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Das erste Mal mit 58 Wie es ist, sich erst spät zu verlieben

Das erste Mal mit 58: Wie es ist, sich erst spät zu verlieben
© photographee.eu / Shutterstock
BRIGITTE.de-Leserin Monika Neumann hatte nie eine Liebesbeziehung. Erst mit 58 Jahren stellte ein Mann ihr Leben auf den Kopf - und der Krebs.

Graue Jahrzehnte lagen hinter mir

Nein, ich habe nicht im Kloster gelebt. Obwohl – vielleicht doch. Mein Kloster war eine ungünstige Familienkonstellation. Meine Eltern waren nach dem Krieg lange auf der Flucht und konnten erst spät eine Familie gründen. Ich blieb das einzige Kind.

Ein eigenes Leben zu verwirklichen war mir nicht vergönnt, da meine Eltern erkrankten, als ich gerade mein Studium abgeschlossen hatte. Es folgten Jahrzehnte zwischen Geldverdienen-Müssen und Krankenpflege, graue Jahrzehnte.

Auf Partnersuche

Und dann, mit 58, war ich endlich frei. Erstaunlicherweise hatte mich mein bisheriges Leben nicht zermürbt, sondern ich befand mich geradezu in Aufbruchstimmung. Dass ich mich noch richtig fit fühlte, nahm ich als gutes Zeichen. Ich wollte neu durchstarten, die Welt sehen – gemeinsam mit einem netten Partner, der mir bestimmt auch über Unsicherheiten hinweghelfen würde, die durch die lange Einsamkeit entstanden waren.

Ein sympathischer, niveauvoller Partner – so in etwa formulierte ich meine Wünsche bei der Partnervermittlung, an die ich mich wandte. Die Liebe, auch körperliche Liebe, wird sich schon irgendwie ergeben, dachte ich seltsam sachlich. Und schon lernte ich einen Mann kennen, wir waren uns auf Anhieb sympathisch – und dann ...

Dann kam der Krebs

Plötzlich bekam ich, ohne irgendein vorheriges Anzeichen, Krebs – da kannten wir uns erst wenige Tage. Er wird sofort abhauen, dachte ich. Aber nein, er tröstete mich liebevoll, versprach, alles mit mir gemeinsam durchstehen zu wollen. Auf einmal war da ein Gefühl in mir, das ich noch nie gespürt hatte.

Mein Leben krempelte sich gehörig um. Da hatte ich mir seit Jahrzehnten gewünscht, mit einem Partner die Welt zu entdecken – ich kannte ja nicht einmal die nächste Umgebung von Bonn, wo ich aufgewachsen bin und immer noch lebe –, und nun, wo sich mir das alles bot, konnte ich es kaum genießen. Zu sehr schwächte mich der Krebs.

Das Bedürfnis, alles für den geliebten Partner tun zu wollen, ließ mich oft über meine Kräfte gehen. Ich wollte ihn auf gar keinen Fall verlieren.

Ich fühlte mich wie Teenager - mit 58!

Wie mag wohl ein Teenager seine allererste Verliebtheit erleben? Während der Pubertät finden im Gehirn des Menschen neuronale Umstrukturierungen statt, Ursache für das oft seltsame Verhalten und die Gefühlsschwankungen Pubertierender. Vielleicht habe ich ja aufgrund meiner ungünstigen Lebensumstände wie in einer Zeitblase gelebt, vielleicht war ich einfach nur ein 58-jähriger Teenager: unerfahren und voll unbekannter, verunsichernder Gefühlsregungen, ausgelöst durch den ersten Mann in meinem Leben.

Die körperliche Liebe war eine neue Erfahrung, für die es mir schwerfällt, Worte zu finden, die ich aber umso stärker in meinen Bildern zum Ausdruck bringe. Ich habe begonnen, zu malen – überwiegend erotische Bilder. Bilder voller Lust und Leidenschaft.

Die Achterbahnfahrt

Doch mein Leben entwickelte sich anders, als ich es mir erträumt hatte. Den Mann, der da in mein Leben getreten war, lernte ich erst spät richtig kennen.

Er kam aus vornehmen, wohlhabenden Kreisen, nahm mich mit in sein großes Haus, aber nie mit zu seiner Familie oder seinen Freunden. „Noch nicht“, sagte ich mir immer wieder und erklärte es mir selbst: Ich muss erst "gesellschaftsfähig" werden. Daran wollte ich arbeiten. Und so nahm ich den Kampf auf, gegen meine Krankheit, um meine Liebe.

Doch der Mann, der sich anfangs so liebevoll kümmerte, zog sich immer mehr zurück, wandte sich anderen Frauen zu. Er hatte das wohl die ganze Zeit über getan. Als ich zu malen begann, änderte sich das wieder etwas. Als Künstlerin war ich wieder interessanter für ihn geworden. Neue Hoffnung keimte auf.

Erst allmählich erkannte ich, dass es mit diesem Mann nie eine feste Bindung geben würde. Er suchte das Abenteuer, die Abwechslung. Meine Krücke, an der ich mich in dieser Zeit verzweifelt festhielt, war mein Tagebuch, aus dem jetzt ein Buch geworden ist: „Alles für die Liebe - eine autobiografische Erzählung".

Aber eines weiß ich: Diesen einen Moment, dieses allererste Erleben eines Gefühls – auch wenn es der Beginn einer langen psychischen Achterbahnfahrt war –, würde ich um nichts in der Welt eintauschen wollen.

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