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"Ich habe ADHS - und lebe jeden Tag wie auf Speed"

ADHS - so lebe ich damit
© privat
BRIGITTE.de-Leserin Kathrin (36) hat ADHS - und meistert ihren Alltag dank Ritalin, einem liebevollen Mann und tollen Freunden. Hier lest ihr ihren atemlosen Text über ihren hektischen Alltag.

Ein Tag mit ADHS: Aufstehen und planlos durch die Gegend irren. Wo ist mein Handy!? Mist, Kaffeetasse umgekippt und Knie am Tisch gestoßen! Witzig, dieser Werbespot im Radio, da könnte man einen coolen Film draus machen. Die Filmmusik in meinem Kopf spiele ich sofort auf der Blockflöte. Mein Mann seufzt genervt, muss dann aber doch lachen. Verdammt, schon 7.30 Uhr, ich muss ja längst los!

Nach der Ritalin-Einnahme klappt es besser mit der Konzentration. Ritalin macht, dass ich ruhiger und ausgeglichener werde. Bei der Arbeit schreibe ich trotzdem in Windeseile mehr Berichte als andere in einer Woche. Anstehende Aufgaben für die nächste Woche plane ich auch schon mal komplett durch. Die Kollegen sind genervt von meinem Tempo.

Auf dem Nachhauseweg fühle ich mich völlig leer und ausgelaugt. Wieder mal viel mehr gemacht als nötig und als gut für mich ist. Abends falle ich, nachdem ich mich mit Unmengen Schokolade betäubt habe, um 21 Uhr ins Bett und schlafe sofort total erschöpft ein.

Ein Monat mit ADHS: Eigentlich wollte ich doch dienstags zum Yoga gehen. Bewegung und Entspannung sind extrem wichtig für mich. Habe es aber nur einmal geschafft. Freunde zu treffen habe ich auch ziemlich vernachlässigt. Ich kann mich niemandem zuwenden, nicht zuhören, mich mit nichts außer mir selbst befassen. Mein Kopf hat mal wieder „Overkill“. Zu viele Reize aufgenommen, genau genommen ALLE Reize aufgenommen, und nun geht nichts mehr.

Ich wäre am liebsten den ganzen Tag mit Ohrstöpseln und Scheuklappen unterwegs, da ich sonst alles, was um mich herum passiert, aufnehme und durchdenke.

Aber zu dieser Party am Samstag, da gehe ich auf jeden Fall hin … naja, vielleicht … Wenigstens war ich beim Monatstreffen der Selbsthilfegruppe. Dort ist jeder wie ich. Zu schnell, zu laut, zu direkt. Hier fühle ich mich wohl und sicher.

Ein Jahr mit ADHS: Viele Ideen gehabt, viel Neues begonnen, wenig zu Ende gebracht. Mein Job langweilt mich auch langsam, ich sollte mir mal wieder was Neues suchen. So wie immer spätestens alle zwei Jahre.

Zum Glück habe ich einen tollen Mann, eine liebe Familie und einige wirklich gute Freunde. Sie schätzen meine Direktheit, meine Kreativität, mein Anderssein. Sie geben mir die Stabilität, die ich bei meinen emotionalen Turbulenzen brauche. So sind die Phasen der Erschöpfung nach dem hyperaktiven Powern weniger geworden. Und die Medikamente ermöglichen mir, meinen Alltag überhaupt zu meistern.

Die Autorin: Kathrin (36) hat ADHS und leidet unter starken Konzentrationsproblemen und ausgeprägter Hyperaktivität. Ihr Mann liebt sie aber trotz oder gerade wegen ihrer „Spezialeffekte“, wie sie es nennt. In ihrem Beruf hilft sie anderen. Das fällt ihr leicht, weil sie andere blitzschnell versteht und Lösungen für Probleme findet. Nur in ihren eigenen Problemen steckt sie oft fest, wie sie sagt.

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