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"Warum müssen Frauen sich immer noch dafür entschuldigen, ihren Weg zu gehen?"

"Warum müssen Frauen sich immer noch dafür entschuldigen, ihren Weg zu gehen?"
© Shutterstock / StockPhotosArt
BRIGITTE.de-Leserin Tina (32) hat ihre Beziehung kurz vor der Familiengründung beendet. Ihre Freunde nehmen ihr das übel.

Alles war geplant

Wir hatten unsere Zukunft so schön geplant. Wir hatten eine größere Wohnung gefunden, die wir uns mit einem Kredit und einer anderen Förderung leisten konnten, würden uns damit gemeinsam etwas aufbauen und langsam in Richtung Familienplanung gehen. Irgendwie alles Dinge, die man nach fast drei Jahren Beziehung mit über 30 angeht, und die in unserem Freundeskreis üblich waren.

Ich war oft genug gefragt worden, ob ich das alles wollte und mittragen würde. Jedes Mal hatte ich „Ja“ gesagt und hatte auch dahinter gestanden. Ich dachte, dass ich das will.

Es traf mich wie ein Blitzschlag

Dann traf es mich wie ein Blitzschlag – am 23. Dezember saß ich in meinem Elternhaus in meinem alten Kinderzimmer, und mir wurde plötzlich klar, dass ich den Antrag auf Förderung, die auf mich laufen sollte, nicht unterzeichnen konnte.

Zuerst dachte ich, das seien die üblichen „kalten Füße“, die man ja durchaus bekommen kann, wenn man sich finanziell für zehn Jahre verpflichtet. Doch nachdem ich mich beruhigt hatte, wusste ich, dass es mehr war als das.

Es war ein schwieriges Jahr gewesen. Ich hatte fast meinen Vater verloren, und er kämpfte immer noch mit einer schweren Krankheit. Außerdem war mein Freund beruflich fünf Monate im Ausland gewesen, und nach seiner Rückkehr hatten wir Probleme, unseren gemeinsamen Rhythmus wiederzufinden. Hinzu kam seine Unzufriedenheit mit dem Arbeitsplatz, aber die Suche nach einem anderen Job lief auch nicht so, wie er wollte. Dauernd war irgendwas los, und ich war die letzten sechs Monate das einzig Gute in seinem Leben gewesen.

Was noch hinzu kam, waren finanzielle Probleme. Wir hatten in dem Jahr viel gemacht - Städtereisen, das Bad renoviert, eine Asienrundreise -, und er verdient doppelt so viel wie ich. Aber immer, wenn ich sagte, dass ich etwas nicht mitmachen konnte, meinte er, er will da aber nicht alleine hin und setzte die Hälfte auf meine Rechnung. Ich war permanent dabei, ihm alles abzuzahlen.

Ich stellte fest: Vieles passte nicht mehr

Dann saß ich kurz vor Weihnachten in meinem ehemaligen Kinderzimmer und rechnete alles nochmals durch – mit dem Ergebnis, dass ich wegen der neuen Wohnung finanziell erstmal vollkommen von ihm abhängig wäre. Und ich war mir nicht mehr sicher, ob mir das in Anbetracht von anderen Dingen wert war: Ich hatte unterschätzt, was seine Diabetes für eine Beziehung bedeutete, und mir wurde klar, dass ich mich oft mehr wie seine Mutter als wie seine Freundin fühlte. Ich fühlte mich auch oft unzulänglich, weil er komplett auf Logik fixiert war und ich eher meinem Bauchgefühl vertraue.

Vor allem wurde mir klar, dass jetzt, wo ich das erste Mal Karriere machte, das Thema Kinder für mich überhaupt nicht mehr im Raum stand.

Alles in allem war viel da, an dem ich zweifelte, insbesondere ob das Beziehungsmodell Eigentum und Kinder das richtige für mich ist.

Ich weiß, das alles hätte anders laufen können und sollen. Ich hätte schon bei unserer Krise im Sommer darauf bestehen sollen, eine Beziehungsauszeit zu nehmen. Dann hätte ich meiner Familie Weihnachten nicht vermiest, und ich hätte meinem Freund nicht an einem der emotionalsten Feiertage das Herz gebrochen. Aber zu gehen war das einzig Richtige.

Zu gehen, war das einzig Richtige

Er ist der Meinung, dass man alles gemeinsam schafft. Aber wenn in einer Beziehung einer draufkommt, dass er/sie herausfinden muss, was er/sie will, und dass die vormals gemeinsamen Ziele doch nicht mehr gemeinsame Ziele sind, dann geht es leider nicht gemeinsam. Also bin ich gegangen und habe nicht nur sein Herz gebrochen, sondern auch meines. Ich kam mir vor wie der schlimmste Mensch der Welt, und während ich mit meiner Familie meine Sachen aus seiner Wohnung holte, habe ich nur geheult, genauso wie die drei Tage danach.

Meine Familie war absolut großartig. Nachdem ich all ihre Fragen beantwortet hatte, war das Thema erledigt und alle fingen an mich zu unterstützen, damit ich wieder aufstehen und neu anfangen konnte. Nach zwei Monaten ging es mir das erste Mal besser, und ich hatte sehr viel über mich und die vergangene Beziehung gelernt.

Meine Freunde stellten meine Entscheidung infrage

Doch genau in dieser ersten Hochphase kamen aus meinem Bekanntenkreis Fragen wie: „Bist du jetzt wirklich glücklicher? Du hattest doch im Prinzip alles, was du wolltest (was Frauen in diesem Alter wollen), ihr wolltet eine Wohnung kaufen, an Familie denken. Musstest du wirklich so einen krassen Strich ziehen und das alles wegwerfen?“ Solche Fragen kamen teilweise von Leuten, die mich sehr gut kennen. Es kamen auch Vorwürfe, ob ich das denn nicht schon eher abgesehen hätte, und ob ich nicht unüberlegt gehandelt hätte.

Ich saß da und fragte mich, ob mir diese Personen in den letzten Monaten eigentlich zugehört hatten. Ich wurde in die Position gedrängt, mich dafür zu entschuldigen, dass ich meinen eigenen Weg gewählt hatte, statt zu tun „was Frauen in meinem Alter so tun“. Dass ich den Mut gefunden hatte, zu gehen, um herauszufinden, was richtig für mich ist. Und dass ich uns beide vor finanziellen Problemen bewahrt hatte, die bei einer späteren Trennung dazugekommen wären.

Wieso müssen sich Frauen nach wie vor dafür entschuldigen, wenn sie einen anderen Weg wählen, als mit 32 Kinder zu bekommen? Gibt es etwa eine Altersgrenze, ab der eine Frau sich nicht mehr trennt?

Ich finde nicht. Eine großartige Frau, die ich durch ein Frauennetzwerk kennengelernt habe, hat ähnliche Erfahrungen gemacht und sagte zu mir: „Das Leben ist dazu da, um vieles auszuprobieren. Nimm dir jetzt Zeit, um viel über dich zu lernen und herauszufinden, was du möchtest. Lass dir nicht einreden, dass du tun solltest, was alle anderen tun.“ Diese Frau ist 52 Jahre alt und ist vor zwei Jahren für eine neue Liebe in ein anderes Land gezogen. Diese Liebe ist mittlerweile leider vorbei, aber sie bereut diese Entscheidung nicht und hat nun beschlossen, für eine Zeit einfach nur mit sich selbst zusammen zu sein.

Und genau das werde ich auch tun. Ich möchte herausfinden, was ich will und mich nicht dafür entschuldigen, dass ich den Mut gefunden habe, meinen Weg zu gehen.

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