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"Alt werden ist scheiße!" Warum an dem Satz viel Wahres dran ist

Mona Droste, 39, lebt mit Ihrem Mann im Münsterland und schreibt und fotografiert auf ihrem persönlichen Foodblog 180°SALON über Appetit, Fernweh und Stil. Gutes Essen, Fotografie, kreatives Schreiben und ihre Herzensinsel Mallorca sind ihre Fluchten aus dem Alltag, der wie bei jeder Frau manchmal nicht einfach ist.
Mona Droste, 39, lebt mit Ihrem Mann im Münsterland und schreibt und fotografiert auf ihrem persönlichen Foodblog 180°SALON über Appetit, Fernweh und Stil. Gutes Essen, Fotografie, kreatives Schreiben und ihre Herzensinsel Mallorca sind ihre Fluchten aus dem Alltag, der wie bei jeder Frau manchmal nicht einfach ist.
© privat
Über den Spruch ihrer Schwiegeroma hat Mona Droste viel nachgedacht - nicht erst, seit auch ihre Mutter im Altersheim lebt. Wie ist es, alt zu werden, fragt sie sich in der Leserkolumne "Stimmen". Und wie werde ich das finden? Vermutlich irgendwie "scheiße"...

"Alt werden ist scheiße!" Dieser schonungslose Spruch stammt von der Oma meines Mannes. Über Wochen lag sie damals im Krankenhaus, bevor sie schließlich verstarb. Ein Satz, der mir nicht mehr aus dem Kopf ging. Leider muss ich seit einigen Jahren auch bei meiner Mutter erleben, dass das Alter einem viel mehr nimmt als gibt. Es fing damit an, dass sie sich beim - von ihr sehr geliebten - Radfahren nicht mehr sicher fühlte und somit öfter stürzte. Wer seit 65 Jahren mit dem Rad unterwegs ist und es auf einmal nicht mehr kann, zweifelt an sich. Wir haben oft darüber gesprochen, Fahrversuche unternommen und eine Erklärung gesucht, warum diese Unsicherheit blieb. Aber statt einer Antwort blieb letztendlich die Erkenntnis, dass es das war mit der mobilen Freiheit auf dem Rad.

Wenn man auf die Welt kommt, lernt man von Jahr zu Jahr Neues: Laufen, Schwimmen, Radfahren, Schreiben, Autofahren. So erzählten in der letzten Zeit meine Freundinnen stolz von den neuesten Fortschritten ihrer Kinder, während ich von den Rückschritten meiner Mutter berichtete. Auf den unsicheren Gang und unerklärbaren Schwindel folgte ein Rollator, und nach einer großen Diskussion innerhalb der Familie, die über Monate ging, haben wir, mit dem Einverständnis meiner Mutter, ihr Auto verkauft. Ihre eigene Sicherheit und die der anderen geht einfach vor. Doch es schmerzt, ihre Rückschritte beobachten und deswegen handeln zu müssen.

Jede Tochter kennt das gute alte Tochter-Mutter-Verhältnis: Man kann noch so erwachsen, gebildet, selbstständig, unabhängig sein, die Mutter bleibt in ihrer Rolle mit gut gemeinten Ratschlägen und der Meinung, es besser zu wissen als die Tochter. Da wird es unendlich schwierig, selbst in die Rolle zu schlüpfen, in der man sagen muss: "Nein Mama, so geht das nicht mehr. Ich bestimme jetzt, vertraue mir bitte." Denn ab einem gewissen Punkt ist das nötig, und es geht dabei immer, wirklich immer, nur um ihr Wohl. Ich bin mir sicher, dass meine Mutter wahrnimmt, dass sie ihr Leben nicht mehr eigenständig organisieren kann, aber den Gedanken daran verdrängt. Ich kann das nachvollziehen. Wer will sich schon eingestehen müssen, dass alles bergab geht. Trotzdem nützt es manchmal nichts und der Verstand muss, in Form der Kinder, handeln. Dazu kommt, dass man sich ständig Sorgen macht. Der Klassiker: Ihre Telefonleitung ist mal wieder dauerbesetzt und man fragt sich "Telefoniert sie, hat sie nicht richtig aufgelegt oder ist etwas passiert?" Sofort setzt das Kopfkino bei einem ein und wird erst gestoppt, wenn man sich auf den Weg macht, um nachzuschauen. Zum Glück wurde ich jedes Mal mit einem "Was soll denn passiert sein, hab' den Hörer nur nicht richtig aufgelegt" empfangen.

Vor einem Jahr schauten wir uns gemeinsam eine Wohnung in einem Seniorenstift an. Meine Mutter hat immer gesagt: Wenn ich mal nicht mehr allein kann, dann werde ich dort wohnen. Für mich war der Zeitpunkt vor einem Jahr gekommen, doch dies sah Mama völlig anders. Zumindest bekamen wir so einen Eindruck des sehr schönen Seniorenstifts und machten einen kleinen Schritt in diese Richtung. Vor zwei Monaten war dann nicht mehr nur ein Schritt, sondern ein Quantensprung nötig - mit der Einsicht, dass gehandelt werden muss. Da Mamas Beweglichkeit so eingeschränkt war, wurden auch ihre sozialen Kontakte immer weniger, und meine äußerst kommunikative und Geselligkeit liebende Mutter ging uns ein wie eine Primel. Die kleinsten Aufgaben im Haushalt überforderten sie und sie nahm an Gewicht ab. Wie besprachen in der Familie, dass nun der Moment gekommen sei, an dem sie nicht mehr allein leben könne und in ihr Wunsch-Seniorenstift umziehe. Acht Wochen sind seither vergangen und das geregelte Essen, die Tatsache, den ganzen Tag von Menschen umgeben zu sein, und die Hilfe, die jederzeit vor Ort ist, tun ihr ersichtlich gut.

Bei meinen Besuchen treffe ich stets viele der Bewohner. Meine Mutter ist längst nicht die Jüngste im Haus, aber vielen geht es im Alter um einiges schlechter. Bei den ersten Besuchen musste ich schlucken: Menschen zu sehen, die nicht mehr allein essen können, ihre eigenen Kinder nicht mehr erkennen und im Rollstuhl auf absolute Hilfe angewiesen sind. Teilweise gewöhnt man sich an den Anblick, trotzdem muss ich immer daran denken, dass hier Menschen ihre letzten Jahre verbringen, die einmal voll im Leben standen, die vor Energie und Lebensmut nur so sprühten und beruflich und familiär viel erreicht haben. Zum Ende des Lebens wird einem vieles wieder genommen, am schlimmsten ist es, wenn das auch Erinnerungen und Gedanken sind. Mir stellt sich dann die Frage, wie ich einmal meinen Lebensabend verbringen werde. Mit Ende 30 ist das vielleicht noch viel zu früh, aber wenn einem täglich vorgeführt wird, wie das Leben im hohen Alter verlaufen kann, bleibt mir nichts anderes zu sagen als: "Alt werden ist scheiße!"

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