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"Warum weniger wirklich mehr ist"

In der Kolumnen-Reihe "60 Stimmen" schreiben unsere Leserinnen. In diesem Artikel: Ricarda Giefer, warum weniger für sie wirklich mehr ist.

Ricarda Giefer, 29, wohnt in Köln und studiert an der Düsseldorfer Kunstakademie Malerei. Als Multiplikatorin des Global Marshall Plans gründete sie 2013 eine Lokalgruppe und führte u. a. Impulsveranstaltungen zum Thema „Welt mit Zukunft“ durch. Als DREIGROSCHENGABI gibt sie ihrer Gesellschaftskritik einen humorvoll-musikalischen Ausdruck. Seit diesem Jahr ist sie Foodsaver bei Foodsharing.
Ricarda Giefer, 29, wohnt in Köln und studiert an der Düsseldorfer Kunstakademie Malerei. Als Multiplikatorin des Global Marshall Plans gründete sie 2013 eine Lokalgruppe und führte u. a. Impulsveranstaltungen zum Thema „Welt mit Zukunft“ durch. Als DREIGROSCHENGABI gibt sie ihrer Gesellschaftskritik einen humorvoll-musikalischen Ausdruck. Seit diesem Jahr ist sie Foodsaver bei Foodsharing.
© privat

Vor drei Jahren habe ich mein Studium beendet, und da Lehrjahre keine Herrenjahre sind, konnte ich das Leben in finanzieller Unabhängigkeit kaum abwarten. Noch eingepfercht zwischen meiner Dusche, die sich in meinem Wohnzimmer befand, Wäscheständern und Bücherstapeln, aß ich stets preisbewusst meinen Haferbrei und sah mich schon in naher Zukunft tagsüber in seriöser Designerkleidung einer außerordentlich wichtigen Tätigkeit nachgehen. Abends dann zum Ausspannen in ein Spa oder zum Yogakurs und anschließend in einem schicken Restaurant speisen. Mehrmals im Jahr flöge ich in die wichtigsten Metropolen der Welt, andere Kulturen kennen lernen oder zumindest andere Modelabels. Sich endlich mal etwas gönnen können, davon träumte ich.

Ich hatte nun viel Zeit zum Nachdenken, genoss diese Freiheit und es dauerte deshalb nicht lange, da beschlichen mich Zweifel an dem Lebensentwurf, auf den ich jahrelang hingearbeitet hatte. Hinzu kam, dass mir Bücher in die Hände fielen mit Titeln wie "Weniger arbeiten" oder "Downshifting". Noch keinen Finger krumm gemacht, bekam ich jetzt schon Angst vor dem ersten Burnout.

Konnte es wirklich erstrebenswert sein, schon bald wieder die meiste Zeit des Tages einer Beschäftigung außer Haus nachzugehen, um sich eine Wohnung leisten zu können, die man nur im Dämmerlicht zu sehen bekommt? Womöglich mit einer Küche, in der man aus Zeitgründen gar nicht kocht? Um ein Auto zu fahren, das man ohne die Arbeitsstelle gar nicht bräuchte? Für Entspannungsurlaub, den man nur so dringend nötig hat, weil man so viel arbeitet und den man möglichst weit weg von seinem schönen Zuhause verbringt? Und für Kleidung, um zu den Menschen dazuzugehören, die man durch die Arbeit kennt?

Ist man erst einmal in die Literatur des "Weniger ist mehr" eingestiegen, wird schnell klar, dass es bei einer Fahrt mit dem Hamster-Riesenrad nicht bei der Gefährdung der persönlichen Freiheit bleibt und damit längst noch nicht der ganze Mechanismus durchschaut ist: Eine neue Jeans zum Beispiel kostet nicht einfach nur 100 Euro und damit die Zeit, um sich dieses Geld zu verdienen. Sie kostet vor allem das Material, die Energie und damit eine Menge Umwelt, sie herzustellen, das CO2, sie in der Welt herumzufliegen, um sie zum Beispiel auf den Philippinen zu färben, dann in Griechenland zugunsten eines Used Looks mit einem Bimsstein zu bearbeiten und in den USA etikettieren zu lassen. Und es kostet die Gesundheit und Lebenszeit der bei der Produktion beteiligten Kinder und Näherinnen, die für einen Hungerlohn unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen schuften.

