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Diagnose Down-Syndrom: "Für mich kam eine Abtreibung nie infrage"

BRIGITTE.de-Leserin Katharina Pommer bekam in der Schwangerschaft die Diagnose, dass ihr Kind behindert sein würde. Und jetzt?
Diagnose Down-Syndrom: eine Frau erzählt
Katharina Pommer ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, Mutter von demnächst fünf Kindern und erfolgreiche Unternehmerin (www.katharina-pommer.de).
© privat
Als ich mit meiner ersten Tochter schwanger wurde, war ich gerade mal 18. Ich hatte bis dahin weder etwas von Fehlgeburt, noch von Missbildungen oder Komplikationen gehört. In meinem damaligen, womöglich auch naiven Verständnis kam ein Baby gesund zur Welt.
Selbst ein Kind mit Down-Syndrom galt für mich als gesund, zumal unser fröhliches Nachbarskind Trisomie 21 hatte. Damals erlebte ich die vorgeschriebenen drei Ultraschalluntersuchungen entspannt und machte mir nie Gedanken über eine Behinderung - auch mein Arzt sprach mit mir nicht darüber. Doch diesmal kam alles anders.

Die erste von drei Hiobsbotschaften

Eine Schwangerschaft erleben viele Frauen und Paare als schöne und kraftvolle Zeit. Man sieht auf Buchtiteln und in Zeitschriften strahlende Frauen, die ihren wohl geformten Bauch vorfreudig berühren und vor Gesundheit und Wonne strotzen. Doch kaum jemand wagt es, während dieser kostbaren Zeit über die Kehrseiten nachzudenken oder zu sprechen. Vor allem die Kehrseiten für Frauen ab 35, die mit einem höheren Risiko (1:250), ein Down-Syndrom-Kind zu gebären, eingestuft werden.
Aktuell bin ich in der 26. Schwangerschaftswoche und wurde bisher dank Pränataldiagnostik mit drei Hiobsbotschaften konfrontiert: Als ich beim ersten Ultraschall in der 9. Woche voller Vorfreude auf das kleine Wunder in meinem Bauch blickte, sagte der Arzt mit nüchterner Stimme: “Oje, da stimmt aber etwas nicht. Ich hatte heute schon drei Fehlgeburten, das scheint die vierte zu sein.” Kurz darauf entschuldigte er sich bei mir und meinem Lebensgefährten. Erst auf Drängen, sich unser Kind bitte nochmal genauer anzusehen, sagte er: “Alles in Ordnung soweit, aber garantieren kann ich für nichts.”

Mit 37 habe ich eine "Risikoschwangerschaft"

Wird man mit 37 Jahren schwanger, gehört man zur Gruppe der „Risikoschwangerschaft“. Es dauerte keine drei Wochen, da wurden wir zur Nackenfaltenmessung eingeladen. Diese spezielle Sonographie wird routinemäßig vorgeschlagen, um festzustellen, ob eine Trisomie 21 vorliegt.
Wir machten diesen Test, um sicherzugehen, dass wir unser Baby nicht unüberlegt in Gefahr bringen. Denn wir planten eine Hausgeburt, wie bei meinen anderen Kindern auch. Die Ärzte sagten uns: “Im Falle des Falles können Sie innerhalb von 72 Stunden entscheiden, ob Sie das Kind trotzdem bekommen oder abtreiben wollen.”
Eine Woche nach der Untersuchung erfuhr ich am Telefon von einer sehr unangenehmen und forschen Vorzimmerdame: „Ihr Kind ist aller Voraussicht nach schwer behindert, Sie müssen morgen wieder zu uns kommen.“ Ich konnte es nicht fassen, mein Herz schlug deutlich schneller, ich berührte meinen Bauch, schloss die Augen und dachte an mein Baby. Meine Intuition sagte mir, dass mit der telefonischen Auskunft irgendwas nicht stimmte - und nicht mit meinem Kind.
Die wenig empathische Art, wie uns dies mitgeteilt wurde, empfand ich als unmenschlich. Wäre ich nicht seit 15 Jahren Familien- und Bindungstherapeutin, hätte ich vermutlich einen tief sitzenden Schock bekommen, der weder mir, noch meinem ungeborenen Kind gut getan hätte. Wie geht es dann wohl anderen Frauen? Dennoch spürte ich eine große Unruhe in mir, die mit der Frage einherging: “Was, wenn es doch mehr als Trisomie 21 ist?” Das Down-Syndrom machte mir keine Angst.

