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Abenteuer Patchworkfamilie: Wir schaffen das!

Eine Patchworkfamilie zu haben, ist nicht immer leicht. Carola Schuberth hat diesen Neuanfang trotzdem gewagt. Von seinen Herausforderungen und Glücksmomenten erzählt sie in unserer Leserkolumne.

Liebe Brigitte,

über Deinen Anruf, so unverhofft, habe ich mich sehr gefreut. Deine Frage, was es denn so Neues gibt, konnte ich gar nicht so einfach beantworten. Darum schreibe ich Dir, es ist so viel passiert in den letzten drei Jahren. Daniel und ich sind geschieden. Er hat mich, nachdem unser Haus fertig gebaut war und wir ein Jahr dort wohnten, nach elf Jahren verlassen. Hat seine Reisetasche gepackt und ist ausgezogen. Mich hat's umgehauen. Aber alles, was nun zählte, war, Ben da nicht mit hineinzuziehen. In meinen Sog aus Traurigkeit, Wut und Aufbruchsstimmung. Er war damals ja gerade erst vier Jahre alt und hat das alles nicht verstanden.

Das Haus habe ich verkauft und bin mit Ben in eine kleine Wohnung umgezogen. Die Familienidylle meiner Nachbarn und ihre mitleidigen Einladungen zu Grillpartys konnte ich nicht mehr ertragen. Geschweige denn das Haus allein bezahlen.

Mein erster Urlaub mit Ben im Sommer 2011 war der Anfang meines neuen Lebens. Ich habe Stefan kennengelernt. Auch gerade getrennt. Haus gebaut. Haus verkauft. Und Louis. Ben und er, gerade ein Jahr auseinander, bolzten zwei Wochen am Strand in Holland, spielten UNO und ließen sich von uns abends Geschichten vorlesen. Beäugten uns skeptisch, wehrten sich gegen den jeweils anderen Menschen an der Seite von Mama und Papa. Da gab es nichts Vertrautes. Ben war neugierig auf Stefan. Louis vermisste seine Mama.

Wenn die Kinder schliefen, saßen Stefan und ich am Fenster seines Hotelzimmers und hielten uns an der Hand. Lernten uns kennen. Erzählten uns von zerplatzten Träumen, tiefen Erschütterungen. Und unserer Hoffnung. Wir trauten uns nicht laut auszusprechen, was unsere Herzen uns sagten: Wir wollten zusammenbleiben. Für immer. Mit den Kindern - und hoffentlich irgendwann einem gemeinsamen - zusammenleben. Wir wagten es.

Ich suchte mir einen Job in Düsseldorf. Für Ben einen Kindergartenplatz. Ich wollte umziehen zu Stefan und das Leben, den Scherbenhaufen in Berlin zurücklassen. Bens Vater klagte gegen den Umzug seines Sohnes. Und verlor vor Gericht. Wir durften neu anfangen.

Ich erinnere mich an einen Tag im Januar, einige Wochen nach unserem Umzug. Stefan fuhr allein zu Louis, der Geburtstag feierte und bei seiner Mutter lebt. Ben und ich waren nicht eingeladen. Ich kann die Angst heute noch spüren, die sich in mir breitmachte. Wir werden das nicht schaffen. Wir werden das nicht schaffen. Wir werden nie eine richtige Familie sein.

Meine Schwangerschaft veränderte beinahe alles. Es kam mir vor, als bekämen wir die Legitimation, uns nun endlich Familie nennen zu dürfen, und als Nicholas im Dezember 2012 geboren wurde, waren seine Brüder begeistert.

Ich glaube, wir haben uns so beinahe alle nur möglichen Ratschläge angehört, von Freunden und Bekannten. Und haben die meisten davon nicht befolgt. Ganz einfach, weil das Leben so nicht ist - es ist ganz anders.

Die Zeit, die wir uns lassen sollten, mit dem Zusammenziehen, die hatten wir nicht. Die Kinder, die wir langsam an den neuen Partner gewöhnen sollten, holten wir zu uns ins kalte Wasser. Der Alltag, zwei Lebensmittelpunkte, die 600 Kilometer weit von einander entfernt waren, ließen uns keine andere Wahl.

