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"So sind wir Frauen?"

In der neuen Kolumnen-Reihe "60 Stimmen" schreiben unsere Leserinnen. In diesem Artikel: Stevie Meriel Schmiedel, Geschäftsführerin der Protestorganisation Pinkstinks, über Gender-Marketing, Lemminge und das Frauenbild in der BRIGITTE.

Was will das Weib? Ein Marketingpsychologe von der Universität Köln weiß es. Passend zum Start von "Brigitte ohne Models" im Jahr 2010 hat Thomas Mussweiler, zusammen mit den Universitäten Arizona und Rotterdam, eine Studie über uns Frauen angefertigt. Leider nur mithilfe ein paar weniger Studentinnen, die repräsentativ für uns alle stehen sollten. Das "Forschungsergebnis", das die Studie verkündete, wurde von der Werbefachpresse bejubelt: "Es ist nicht anzunehmen, dass Konzerne ihren Umsatz durch Übergrößen-Models steigern können."

Frauen, so lautete die Erklärung, wollen sich mit schlanken Frauen vergleichen. Sich vormachen, sie sähen so aus wie die Models im Bild. Sieht die normalgewichtige Frau (die z.B. bei Zara schon mit Größe 40 "Übergröße" hat) ihre eigene Figur in der Werbung, oder sogar eine voluminösere, schreckt sie das vom Kauf ab. "Die wollen das Magerideal selber!", schienen die Medien zu triumphieren, die die Meldung im Februar 2010 unreflektiert druckten. In keiner der vielen Medienportale, die den Pressetext kopierten, wurde einmal gefragt, warum das so ist. Auch nicht, ob die Studie seriös sei. Herr Mussweiler schweigt zu der Frage, welche Werbebilder genau den lediglich zweihundert Studentinnen vorgelegt wurden. War es eine sexy Crystal Renn in ihren fülligeren Zeiten? Oder der coole Blick einer ehemalig dickeren Sophie Dahl? Das entlockt auch mir ein "Rrroar". Oder eine Dove-Seifen-Anzeige? Letzteres Produkt würde ich nie kaufen. Ich mag weder den Geruch von Dove-Seife noch überzeugen mich die unsicheren "Kicher! Ich bin halb nackt!"-Blicke der Models – egal, ob sie dick oder dünn sind.

Die Dove-Werbung mit "normalgewichtigen" Menschen war nach dem Erfolg der Mussweiler-Studie sofort vom Markt. "Brigitte ohne Models" zeigte im Januar 2010 noch eine größere Bandbreite an Körperformen, ab Februar begrenzten sich die Frauenkörperbilder auf Größen 34-36, der Vorgabe der Studie für größeren Absatz entsprechend. Dass dieses limitierte Frauenbild der Brigitte-Leserin nach drei Jahren zu dumm war und sie sich mit der „Frau von nebenan“ nicht identifizieren konnte, ist verständlich.

Aber nicht nur Mussweiler glaubt, dass schlanke Frauen besser ziehen. In großen Verlagshäusern sprechen selbst Chefredakteurinnen von bekannten Erfahrungswerten, die sagen, dass eine schlanke Frau auf dem Cover sich eben besser verkaufe als eine Dicke. Ist das so? Wirklich? Wenn man fragt, worüber wir eigentlich genau sprechen, gibt es selten klare Antworten. Zwischen dick und dünn liegen ja bekanntlich noch ein paar Welten. Sprechen wir von einer stark voluminösen Frau mit Reiterhosen-Syndrom oder einer attraktiven Frau in der gängigen Größe 40-42, die wir wirklich fast nie in Werbung oder Brigitte-Fashion-Spreads zu sehen bekommen? Und was ist so schlimm an "durchschnittlich", besonders in einer Zeit, in der zunehmend mehr Frauen aller Altersstufen Essstörungen erliegen?

