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"Was mich Blumen lehren"

In der neuen Kolumnen-Reihe "60 Stimmen" schreiben unsere Leserinnen. In diesem Artikel: Pia Ersfeld über ihren "Fetisch" zur Pflanze und wie er gegen Stress und ihre Krankheit hilft.

Pia Ersfeld, 44, studierte Geschichte und arbeitet in der IT. Seit einer Hirntumor-Operation vor 17 Jahren bestimmen Schmerzen und andere Krankheiten ihren Alltag. Weil sich Elend am Besten mit Humor erschlagen lässt, begann sie zu schreiben. Resultate dieses krankenbettkompatiblen Hobbys sind auf ihrem Blog frauEnotiert.de zu lesen.
Pia Ersfeld, 44, studierte Geschichte und arbeitet in der IT. Seit einer Hirntumor-Operation vor 17 Jahren bestimmen Schmerzen und andere Krankheiten ihren Alltag. Weil sich Elend am Besten mit Humor erschlagen lässt, begann sie zu schreiben. Resultate dieses krankenbettkompatiblen Hobbys sind auf ihrem Blog frauEnotiert.de zu lesen.
© privat

Es gibt Menschen, die zählen die Tage bis Weihnachten. Kleine Menschen vor allem. Es gibt Menschen, die zählen die Tage bis zum Geburtstag. Menschen unter 30 vor allem. Und dann gibt es Menschen, die zählen die Tage bis zur alljährlichen Eröffnung des Gartencenters um die Ecke. Ich.

Sobald sich die Türen öffnen, überkommt mich ein Rausch, der dem von Carrie Bradshaw beim Manolo-Blahnik-Sale in nichts nachsteht. Ich wandere von Tisch zu Tisch, schnuppere hier, bedenke dort und am Ende steht die Frage, wie ich meine zwei Gänseblümchen (und die siebzehn anderen Töpfchen und die zwei Säcke Erde und den Spezialdünger und die Pflanzenstecker und die Topfhalterungen für man weiß ja nie) nach Hause bekomme. Es gibt kaum einen LAM (Lebensabschnittsmann), der diese Orgien nicht live erlebt hat. Selbst sehr vorübergehende LAMs haben sich schon mit 50-Liter-Säcken Erde ihre penibel gesaugten Firmenwagen versaut. Kluge Männer wissen: "Happy wife, happy life". Das gilt auch ohne Ehering. "Brauchst Du so viel Erde?!" Allein diese Frage! Kopfschüttelnd verschwand ich wieder in den Untiefen der Gartencenter, während die LAMs gottergeben ihre Zeit am Handy verbrachten.

"Was mich Blumen lehren"
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So sehr ich den Winter liebe (den WAHREN Winter, Düsseldorf! So einen mit Minustemperaturen und nicht einen verkappten Stockholmer Hochsommer), es fehlt etwas Essentielles: Blümchen. Weiße Blümchen. Und Blümchen in Altrosa, Mauve, Flieder, Lillifeepink, Puder, Magenta, Taupe. (Für die männlichen Leser: hat alles mit Rosa zu tun). Hortensien, Ranunkeln, Gänseblümchen, Vinca minor. Und Vergißmeinnicht. Das darf sogar hellblau sein. Dazu eine Birke und ein Ahorn-Baum. Wie kommen die auf einen Balkon? Sie waren plötzlich da. Erst als kleines, grünes Unkraut. Ich habe ein Herz für kleines, grünes Unkraut. Was an wilde Blumenwiesen in Schweden erinnert, öffnet mein Gärtnerinnenherz. Also hegte ich das kleine Unkraut. Und keine acht Jahre später, sind die beiden bereits über zwei Meter hoch.