Gefühle, die ich nicht haben sollte, die hatte ich trotzdem. Ich war eifersüchtig auf Louis' Mutter, auf ihren Einfluss, den sie auf ihn, aber auch auf Stefan noch immer hatte, und konnte meinen Platz in diesem Leben, in meiner neuen Familie, einfach nicht finden. Ich riss mir Beine aus, die ich längst nicht mehr hatte. Versuchte die Zusammengehörigkeit zu erzwingen, initiierte gemeinsame Erlebnisse mit unseren Kindern und wollte für Louis an der Seite seines Papas endlich akzeptiert sein. Dahin gehörte ich und nirgendwohin sonst. Ich erinnere mich an meine Traurigkeit, bevor die Wut kam. Wenn ich freitags im Berufsverkehr zu Louis’ Schule eilte, um ihn pünktlich abzuholen, den kleinen Nicholas brüllend auf der Rückbank, und er aus seiner Enttäuschung, dass weder Mama noch Papa kamen, kein Geheimnis machte.

Es schmerzte mich, Ben in den Ferien bei seinem Vater zu wissen. Ich kam um vor Angst, er würde nicht mehr zurück, für immer dort bleiben wollen. Ich war wütend auf den Mann, der ein Spaß-Vater geworden war. Der Ben in den Ferien ein Leben vorgaukelte, das schöner nicht sein konnte. Zwei Wochen rund-um-die-Uhr-Bespaßung, lange Aufbleiben, Unternehmungen jeden Tag. Immer Zeit, immer alles und das sofort. Und mir als Mutter damit die undankbare Aufgabe überließ, den Boden der Tatsachen nach Bens Heimkehr halbwegs kindgerecht vorzubereiten.

Die Zeit stellt alles an seinen Platz, sagt ein Sprichwort. Und das stimmt. Meine negativen Gefühle und Ängste kann ich nicht abstellen. Aber ich bringe sie mittlerweile an einen Ort, an den sie gehören. Nicht mehr in die erste Reihe. Ich habe verstanden, dass in meiner Familie andere Gesetzmäßigkeiten gelten, und habe Abstand gewonnen zu dem anfänglichen Anspruch, einen Lebensraum zu schaffen, der sich ursprünglich und damit für alle zu jeder Zeit gut und richtig anfühlt. Ich habe akzeptiert, dass es bei uns immer ein bisschen anders ist. Dass allein die Option der Kinder, lieber dort oder dort sein zu können, eine große Besonderheit darstellt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Ratschläge, die die Patchwork-Familie betreffen, vollkommen nutzlos waren. Die Individualität unserer Familie verlangt eine individuelle Sichtweise auf alles, was bei uns passiert. Und das jeden Tag. Wir haben die Chance, unseren Kindern und auch uns ein Familienleben zu ermöglichen, das uns auf der einen Seite viel abverlangt. Und, das lag lange Zeit unter Missverständnissen, zu hohen Erwartungen und verletzten Gefühlen verborgen, uns alle unendlich bereichert. Wir sind viele. Und vielfältig. Und genau diese Besonderheit, lässt man sie zu und macht sie erlebbar, soll für mich in Zukunft im Vordergrund stehen.

Es hat einige Zeit gedauert, bis ich die Abstimmungen zwischen allen Elternteilen zu Ferienzeiten, Wochenendbesuchen, Elterngesprächen in der Schule oder zu grundsätzlichen Erziehungsfragen nicht mehr als Belastung sondern als Herausforderung angesehen habe, die wir unseren Kindern zuliebe meistern müssen. Und zugegebenermaßen gelingt mir das nicht immer.

Ich habe aber verstanden, dass wir - Stefan und ich - mit viel Augenmaß, oft in nächtelangen Diskussionen, regelmäßigen Familienberatungen, aber auch mit viel Humor für unsere Kinder eine Familie geschaffen haben, die einzigartig ist.

Besuch uns mal! Es ist schön bei uns... Caro

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