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Diagnose "nicht lebensfähig" "Ich bin unendlich dankbar, dass ich mein Baby halten durfte"

Diagnose: Nicht lebensfähig
Margot Peters
© privat
Das Kind von BRIGITTE.de-Leserin Margot Peters war nicht lebensfähig, der Arzt riet zur Abtreibung. Doch sie wählte ihren eigenen Weg.

2008 war ich mit meinem dritten Kind schwanger. Bei einer regulären Vorsorgeuntersuchung stellte sich in der 17. Schwangerschaftswoche heraus, dass mit der Entwicklung meines Kindes etwas nicht in Ordnung war.

Zwei Tage später bekam ich einen Termin bei einem Spezialisten. Voller Angst fuhr ich hin. Auf einem großen 3D-Bildschirm konnte ich die Untersuchung mitverfolgen. Leider bestätigte sich die Diagnose: Joshuas Arme und Beine waren viel zu kurz. Das wäre jedoch nur ein äußerlicher Makel gewesen. Der Grund, warum er nicht lebensfähig sein würde, lag darin, dass seine Lungen sich nicht ausgebildet hatten.

Der Arzt riet mir zur Abtreibung

Professionell und emotionslos wurde meinem Mann und mir die Behinderung von Joshua dargelegt. Ich konnte kaum glauben, was der Arzt mir sagte. Joshua würde nicht leben können und er riet mir davon ab, die Schwangerschaft weiterzuführen. In diesem Augenblick wurde mir der Boden unter den Füßen weggezogen und ich fühlte mich emotional im freien Fall. Trotz mehrmaliger Nachfrage wurde mir keine andere Möglichkeit als die Abtreibung aufgezeigt. In diesem Augenblick war mir klar, dass ich die Schwangerschaft abbrechen würde.

Für die Betreuung meiner beiden kleinen Töchter benötigte ich allerdings die Unterstützung meiner Eltern. Diese konnten jedoch erst zwei Wochen später von Nürnberg zu mir nach Niedersachsen kommen.

Mir wurde klar, dass ich keinen Abbruch wollte

In dieser Zeit habe ich viele Gespräche geführt, viel nachgedacht und alle Informationen gesammelt, die ich zum Thema finden konnte. Dabei kam ich zu dem Schluss, dass ich diesen Weg gar nicht gehen möchte. Bei einem gemeinsamen Spaziergang teilte ich meinem Mann meine Gedanken mit. Ich war so glücklich, dass er unabhängig von mir zur gleichen Meinung gekommen war. Noch am selben Tag rief ich meine Eltern an und teilte ihnen mit, dass ich die Schwangerschaft fortführen würde.

Das Abschiednehmen begann

Ab diesem Zeitpunkt begann die Zeit des Abschiednehmens. Nichts war so wie in den Schwangerschaften davor. Ich spürte Joshua jeden Tag, da er ein sehr aktives Kind war, und dennoch wusste ich, dass unsere gemeinsame Zeit vermutlich sehr kurz sein würde.

In der 36. Schwangerschaftswoche war Joshua schon so groß wie ein Kind in der 40. Woche. Ich entschied mich, die Geburt einzuleiten. Ich habe ein wundervolles Krankenhaus gefunden, das mich und meinen Mann in dieser so schwierigen Zeit begleitet hat.

Er war so schön, so vollkommen, er war ein Teil von mir.

Joshua kam per Kaiserschnitt zur Welt. Nach etwa zehn Minuten ist mein Sohn auf dem Arm meines Mannes in völliger Ruhe in die andere Welt gegangen. Viele Stunden durfte ich noch mit meinem Mann und Joshua in einem liebevoll vorbereiteten Zimmer verbringen. Er war so schön, so vollkommen, er war ein Teil von mir. Als der Zeitpunkt gekommen war, an dem ich ihn abgeben sollte, flossen zum ersten Mal Tränen. Ich war völlig verzweifelt, denn ich wusste, dass ich ihn nie wieder sehen würde.

Die Beerdigung

Während ich im Krankenhaus war, hat mein Mann die Beerdigung für Joshua organisiert. Ich hatte das große Glück, von einer mobilen Bestatterin begleitet zu werden, die auf meine Wünsche und Ängste eingegangen ist.

Am Tag meiner Krankenhausentlassung holte mein Mann mich ab. Es fühlte sich so falsch an, das Krankenhaus ohne Kind zu verlassen. Es fühlte sich so falsch an, als erstes in ein Blumengeschäft zu fahren um die Blumen für die Beerdigung zu bestellen. Aber genauso war es.

An einem Freitag wurde Joshua geboren und an einem Freitag, eine Woche später, wurde er beerdigt. An diesem Tag durfte ich vor der Trauerfeier eine Stunde in der Kapelle sein. Ich konnte Joshua aus seinem Körbchen herausnehmen und ihn noch einmal in meinen Armen halten. Ich durfte ihn anschauen und begreifen, was das wirklich alles für mich bedeutet. Ich bin unendlich dankbar, dass ich ihn sehen, berühren, fühlen und umarmen durfte.

Die Schwangerschaft half mir, zu heilen

Für mich war die Zeit der Schwangerschaft die Zeit des Begreifens und des Abschiednehmens. Es war die Zeit, zu weinen und den Schmerz zuzulassen. Es war die Zeit, es zu verdrängen und zu hoffen, dass sich alles noch irgendwie zum Guten wendet. Es war die Zeit der Heilung.

Das Fortführen der Schwangerschaft ist aus Sicht der Gesellschaft der schwerere Weg - für mich persönlich war er der heilsamere Weg, da für mich keine Fragen offen geblieben sind.

Ich wünsche mir von Herzen, dass alle Frauen und Paare die Zeit bekommen, in Ruhe abzuwägen, ob sie abtreiben oder die Schwangerschaft fortführen wollen. Es gibt keinen besseren oder schlechteren Weg. Alle sollten diese Zeit der Entscheidung bekommen – egal, wie lange sie dauert.

Die Autorin: Margot Peters lebt mit Mann, drei Kindern, Hunden, Katzen, Pferden, Schweinen, Schafen und Hühnern auf ihrem Tierschutzhof in Niedersachsen. Über ihre Erfahrungen mit Joshua hat sie ein Buch geschrieben: "Diagnose nicht lebensfähig - ein Plädoyer an das Leben", zu bestellen auf ihrer Website.

Brigitte

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