Nach ein (im besten Falle) paar Jahren des Tragens, endet die Jeans als Abfall, dessen Vernichtung erneut schädliche Gase in die Atmosphäre befördert. Wir betreiben also mit unserem Geld Sklaverei und gleichzeitig Raubbau an der eigenen Lebensgrundlage, sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen und auf den wir, nennen wir dies optimistisch oder tollkühn, entsprechend auch noch unsere Kinder setzen möchten. Diese garantiert auftretenden Nebenwirkungen des Konsums einmal bis zum Ende gedacht, verliert so eine kleine Frust-, Trost- oder Belohnungs-Shoppingtour nach einer anstrengenden Arbeitswoche schnell ihre Unschuld.

Lehnt man es also nun zutiefst ab, "gutes Geld" zu verdienen, das eben zu nichts anderem taugt als zum Konsum, gibt es glücklicherweise noch eine ethisch vertretbare und umweltschonende Form der finanziellen Unabhängigkeit, die einem außerdem wesentlich weniger Zeit stiehlt: Deutlich weniger brauchen. In einem Anflug revolutionärer Wut sah ich mich nun als Aussteigerin in Hanfkleidung, mit zu Waschnüssen umfunktionierten Kastanien an einem Bach meine selbst genähten Sachen waschen, mich von wilden Beeren ernähren und in einer bescheidenen Hütte hausen. Aus meinen wenigen Campingexperimenten bei Festivals schöpfend, musste ich mir jedoch schnell eingestehen, dass ich das nicht bin. Ich bin eine Frau mit ästhetischem Bewusstsein, umgebe mich gerne auch mal mit schönen Dingen, schätze gute Speisen und möchte auch das Reisen nicht ganz aufgeben. Daran habe ich mich im Laufe von fast dreißig Jahren Menschsein gewöhnt und einen gänzlichen Verzicht würde ich nicht lange durchhalten. Und ich möchte Teil dieser Gesellschaft bleiben, so kritisch auch mein Verhältnis zu ihr ist. Mittlerweile habe ich meinen Weg gefunden.

Ich nutze das Privileg, ein Leben ausprobieren zu dürfen, wie es zum Beispiel dem Ökonom Niko Paech für die Zukunft der Menschen vorschwebt: 20 Stunden in der Woche gehe ich einer Erwerbstätigkeit nach. Ich arbeite als Behindertenassistentin, ein Job, bei dem ich immer ganz direkt spüre, dass das, was ich tue, sinnvoll ist, und bei dem ich jeden Tag etwas dazulerne.

"Warum weniger wirklich mehr ist"
© privat

Um weniger Geld für Nahrungsmittel zu brauchen und vor allem um aktiv etwas gegen die verheerende Lebensmittelverschwendung zu unternehmen, bin ich Mitglied der Foodsaver und hole regelmäßig übrig gebliebenes Gemüse bei kooperierenden Supermärkten ab. Was meine Mitbewohner und ich nicht verwerten können, bringe ich zu einem der sogenannten "Verteiler" in der Stadt, aus denen sich jeder jederzeit bedienen kann. Zusätzlich versuche ich mich als halber Selbstversorger und habe mir eine Ackerparzelle gemietet. Das Ernten und Unkrautjäten ersetzt mir meinen Meditationskurs! Kartoffeln aus der Erde zu wühlen und sie dann abends selbst in der Pfanne zu braten und zu essen erzeugt ein echtes Gefühl von Verbundenheit mit der Natur und mit meinem Körper.

Wenn ich mal wieder Lust auf neue Kleidung habe, lade ich zum Tauschabend ein. Fünf bis zehn Frauen misten ihre Schränke aus und bei einem Gläschen veganen Sekt wird sich dann durch die Klamottenberge gewühlt. Was übrig bleibt, kommt in einen "Umsonstladen". Dort gucke ich mich dann auch mal nach gebrauchten Küchenutensilien oder Büchern um, wenn ich selbst Bedarf habe oder ein Geschenk brauche. In den Urlaub geht es dieses Jahr nach Barcelona, mit der Bahn statt mit dem Flugzeug. Und übernachtet wird in einer privaten Unterkunft anstelle eines Hotels. Dieses Leben macht Spaß. Vor allem, weil man eben schon lange nicht mehr als einsamer, in Leinensäcke gewickelter Spaßverderber den anderen das Licht ausknipsen muss und belächelt wird; das war Weltretten in den Siebzigern. Wir sind längst viele. Viele, die sich eine lebenswerte Zukunft wünschen und bereit sind, umzudenken.

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