Anzeige

Co-Abhängigkeit "So habe ich es geschafft, meinen suchtkranken Partner zu verlassen"

Co-Abhängigkeit
© Ratikova / Shutterstock
BRIGITTE.de-Leserin Julia war mit einem suchtkranken Mann zusammen. Es hat lange gedauert, bis sie sich aus dieser Beziehung befreien konnte.

Cannabis sei harmlos, versicherte er mir

Eine fremde Stadt, eine scheußliche Einzimmerwohnung und ein Job, der mir nicht gefiel – ich war damals 20 und gerade erst von Zuhause ausgezogen, um eine Ausbildung anzufangen. Obwohl ich nette Kollegen hatte, ging ich nur ungern zur Arbeit. Doch viel schlimmer waren die Abende, als ich allein in meinem winzigen Zimmer saß. Ich fühlte mich einsam und unglücklich – bis er in mein Leben trat: Hannes.

Er war nett zu mir und ich fühlte mich von seinen Avancen geschmeichelt. Obwohl mir nicht entging, dass er sich häufig mit seinen Freunden traf, um Marihuana zu rauchen, dachte ich mir nichts dabei und ging schon bald eine Beziehung mit ihm ein. Cannabis sei schließlich harmlos, versicherte er mir.

Nach einigen Wochen begann er jedoch, mich zu kritisieren: Ich sei nicht seine Traumfrau, denn ich sei zu dick – was nicht stimmte. Doch er bemängelte es immer wieder, so oft, bis ich es schließlich glaubte und mein Selbstbewusstsein in sich zusammenschrumpfte.

Hannes gab mir das Gefühl, froh sein zu müssen, überhaupt einen Partner gefunden zu haben.

Gleichzeitig nahm er nun nahezu täglich Drogen. Beinahe genauso oft bat ich ihn, damit aufzuhören und bot ihm meine Hilfe an – vergebens. Mittlerweile konsumierte er fast alle Drogen, die er bekommen konnte.

Mit der Zeit entwickelte er Psychosen

Er entwickelte Psychosen und begann, allen zu erzählen, dass er der wiedergeborene Jesus Christus sei. Er versuchte auch, seine Mitmenschen davon zu überzeugen, dass Cannabis die Lösung aller Probleme und Krankheiten sei.

Ich drängte ihn dazu, sich Hilfe zu holen und war erleichtert, als er schließlich zustimmte. Ich organisierte einen Platz in einer Entzugsklinik für ihn, fuhr ihn dorthin und schickte ihm täglich eine Postkarte mit ermunternden Worten. Nach nicht einmal einer Woche rief er mich an, ich könne ihn abholen. Hannes hatte sich selbst entlassen. 

Ich erfand immer neue Entschuldigungen für ihn

Danach ging alles weiter wie gehabt. Ich wurde depressiv und fragte mich, ob es meine Schuld sei, dass er mit den Drogen nicht aufhören konnte. Meine Familie und Freunde rieten mir, ihn zu verlassen. Doch ich erfand immer neue Entschuldigungen für ihn.

Selbst einer seiner Freunde deutete an, dass mir diese Beziehung nicht guttut. Nicht einmal auf ihn hörte ich. Ich wollte meinem Partner helfen, ihn nicht im Stich lassen. Außerdem hatte ich schreckliche Angst davor, wieder allein zu sein. Wegen meines geminderten Selbstbewusstseins fürchtete ich, nie wieder einen Partner zu finden und versuchte deshalb, Hannes krampfhaft zu halten.

Irgendwann fing ich an, ihn bei seiner Arbeit – einem Integrationsbetrieb für Menschen mit Behinderungen oder Suchterkrankungen – krankzumelden, wenn er wegen seiner Sucht dazu selbst nicht in der Lage war. Warum er nicht selbst anrufe, wurde ich jedes Mal am Telefon gefragt. Ich erfand immer neue Ausreden.

Im Nachhinein weiß ich, dass ich mir diese Mühe hätte sparen können. Sein Chef wusste längst, warum Hannes nicht zur Arbeit kam. Seinen Unmut ließ er mich mit jedem Anruf mehr spüren, was mir zusätzlich zu schaffen machte. Auf dem regulären Arbeitsmarkt hätte er Hannes schon lange gekündigt. Dies nahm Hannes ihm jedoch schon bald ab, indem er selbst kündigte. „Warum?“, fragte ich fassungslos, als er mir davon erzählte. „Die haben einfach kein Verständnis für mich“, antwortete er.

In diesem Moment wurde mir klar, dass auch ich kein Verständnis mehr für ihn hatte. Viel zu lange hatte ich gebraucht, um dies zu begreifen.

Trotz allem unterstützte ich ihn immer weiter

Dennoch hielt ich weiter zu ihm. Als er kurze Zeit später seine Wohnung verlor, nahm ich ihn bei mir auf. Wenn er kein Geld mehr hatte, lieh ich ihm welches. Während ich zur Arbeit ging, lag er bis mittags im Bett und traf sich nachmittags mit seinen Freunden zum Kiffen. Ich war todunglücklich. Sollte das jetzt mein Leben sein? Ich ging täglich arbeiten – in einem Job, den ich hasste –, um Geld zu verdienen, während mein Partner auf der faulen Haut lag und sich nebenbei selbst zerstörte?

Meine Depressionen wurden stärker. Ich hatte einfach keine Kraft mehr. Ich hatte erkannt, dass Hannes nicht nur nicht aufhören konnte, Drogen zu konsumieren – er wollte es gar nicht. Jede Mühe, ihm zu helfen, war vergeblich gewesen. Es bringt nichts, jemandem helfen zu wollen, wenn dieser keine Hilfe haben will.

Außerdem wurde mir bewusst, dass ich so nicht mehr weiterleben wollte und konnte. Im Laufe unserer Beziehung hatte ich Hannes mehrmals vor die Wahl gestellt: entweder die Drogen oder ich. Er wählte jedes Mal die Drogen und ich war zu schwach und zu verängstigt, um ihn zu verlassen. Nun war ich aber an einem Punkt angelangt, an dem ich mir selbst ein Ultimatum stellte: entweder Hannes oder ich. Und ich entschied mich für mich.

Die Trennung war die beste Entscheidung meines Lebens

Nachdem die Beziehung beendet war, spürte ich keinen Trennungsschmerz – im Gegenteil: Ich fühlte mich so frei wie schon lange nicht mehr. Ich machte mir keine Sorgen mehr um Hannes und versuchte nicht mehr, ihm meine Hilfe aufzudrängen.

Aus heutiger Sicht war diese Entscheidung eine der besten in meinem Leben. Nur so konnte ich mich aus der Co-Abhängigkeit in der Beziehung befreien und wieder ein selbstbestimmtes Leben führen.

Nach langer Zeit stellte ich mich wieder an erste Stelle. Ich traf mich mit Freunden, verbrachte Zeit mit meiner Familie, fand neue Hobbys und fing eine Ausbildung in meinem Traumjob an, in dem ich heute arbeite. Und ich lernte einen Mann kennen, der mit beiden Beinen fest im Leben steht und mich als das sieht, was ich bin: eine wertvolle, schöne und unabhängige Frau.

Die Autorin: Julia (28) lebt in Bayern und arbeitet bei einem kleinen Magazin als Redakteurin.

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel