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Mein Leben mit der Panikstörung - von Angsthasen, die Mut haben

Herzrasen, Schweißausbrüche, Zittern, Atemnot - und nur noch Angst, Angst, Angst: In der Leserkolumne "Stimmen" erzählt Tabea Bringewatt davon, wie die Angst- und Panikstörung ihr Leben beinahe aus der Bahn warf. Und wie sie langsam wieder zu sich findet.
Tabea Bringewatt, 29, arbeitet als freie Autorin, Texterin und Künstlerin und zeigt einen Teil ihrer Bilder auf ihrem Blog AugeundHerz. Mit Mann und Hund lebt sie in Ostwestfalen und träumt davon, eines Tages ein Kinderbuch zu veröffentlichen.
Tabea Bringewatt, 29, arbeitet als freie Autorin, Texterin und Künstlerin und zeigt einen Teil ihrer Bilder auf ihrem Blog "AugeundHerz". Mit Mann und Hund lebt sie in Ostwestfalen und träumt davon, eines Tages ein Kinderbuch zu veröffentlichen.
© privat

Es war nicht so, dass es irgendwie überraschend kam, und rückblickend kann ich sagen, dass ich gekonnt über Jahre alle Hinweise ignoriert habe. Mein Umfeld hatte mir gesagt, ich solle aufhören, körperlichen Raubbau zu betreiben, und ob ich nicht mal über alle erlebten Traumata sprechen wolle. Aber ich gefiel mir in der Rolle der unerschütterlichen, modernen, jungen Frau, die Krisen, Nebenjobs und Studium ebenso meisterte, wie ein aufregendes Sozialleben. Dann, mit 20, plötzlich Herzrasen, Schweißausbrüche, Zittern, Atemnot und nur Angst, Angst, Angst. Ohne Grund, einfach Angst! Diagnose: Angst- und Panikstörung. Ich machte eine Gesprächstherapie und powerte weiter.

Nach einem Universitätswechsel geriet ich in den Strudel des Bachelorstudiums, mit einem Wochenpensum von 60 Stunden. Da begann der olle Affe Angst wieder aufzutauchen. Heftiger und zerstörerischer als je zuvor. Ein Auslandssemester sollte den nötigen Abstand bringen. Aber psychische Krankheiten lassen sich ebenso wenig planen wie physische und im Ausland, ganz allein, fiel ich mit solch einer Heftigkeit in das Panikloch, dass mein Leben nur noch aus Angstzuständen, Panikattacken und dem Vermeiden dieser bestand. Als mein Mann mich nach sechs Wochen das erste Mal besuchte, brach er in Tränen aus. Komplett abgemagert und zu erschöpft, um mich richtig zu versorgen, verbrachte ich die meiste Zeit im Bett oder wanderte getrieben von einer Seite des Zimmers zur anderen, immer in der panischen Angst, Angst zu bekommen, zu ersticken, verrückt zu werden oder zu sterben.

Die Leute reagierten mit Ablehnung und Ekel

Wieder zurück in Deutschland suchte ich mir erneut einen Therapieplatz, wollte aber unbedingt mein Studium abschließen. Die Universität kam mir, trotz der Verpflichtung, Studierenden mit chronischen Erkrankungen einen Nachteilsausgleich zu gewährleisten, nicht entgegen und ich musste mein Studium abbrechen. Zum Teil wurde mir zwar Anerkennung für das "Zugeben meiner speziellen Situation" ausgesprochen, zum Großteil reagierten die Leute mit Ablehnung, Ekel oder taten gar, als wäre ich ansteckend. Daraufhin schlug eine Welle aus Verzweiflung, Scham, Selbsthass und Selbstaufgabe über mir zusammen.

Nach einem Jahr ging es mir besser, doch ich hielt immer noch an der Vorstellung fest, "normal" sein und mein Studium abschließen zu müssen. Der erneute Versuch endete mit einem heftigen Rückfall. Ein Augenöffner. Ich zog in die alte Heimat und suchte dort eine neue Basis. Ohne zu studieren. Zum Gesundwerden. Egal, wie lange es dauern würde. Die kommenden Monate waren die schwersten. Jegliches Selbstvertrauen in meinen Körper oder meine Fähigkeiten hatte ich verloren, ich hatte keine Kraft für etwas anderes als das Angstbewältigen.