Schlimm an "durchschnittlich" ist, dass die meisten von uns das "durchschnittlich" erreichen können. Wir müssen dafür keine anderen Frauen anschmachten und uns ärgern, dass wir nicht so aussehen. Wir müssen dafür keine Kompensationskäufe tätigen oder Zeitschriften kaufen, die uns versprechen, auch wir könnten Kate Moss sein, wenn wir nur das Salatblatt mit einem Esslöffel Light-Salatcreme bestreichen und eine Scheibe Putenbrust obendrauf balancieren. Wenn wir das neue Zumba-Workout mit Zen-Pilates kombinieren und, bevor wir die Kinder aus der Kita holen, bei Douglas noch schnell die neueste und teuerste Anti-Aging-Creme mitnehmen.

80 Prozent der Waren und Dienstleistungen der westlichen Welt werden von Frauen konsumiert, sagt das Finanzportal Bloomberg. Und an die verkauft sich praktisch alles, wenn man eine unerreichbar schlanke und glatte Frau daneben platziert. Die Frage ist, was passieren würde, wenn – wie Laurie Penny es in "Fleischmarkt" ausdrückt – wir uns auf einmal pudelwohl in unseren Körpern fühlen würden. Wer konsumiert dann noch rund um die Uhr? Brechen unsere Finanzmärkte dann zusammen? Das ist eine hoch spannende Frage, über die ich wahnsinnig gerne einen schlauen Bericht einer Wirtschaftsexpertin in der Brigitte lesen würde.

Es wäre schön, wenn die Brigitte hier ehrlicher wäre. Warum die Brigitte erfolgreicher ist als ein feministisches Missy-Magazine liegt auch daran, dass über Vieles nicht geredet wird. Darüber, dass die Brigitte-Diät dem Blatt in den 1980er und -90er Jahren einen enormen Aufschwung bescherte, während gleichzeitig Diäten als erster Schritt in die Magersucht bezeichnet werden können, dem gerade damals explosiv ansteigende Zahlen von jungen Frauen erlagen. Über die Hälfte der Mädchen in Deutschland fühlt sich heute zu dick (nur 11 Prozent sind übergewichtig), ein Drittel leidet unter Symptomen einer Essstörung (www.kiggs-studie.de, PDF S. 50).

Und vielen dieser Frauen wäre geholfen, wenn die Medien nicht die zwei Prozent der Frauen ablichten würden, die Topmodel-Figuren haben, sondern die gesamte Spannbreite an wunderbaren Körpern. Essstörungen sind komplizierter als "schlank sein wollen". Aber der Anstieg von gestörten Körperbildern nimmt zu, je mehr Werbung wir haben, die extrem schlanke und perfekt glatte Körper zeigen – und ein gestörtes Körperbild kann in Essstörungen resultieren. Hätten wir in der Gesellschaft eine größere Aufmerksamkeit hierfür und könnten mehr Wut über diesen Zustand generieren, wäre es fraglich, ob die Brigitte in dieser Form noch so gut laufen würde.

Wir von Pinkstinks haben diese Wut. Wir sind Genderforscher, Eltern, Väter, Sozialarbeiter und Lehrerinnen, Journalisten und Wissenschaftlerinnen. Zum Finale von Germanys Next Topmodel organisierten wir eine Protestparty, auf der wir zeigten, dass Mädchen auch TOP sein können, ohne MODEL zu sein.

Bilder sind normierend. Umgeben wir uns mit Magermodels, fühlen wir uns hässlich. Schauen wir lange genug in Foren wie Pinkstinks, hören wir oft genug, dass Vielfalt Schönheit ist, fühlen wir es auch. Deshalb, liebe Brigitte: Gebt uns doch bitte neue Bilder. In ganz kleinen Dosen. Immer wieder ein Fashion-Spread in Größe 38 bis 42, ein Cover-Image mit einer voluminöseren Frau. Artikel darüber, wie es unseren Frauen in Deutschland wirklich geht, und wie sie ihren Körper lieben können, anstatt ihnen Diäten zu verordnen. Anstatt wie Lemminge hinter bezahlten Marktforschungsstudien hinterherzulaufen, wäre es begrüßenswert, wenn die Frauenzeitschriften ausbrechen. Riot, don’t diet. Und vielleicht gibt es dann Überraschungen, für die Herr Mussweiler keine Erklärungen hätte. Denn seine zweihundert Studentinnen zwischen 18 und 25 Jahren sind einfach nicht die Welt. Bei Pinkstinks allein sind wir über zehntausend, die es anders sehen.

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