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Eine Mutter klagt an: "Warum dürfen Väter sich einfach aus der Verantwortung stehlen!?"

BRIGITTE.de-Leserin Sandra zieht zwei Kinder groß - und verzweifelt an der Tatsache, dass sie für alles allein verantwortlich sein soll.

„Einen Vater, der nicht will, kann man nicht zwingen“

Die Verantwortung für unsere zwei gemeinsamen Kinder sieht das Familiengericht zu 100 Prozent bei mir, weil der Vater nicht (mehr) will. Die Gesetzeslage lautet „Einen Vater, der nicht will, kann man nicht zwingen“. Punkt.

Es geht in unserem Fall aber nicht um Kindeswohlgefährdung - der berechtigte Grund, aus dem dieses Gesetz verfasst wurde -, sondern um Bequemlichkeit.

Er hat eine neue Freundin mit neuem Kind, kümmert sich um seine „neue Familie“, nicht jedoch um seine Kinder aus erster Beziehung. Er beteiligt sich weder am anstrengenden Alltag, noch über das im Beschluss definierte Maß hinaus an der Betreuung (aktuell jedes zweite Wochenende). Es wäre ein Leichtes, den Beschluss zu erweitern, doch das macht die Richterin nicht, da der Vater das nicht will.

Es gibt keine Rechtsprechung, wonach sich Vater und Mutter (egal, ob getrennt oder nicht) zu gleichen Teilen um das Wohl der Kinder (Finanzierung, Betreuung, Bürokratie ...) kümmern müssen. Mit seiner Verweigerung geht die Pflicht automatisch zu 100 Prozent auf mich über. Ohne Konsequenzen für ihn.

Die Mütter werden heruntergewirtschaftet

Und genau hier greift meine Kritik an diesem System: Ist es denn im Umkehrschluss automatisch zum Wohl der Kinder, wenn die Mutter durch die alleinige Verantwortung für alles völlig fertig ist und nur noch funktioniert? Wie geht es einer Mutter, die kein eigenständiges Sozialleben mehr führen kann und sich über die Jahre von Burnout zu Burnout hangelt und auch der finanziellen Grundsicherung nicht nachkommen kann?

Der Vater kann sich rausziehen - ohne Konsequenzen

Ich kritisiere, dass die gesetzliche Regelung „einen unwilligen Vater kann man nicht zwingen“ unkritisch und automatisch greift. Dass man nicht differenziert zwischen „die Kinder sind körperlich oder psychisch gefährdet“ (Gewalttätigkeit, Drogen, cholerische Anfälle ...) und einem „da ist ein Vater, dem es einfach zu anstrengend ist, Beruf und zwei Familien unter einen Hut zu bekommen.“ Hier sehe ich eine Gesetzeslücke!

Wie kann es sein, dass es auch heute noch so einfach ist, sich der Verantwortung für seine Kinder zu entledigen? Was ist mit den Pflichten im Zuge des Sorgerechts und der Vaterschaftsanerkennung? Wie kann es sein, dass Nichtstun KEINE KONSEQUENZEN hat? Der Staat und die aktuelle Gesetzeslage machen es einem Vater verdammt leicht, sich seiner Verantwortung zu entziehen. Fährt er bei Rot über die Ampel, bekommt er einen Bußgeldbescheid und Punkte in Flensburg. Kümmert er sich nicht um seine Kinder, passiert nichts!

Was passiert eigentlich, wenn die Mutter auch nicht mehr will?

Was macht eigentlich der Staat, wenn die Mutter, resultierend aus ihrer Überlastung, auch „nicht mehr will“? Wenn sie Sätze wie „Die Kinder leben bei Ihnen, wie Sie das schaffen, ist Ihr Problem“ oder „Dann soll sie doch ein paar Jahre von Hartz IV leben, machen andere doch auch“ nicht mittragen will? Widerspricht solch eine Einstellung nicht den Anforderungen, die an junge Frauen gestellt werden, die ihren Beitrag im Sozialsystem leisten sollen…und das übrigens wirklich gerne tun würden?

Mein Vorschlag: Der finanzielle Aspekt darf nicht länger vom Umgang getrennt werden. Wenn ein Elternteil weniger Umgang möchte, sollte damit automatisch die finanzielle Verantwortung steigen! Und wenn dies (angeblich) nicht möglich ist, sollte derjenige in ständiger Beweispflicht stehen. Aktuell reicht eine auf Null gerechnete Bilanzierung vom Steuerberater, um ein Elternteil seinen Verpflichtungen zu entheben. Bei Hartz IV ist der Staat erbarmungslos. Warum nicht beim Kindesunterhalt? Ich bin fest davon überzeugt: Wenn es unbequem wird, lohnt sich das Entledigen der Pflichten nicht mehr so richtig.

Selten wurde ich so diskriminiert wie beim Familiengericht

Es kann einfach nicht sein, dass der Staat sich einerseits auf den Müttern ausruht, und sie gleichzeitig auch noch in die finanzielle Verantwortung nimmt. Das muss doch jedem klar sein, dass das auf Dauer nicht funktioniert. Hier ist, bedingt durch die aktuelle Rechtsprechung, ein erhebliches Ungleichgewicht entstanden. Rechte und Pflichten beider Eltern müssen Hand in Hand gehen.

In der Gerichtsverhandlung verdrehen alle die Augen, wenn ich einfordere, dass dem Kindsvater die gleichen Pflichten zugetragen werden müssen wie mir als Mutter. Das kann man ihm nicht zumuten, sagte die Richterin. Mir als Frau schon. Selten habe ich mich so diskriminiert gefühlt wie beim Familiengericht.

Gerecht wäre das "Wechselmodell"

Beide Elternteile sollten gesetzlich nach einer Trennung generell zu gleichen Teilen finanzieren und betreuen (das Tempo der Kinder muss dies natürlich zulassen, Säuglinge und Kleinkinder haben andere Bedürfnisse als Schulkinder). Zieht sich einer aus der finanziellen Verantwortung, sollte er mehr Betreuung übernehmen und umgekehrt.

Ich wünsche mir, dass das Wechselmodell, also eine gleichberechtigte Elternschaft, gesetzlich verankert wird. Gerne würde ich in den kinderfreien Wochen 40 Stunden arbeiten und in den Kinderwochen nur 20 Stunden - um genügend Zeit für Hausaufgaben, Schultermine, Hobbys und eben auch Zuwendung und Liebe zu haben. Hierzu gibt es jedoch keine Rechtsgrundlage. Dies ist ausschließlich einvernehmlich möglich!

Es sollte - insbesondere unter Anbetracht der aktuellen Kinderarmuts-Debatte - im Sinne der Gesellschaft sein, dass nicht alle Pflicht bei der Mutter, sondern bei den ELTERN liegt. Denn so wird eine ganze Generation Mütter heruntergewirtschaftet, die eigentlich mit Power, Bildung und Engagement diese Gesellschaft mitprägen könnte. Parallel dazu wird eine ganze Generation Kinder in die Armut getrieben. Ist das wirklich Deutschland im Jahre 2017?

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