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"Soll ich schieben? Ich hab mal Zivi gemacht"

In der neuen Kolumnen-Reihe "60 Stimmen" schreiben unsere Leserinnen. In diesem Artikel: Laura Gehlhaar über ihr Leben im Rollstuhl.

Laura Gehlhaar, 30, ist Psychologin, arbeitet als Schauspielerin und Coach und bloggt in ihrer Freizeit über das Leben – und das Rollstuhlfahren.
Laura Gehlhaar, 30, ist Psychologin, arbeitet als Schauspielerin und Coach und bloggt in ihrer Freizeit über das Leben – und das Rollstuhlfahren.
© privat

In meiner Laufbahn als Rollstuhlfahrerin höre ich mir viele Kommentare und Fragen bezüglich meiner Behinderung an. Meistens von wildfremden Menschen, wenn ich auf den Aufzug oder die U-Bahn warte, auf Partys an der Bar oder beim Einkaufen im Supermarkt. Das Mitteilungsbedürfnis scheint oft sehr angeregt zu sein, wenn ich als Rollstuhlfahrerin irgendwo auftauche. Ich finde das faszinierend und mache mir oft einen Spaß daraus. Denn Humor braucht man dringend, wenn man nach Sprüchen wie "Sie sind doch viel zu hübsch, um behindert zu sein" nicht frustriert nach Hause gehen möchte.

Der Mensch ist von Natur aus neugierig. Und das ist gut so. Jedoch erschreckt es mich leider zu oft, wie schnell intime Kreise durchbrochen werden können. Ich möchte von keinem Fremden gefragt werden, wie ich Sex habe. Das geht nur meinen Partner, meine Freundinnen und Twitter etwas an. Auch interessiert es mich nicht, ob jemand irgendjemanden kennt, der auch im Rollstuhl sitzt. Ich möchte auch nicht automatisch als Inspiration gelten, nur weil ich eine Behinderung habe. Aus dem Nichts treten dann Leute an mich heran, um mir zu sagen, wie toll sie es finden, dass ich auch raus gehe. An dieser Stelle höre ich dann oft: "Laura, jetzt sei doch nicht so streng mit den Leuten. Die sind doch nur unsicher." Aber will ich Unhöflichkeit mit Unsicherheit rechtfertigen? Und darf Unwissenheit als Entschuldigung dienen? Jeder Mensch ist meiner Meinung nach für sein Wissen, aber auch für sein Unwissen selbst verantwortlich. Und wenn sich jemand unsicher fühlt, wie er/sie einer Person mit Behinderung begegnen soll, gilt in der Regel: Behandle deine Mitmenschen so, wie du selbst behandelt werden möchtest.

Die Liste der Sätze, die ich als Rollstuhlfahrerin ständig höre, ist lang. Hier ein "Best of":

"Soll ich schieben? Ich hab mal Zivi gemacht."

"Du Arme, so hübsch und dann im Rollstuhl"?Oder wie meine Oma mal sagte: "Et isenen Schand!"

"Oh, Unfall gehabt? Selbst verschuldet?"

"Ich saß auch mal drei Wochen im Rollstuhl. Ich weiß, wie das ist."

"Oh, Sie sitzen ja in einem Rollstuhl!"

"Sie müssen das positiv sehen: Sie haben immer Ihren Sitzplatz dabei!"

„Ich wäre auch mal fast in so einem Ding gelandet.“

"Kann man da noch was machen?"

"Toll, dass Sie trotzdem rausgehen."

"Darfst du betrunken Rollstuhl fahren?"

"Kannst du Sex haben?"

„Na ja, sind wir nicht alle ein bisschen behindert?!“

„Also ich könnte das nicht!“

„Sie inspirieren mich.“

„Kann ich Ihnen das irgendwo reinstecken?“

Humor ist wohl der Schlüssel, mit solchen Sätzen gut umgehen zu können und entsprechend darauf zu reagieren. Dank meiner Gene bin ich nicht gerade auf den Mund gefallen und kann für mich genügend Distanz aufbauen, um meine Intimität zu bewahren. Und oft kann ich einfach nicht anders, als mir einen Spaß in diesen Situationen zu machen.

"Soll ich schieben? Ich hab mal Zivi gemacht"
© Arne Vossfeldt

"Hast du ’nen Freund?" - ?"Ja." - ?"Sitzt der auch im Rollstuhl?"? - "Nein."? - "Oh."

"Bei uns im Haus wohnt auch jemand im Rollstuhl." - ?"Also ich wohne nicht in meinem Rollstuhl."

"Darf ich mal fragen, warum du im Rollstuhl sitzt?" - ?"Nur zu!"?- Schweigen.

"Geiler Vorbau!"?"Oh, danke! Die sind sogar ECHT!" - ?"Äh, ich meinte das Bike vor deinem Rollstuhl." - ?"Oh."

"Und was ist Ihr Handicap?"?"Handicap? Tut mir leid, ich spiele kein Golf." - "Und was ist Ihr Handicap?"? - "2."

"Soll ich Ihnen einen runterholen?" - "Sie perverses Schwein!" - ?"Ich meinte vom Regal!" - "Oh."

"Warum sitzt du denn im Rollstuhl?" ist wohl die am meisten gestellte Frage. In einer Partynacht wurde ich ganze fünf Mal von unterschiedlichen Männern gefragt, warum ich im Rollstuhl säße. Mit der Zeit empfand ich es ziemlich langweilig, das Tonband meiner Lebensgeschichte immerzu abspielen zu müssen. Um in die Beziehung zu meiner Behinderung ein wenig Abwechslung zu bringen, greife ich auch mal auf folgende Antworten zurück:

"Warum sitzt du denn im Rollstuhl?" - ?"Das ist psychisch."

"Warum sitzt du denn im Rollstuhl?"? - "Ich war mal Stewardess bei einer privaten russischen Fluggesellschaft. Nach einem Absturz über Sibirien war ich die einzig Überlebende."

"Warum sitzt du denn im Rollstuhl?"? - "Kennst du diese Sexschaukeln?"

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