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"Gemeinsam haben wir eine neue Stimme gefunden" - wie man zu zweit einen Krimi schreibt

Beim Boßeln in Ostfriesland hatten die Roman-Autorinnen Christiane Franke und Cornelia Kuhnert die Idee: Sie schreiben zusammen einen Krimi! Wie das über die Distanz von 200 Kilometern funktioniert hat, erzählen sie in der Leserkolumne "Stimmen".

Cornelia Kuhnert: "Bücher haben mich schon immer fasziniert. Als Kind konnte ich stundenlang in der Bücherei stöbern. Dabei hatten Rätselgeschichten es mir besonders angetan. Enid Blyton ließ mich mit ihren Fünf-Freunde-Büchern in eine andere Welt abtauchen. Im Germanistikstudium konnte und "musste" ich richtig viel lesen. Mit zwanzig wagte ich mich an meinen ersten Roman. Nach fünf Seiten kam ich aber nicht mehr weiter. Ich brach den Versuch ab und schob den Traum vom eigenen Buch in die Abteilung: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Nachdem ich mehrere Jahre als Lehrerin gearbeitet hatte, wurden meine beiden Kinder geboren und ich machte Elternzeit. Eine Freundin fragte mich bei einer Tasse Kaffee: Und, was möchtest du unbedingt noch in deinem Leben machen?

Die Antwort kam ohne nachzudenken: ein Buch schreiben. Die Gegenfrage der Freundin: Und warum machst du es nicht? Am nächsten Tag setzte ich mich mit Schulheft und Füller an den Schreibtisch. Eine Woche später kaufte mir mein Mann einen Laptop und ich legte richtig los. Ein Jahr später war der Roman fertig und ich schickte ihn mit einem kleinen Anschreiben voller Erwartungen an die Verlage. Aufgeregt schlich ich jeden Tag zum Briefkasten und wartete auf begeisterte Antworten. Die blieben aus. Im Laufe der Monate trudelten die Absagen ein. Mit immer gleichem Text: Unsere Entscheidung hat nichts mit der Qualität Ihrer Arbeit zu tun. Sie passt nur nicht in unser Verlagsprogramm."

Christiane Franke: "Bei mir war es ähnlich. Mein erstes Buch war ein heiterer Frauenroman, von dem ich dachte: Darauf hat die Welt gewartet. Ich habe es sogar in Leinen binden und mit einem Cover versehen lassen. Doch schnell musste ich einsehen, dass die großen Publikumsverlage kein Interesse daran hatten. Aber ich habe nicht aufgegeben."

Cornelia Kuhnert: "Ich auch nicht. Und dann veröffentlichte ein kleiner Verlag meinen ersten Kriminalroman, zwei weitere folgten. Danach hatte ich die Idee, eine Kurzkrimisammlung zum Thema "Bock auf Wild" herauszugeben und lief mit meiner Idee bei einem großen Verlag offene Türen ein. Es folgten weitere Kurzkrimisammlungen, häufig unterstützt durch Vorworte erfolgreicher Kolleginnen wie Ingrid Noll oder Nele Neuhaus."

Christiane Franke: "Bei mir lief das ähnlich. Der erste Roman wurde von einem kleineren Verlag gedruckt, ich wechselte dann das Genre und besann mich auf mein Faible für Krimis. Ich erfand ein weibliches Kommissarinnenduo, das inzwischen bereits sechs Fälle an der Nordseeküste gelöst hat, und sitze derzeit am siebten Band. Irgendwann bin ich auf das Krimiautoren-Treffen "Mörderische Schwestern" aufmerksam geworden und dort haben Conny und ich uns kennen gelernt."

Cornelia Kuhnert: "Tja, wer hätte gedacht, dass sich das mit uns beiden so entwickelt, als ich Deiner Einladung "Mörderboßeln" nach Ostfriesland folgte."

