damals konnte ich es nicht übers Herz bringen, sie gegen ihren Willen irgendwohin abzuschieben, für die vermutlich letzten Wochen ihres Lebens. Ich hätte dann nicht mehr in den Spiegel schauen können.

Heute erwische ich mich eher dabei, dass ich denke: Die überlebt dich sogar noch. Ich koche und ich putze für sie, gehe mit ihr einkaufen und spazieren. Doch die meiste Zeit sitzt Herta auf dem Sofa und strickt. Sonst interessiert sie nichts. Sie liest nicht, guckt kein Fernsehen.

Die ersten zwei Jahre habe ich mit ihr im Wohnzimmer gesessen und auch gehandarbeitet. Dann dachte ich, ich ersticke. Seither ziehe ich mich oft in mein Zimmer zurück, damit wir nicht den ganzen Tag aufeinanderhocken.

Mein eigenes Leben fließt mir durch die Finger

Seit ich sie rund um die Uhr pflege, kämpfe ich selbst mit Depressionen. Denn so habe ich mir mein Leben nicht vorgestellt: mit fast 70 wieder bei meiner Mutter im Gästezimmer zu wohnen, in einer fremden Stadt, ohne meine Familie und Freunde.

Früher war ich aktiv in der Kirche und habe mich gern mit Freundinnen getroffen. Jetzt bleibe ich sogar oft am Wochenende bei Herta und fahre nur sporadisch nach Hause, weil ich Angst habe, sie alleine zu lassen. Was, wenn sie den Herd nicht abdreht oder stürzt?

Ich bedauere meine Entscheidung und würde es nie wieder tun.

Trotzdem kann ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, jetzt zu gehen. Obwohl ich nicht nur einmal drauf und dran war, alles hinzuschmeißen. Etwa als meine Mutter sagte, ich müsse mich an der Miete und an den Kosten für Lebensmittel beteiligen. Dabei hat sie Pflegegrad 3 und behält das Pflegegeld, das eigentlich mir zusteht. Da bin ich rausgerannt, habe geschrien "Mach doch deinen Kram allein!" und die Haustür zugeknallt. Aber nach einer Runde um den Block hatte ich mich wieder beruhigt.

Es zermürbt mich. Ich weiß, dass ich was ändern muss. Ich habe mir schon selbst so viele Ultimaten gestellt, wann ich gehen würde. Und habe sie bis jetzt alle verstreichen lassen.

Brigitte 17/2018

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