Trisomie 21 – Panikmache statt Elternglück

Als wir recherchierten und sich herausstellte, dass sich bei der Diagnose Trisomie 21 neun von zehn Eltern für einen Abbruch entscheiden, stockte uns der Atem. Wir blickten uns in die Augen, atmeten tief durch und sagten fast gleichzeitig: „Wir schaffen das.“
Viele Eltern jedoch stehen offenbar so unter Schock, dass sie kaum in der Lage sind, eine klare Entscheidung zu treffen, geschweige denn ihrer Intuition zu vertrauen. Sie beschreiben ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit. Wenn Menschen sich so fühlen, entscheiden sie oftmals aus Angst. Was zur Folge hat, dass viele Eltern sagen: “Wir trauen uns erst dann, eine Bindung zum Kind aufzubauen, wenn wir sicher sein können, dass alles in Ordnung ist”. Oder sie sagen: “Freuen können wir uns erst, wenn es gesund auf der Welt ist, geschieht das nicht, müssen wir uns vorab von unserem Kind verabschieden.” Doch genau diese Einstellung hat nach neuen Erkenntnissen der Bindungstheorie mehr Einfluss auf das Ungeborene, als wir bisher vermutet haben.
Fakt ist, dass Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, dies oftmals unter starkem Druck tun und auch deshalb, weil sie nicht ausreichend beraten oder unterstützt werden. Oftmals sind die Partner so überfordert, dass sie sagen: „Entscheide du!“ oder sich, aus Angst vor der Zukunft, für eine Abtreibung aussprechen und die Frauen dazu drängen.

Wir wollten anderen betroffenen Eltern helfen

Nachdem unsere Entscheidung für das Baby gefallen war, fragten wir uns, “Was könnte man tun, um Eltern in einer ähnlichen Situation zu helfen?” Wir entschieden uns, im Podcast meines Partners öffentlich über unsere Entscheidung zu sprechen. Als wir uns zu unserer Geschichte und unseren Gefühlen geäußert hatten, erhielten wir unsagbar viele Zuschriften von Familien, die in einer ähnlichen Situation waren. Aufgrund unseres Podcasts hat sich eine Familie sogar gegen eine Abtreibung entschieden. Wir merkten, wie wenig öffentlich darüber gesprochen wird und wie sehr sich Eltern allein gelassen fühlen, wenn es um diese schwerwiegende Entscheidung geht.
Wir wissen nun: Wenn man erfährt, dass das Kind eine Behinderung hat oder haben könnte, sollte man sich Zeit nehmen, um tief in sich hineinzuhorchen. Man sollte mit dem Baby Kontakt aufnehmen und in aller Ruhe erfühlen, wie es weitergehen kann.
Am besten ist es, sich diese Zeit schon vor Pränataldiagnostik zu nehmen und auch ein Gespräch mit einer kompetenten Beratungsstelle zu suchen, um abschätzen zu können, wie man im Fall der Fälle vorgehen würde. Viel zu viele Eltern entscheiden sich für Pränataldiagnostik und den 3-D-Ultraschall, um ein “schönes Bild” mit nach Hause nehmen zu können. Die wenigsten rechnen damit, dass es auch eine Hiobsbotschaft sein könnte.
Nach langer Wartezeit haben wir erfahren, dass unser Kind aller Voraussicht nach gesund zur Welt kommen wird. Es dauerte jedoch keine zwei Wochen, da lag ich wieder im Pränatalzentrum. Der Verdacht: Die Plazenta könnte sich ablösen. Auch das stellte sich nach Tagen des Wartens als Irrtum heraus. Wir haben uns deshalb entschieden, auf weitere Feindiagnostik zu verzichten und die Schwangerschaft zu genießen. Wie damals auch, vor 20 Jahren.

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