Bis vor zwei Jahren, als ich noch so was wie Energie versprühte, war mein Balkon ein Urwald. Sehr zum Leidwesen meiner lieben Nachbarn, die sich während meiner Abwesenheiten Bandscheibenschäden durch Gießkannenwuchten zuzogen. 40 Liter waren zu Urwaldzeiten im Sommer täglich zu gießen. Dazu düngen, zupfen, umtopfen, rearrangieren. Ein Traum! Für mich, nicht für meine Nachbarn.

Es gibt nichts auf der Welt, das mich so sehr entspannt, wie Pflanzen zu pflegen. Ähem... doch... (Ist schon 23 Uhr? ;-) ) Pflanzen pflegen lässt sich aber rund um die Uhr veranstalten. Und man muss dafür nicht so einen initialen Aufwand betreiben. Pflanzen ist es wurscht, ob man im Schlafanzug oder Minirock vor ihnen steht.

"Was mich Blumen lehren"
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Meine Pflanzen sind auch schuld, dass ich keine weißen Oberteile trage. Kurz bevor ich das Haus verlasse, entdecke ich immer noch etwas auf dem Balkon, das ich fix richten möchte. Dann ist Schluss mit Weiß. Und weil es nichts Schöneres gibt, als mit den Händen in feuchtkalter Erde herumzuwühlen, trage ich bisweilen verschämt bürstenresistente Trauerränder unter den Fingernägeln. In der Erde wühlen ist nachgewiesenermaßen therapeutisch wirksam. Ohne müsste ich als chronische Kranke hier und da jemanden verhauen. Und dann hätte ich noch mehr Theater. Jeder Dauerpatient sollte von seiner Krankenkasse ein Pflanzenbudget erhalten. Das wäre auch günstiger, als Pharmafirmen zu subventionieren.

Durch meinen Balkon kann ich aufwandslos an frischer Luft sein. Oder an dem, was sich in Düsseldorf dafür hält. Gleichzeitig bleibe ich in Schleppweite zu Sofa und Bett. Perfekt für jemanden, der nur noch wenig Kraft hat. Beim Gärtnern vergesse ich die Zeit und das Elend und die Ärzte und alles vergangene und kommende Übel. Jede neue Knospe entzückt mich, jede Blüte wird bewundert. Aus Leidenschaft von mir, aus Höflichkeit von meinen Freundinnen. Aber weil ich mir in den vergangenen Jahren geduldig gefühlte 23.000 Babybilder angesehen habe, kommen sie aus der Nummer nicht mehr hinaus.

Meine Blumen haben mich auch gelehrt, dass wir alle eher partielle Umsorgungstalente besitzen. Bevor ich das erste mal länger verreiste, engagierte ich liebe Menschen, die hingebungsvoll mit Kindern und Hunden umgehen. Als ich wiederkam, standen einige Blumen knietief im Wasser. Seit Wochen. Jeder hatte es gut gemeint und noch einen Liter nachgegossen. Mit Tränen in den Augen versuchte ich mein Einblatt zu retten, das mich seit zehn Jahren treulich begleitet hatte. Ich fuhr mit ihm in die Notaufnahme. Die Frau vom Gartencenter schüttelte nur den Kopf: "Datt is jetzt vonner Wurzel her ersoffen, da könnse nix mehr maache.." "Nix??!" - "Nix."

Ich überlegte, ob die Hundebesitzer ihre vierbeinigen Freunde zum Trinken auch in der vollen Badewanne untertauchen und mit einem Stein beschweren. So ging ich mit hängenden Schultern nach Hause und dachte nach. Über Hunde und Kinder und andere Pflegeziele. Wer es liebt, Kinder zu umsorgen, packt nicht zwangsläufig ein Haustier. Wer seinen Hund auf Händen trägt, muss nicht gleichermaßen seine Primel am Leben erhalten können. Meine Sparte ist klar: Pflanzen. Die hopsen einem nicht morgens um sieben ins Gesicht und man muss ihre warmen Häufchen nicht in der Jackentasche spazieren tragen. Das überlasse ich allen, die dafür ein Händchen haben. Bei mir existiert nur ein Daumen. Und der ist grün.

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