Und dann, ganz langsam, Stück für Stück, begann ich mit dem, was mir viele kluge Menschen ans Herz gelegt hatten. Ich ließ los, ich machte was anderes. Bewusst versuchte ich meine Aufmerksamkeit immer wieder auf Positives zu lenken. Trotzdem. Mein Leben war ein großes "Trotzdem". Trotz eines Pulses von 150 um den Block gehen, trotz Weinkrampf bis zum Supermarkt fahren. Nach und nach wurde die Angst wieder kleiner, aber dieses Mal hinterließ sie ein riesiges Loch, das mich erneut zu verschlucken drohte. So paradox es klingen mag, aber die Panik war so lange meine Begleiterin gewesen, dass ich das Zeitfenster, was sich jetzt vor mir aufbaute, zunächst gar nicht zu füllen wüsste. Wer war ich, was gab es da noch, neben der Angst?

Es ist schwer, die Erlebnisse dieser langen Zeitspanne treffend zusammenzufassen. Und es gab auch nicht das Buch oder das Gespräch, das mir aus der Situation heraus geholfen hatte. Es waren viele kleine Mosaikstücke und die Tatsache, dass ich wieder malte. Malte und schrieb und malte. So wie in meiner Kindheit. Meine Eltern hatten mich schon immer ermuntert, mit diesem Talent etwas anzufangen, und ich hatte milde erklärt, dass ich etwas Vernünftiges studieren wolle, statt mein Leben mit brotloser Kunst zu verplempern...

Und plötzlich saß ich da, malte und schrieb und fühlte mich endlich wieder gut. Als mir jemand, gerade als ich mich aus dem Panikhaufen ans Licht gebuddelt hatte, sagte, ich solle doch in Frührente gehen, mit mir wäre ja nichts mehr anzufangen, sprang mein alter Lebenswille wieder an. Mein Geist funktionierte einwandfrei, ich konnte schreiben und meine Illustrationen machten Menschen glücklich. Gut, ich konnte nicht überall hingehen, aber das konnten Menschen mit anders bedingter, eingeschränkter Mobilität auch nicht. Ich würde einen Weg finden, von Zuhause zu arbeiten. Ich würde schreiben und malen. Und das tat ich dann. Und, man mag es kaum glauben... es klappte. Stück für Stück.

Mit einer Panikstörung zu leben, erfordert eine riesige Portion Mut

Ich würde jetzt gern erzählen, dass ich heute geheilt bin und frei durch den Tag springe. Das stimmt nicht. Ich bin immer noch auf dem Weg. Aber ich bin endlich auf meinem Weg.

Ich arbeite als freie Autorin und Künstlerin und genieße es. Ich habe immer noch Panikzustände und Unsicherheiten. Aber diese Einschränkungen machen nur noch einen kleinen Teil meines Tages aus und daneben ist ganz viel Platz für anderes. Ich habe mich mit dieser Erkrankung nicht angefreundet, aber ich kann anerkennen, dass sie mich - auf äußerst brutale Weise - dazu gebracht hat, mich als Künstlerin zu sehen und als solche zu leben.

Mit einer Angsterkrankung zu leben, erfordert eine riesige Portion Mut, und ich bin froh, diesen mit all der Hilfe meiner Leute aufbringen zu können. Vor dem Verfassen dieses Textes fragten mich Freunde, ob ich wirklich mit dieser Geschichte an die Öffentlichkeit gehen wolle, ob ich keine Angst vor der Reaktion anderer hätte. Ich war erstaunt, verneinen zu können. Ich möchte dieser Krankheit ein Gesicht geben und allen Betroffenen und Angehörigen das Gefühl vermitteln, dass sie weder verrückt, noch allein mit ihrer Situation sind. Und egal, wo genau sie sich auf ihrem Weg befinden mögen - er ist lebenswert. Denn mit oder ohne Angst, das Leben ist viel zu bunt, als dass man nur eine Minute davon missen sollte.

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