Christiane Franke: "Boßeln ist übrigens ein Ostfriesischer Nationalsport, der überwiegend im Winter ausgeübt wird. Dabei gibt es mehrere Mannschaften, die eine Holz- oder Hartgummikugel mehr oder weniger kurvige Landstraßen in der Ostfriesischen Tiefebene entlang werfen. Ziel ist es, mit so wenigenWürfen wie möglich am Ende der Strecke anzukommen. Jedenfalls sprachen wir vor einigen Jahren, bei einem Treffen der "Mörderischen Schwestern" über Kohl und Pinkel und Boßeln. Vor allem unsere österreichischen Kolleginnen wurden neugierig auf diese ostfriesischen Eigenarten - und schnell fand siche eine Truppe zusammen, die im kalten Februar nach Ostfriesland kam und dem ganzen den Namen "Mörderboßeln" gab."

Cornelia Kuhnert: "Während wir also bei Eiseskälte mit Bollerwagen lachend über die Landstraße zogen, kam uns beiden die Idee, hier einen heiteren Krimi anzusiedeln, quasi als ostfriesische Antwort auf den Allgäu-Krimi. Und uns war von Anfang an klar: Wir machen das zusammen, auch wenn wir zweihundert Kilometer auseinander wohnen. Obwohl wir am Anfang keinen blassen Schimmer hatten, wie das gehen soll."

Christiane Franke: "Ein wenig Zeit verging schon, bis wir richtig loslegten. Wir mussten uns erst einmal die Hintergrundgeschichte überlegen und die Figuren entwickeln. Gerade an den Figuren haben wir sehr intensiv gearbeitet, damit sie authentisch rüberkommen. Wir haben Biografien für jede Figur angelegt, ihnen durch Fotos bekannter oder unbekannter Menschen ein Gesicht gegeben. Das war wichtig, damit wir beide die gleiche Visulisierung der Personen haben. Genau wie wir ihnen sprachliche Eigenarten gegeben haben, die jede von uns aus dem Effeff kennt."

Cornelia Kuhnert: "Der Postbote Henner, der Dorfpolizist Rudi und die Lehrerin Rosa sind uns inzwischen so vertraut wie beste Freunde und wenn wir von ihnen erzählen, kriegen wir oft zu hören: "Ihr tut ja so, als würden die wirklich leben."

Christiane Franke: "Viele fragen uns nach dem Ablauf unserer gemeinsamen Arbeit - immerhin wohnen wir nicht in der gleichen Stadt, uns trennen fast drei Stunden Autofahrt. Häufigste Frage ist: Hat jede von uns eine Figur, die sie schreibt? Die Antwort ist: Nein. Wie kann der Leser sich das vorstellen? Wir schreiben das Buch tatsächlich zusammen, jeder schreibt einzelne Szenen, die dann gemeinsam überarbeitet werden. Per Internet ist heute unglaublich viel möglich."

Cornelia Kuhnert: "Um das alles unter einen Hut zu bringen, haben wir feste Arbeitszeiten, die wir für jede Woche neu festlegen. Dann sitzen wir mit Headset auf dem Kopf vor dem Computer - manchmal stundenlang - und besprechen den Plot, entwickeln die Szenen und einigen uns darauf, wer die anstehende Szene schreibt. Wir arbeiten mit der Dropbox, in der wir dann die Dateien speichern. Das ist eine virtuelle Box im Internet, an die kommen wir beide von unseren PCs aus ran, auch von unterwegs."

Christiane Franke: "Während des Arbeitsvorgangs schreibt die eine und speichert ab, die andere guckt die Szene durch, nimmt Änderungen vor, die aber über den "Änderungen nachvollziehen-Modus" überprüfbar sind, dann guckt sich die erste die vorgenommenen Änderungen an, akzeptiert sie oder lässt sie vorerst als "offen" stehen. Abschließend sitzen wir wieder zeitgleich vor dem PC - auf dem Bildschirm ist die Datei zu sehen - und wir können die unterschiedlichen Ansichten so besprechen, als würden wir nebeneinander sitzen."

Cornelia Kuhnert: "Das ist sehr zeitintensiv, der Text wird so aber sehr oft überprüft und überarbeitet. Wir redigieren ihn quasi ständig und wenn das Buch fertig ist, liest jede von uns das Manuskript als Ausdruck, wobei witzigerweise nicht jeder von uns die gleichen Fehler auffallen. Was die eine nicht sieht, bemerkt die andere. Wir ergänzen uns perfekt."

Christiane Franke: "Vor allem, weil uns eins schnell klar geworden ist: Keine von uns hätte den Text so alleine schreiben können. Gemeinsam haben wir eine neue Stimme gefunden."

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