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"Ich bin Sexarbeiterin"

In der Kolumnen-Reihe "60 Stimmen" schreiben unsere Leserinnen. In diesem Artikel: Hekate ist eine selbständig arbeitende Hure und liebt ihren Job.

Hekate, 60, hat im therapeutischen Bereich und als Journalistin gearbeitet, bevor sie mit fast 50 ihren Job verlor. Nach einer Umschulung zur Technischen Redakteurin war sie vorübergehend auf Hartz IV angewiesen – und begann recht bald, als Sexarbeiterin ihr Geld zu verdienen. Sie lebt mit ihrem Mann in der ostwestfälischen Provinz, engagiert sich in der Kommunalpolitik und hat für Kultur viel und für selbsternannte Moralapostel wenig übrig.
Hekate, 60, hat im therapeutischen Bereich und als Journalistin gearbeitet, bevor sie mit fast 50 ihren Job verlor. Nach einer Umschulung zur Technischen Redakteurin war sie vorübergehend auf Hartz IV angewiesen – und begann recht bald, als Sexarbeiterin ihr Geld zu verdienen. Sie lebt mit ihrem Mann in der ostwestfälischen Provinz, engagiert sich in der Kommunalpolitik und hat für Kultur viel und für selbsternannte Moralapostel wenig übrig.
© privat

Meine Gesprächspartnerin ist Feministin alter Schule. Sie schnauft missbilligend durch die Nase und knarrt: "Ach so, über Hartz IV bist du daran gekommen... Also DOCH ein Opfer!" Und weiter: "Wie kann man an SOWAS Spaß haben. Da machst du dir doch was vor. Eine Frau, die SOWAS gerne macht, wird entweder dazu gezwungen oder sie ist psychisch krank." Hier sind die besten Argumente nutzlos. Die Klischees sind in den Köpfen selbst der Wohlmeinenden fest verankert.

Ich bin eine Frau, die es nach Ansicht der konservativen Politik und des klassischen Feminismus nicht gibt, weil nicht sein kann was nicht sein darf: Ich bin eine selbständig arbeitende Hure. Und ich liebe meinen Job. Und jetzt will ich die Klischees, die über mich und meinesgleichen kursieren, ein bisschen aushebeln. Denn Frauen wie mich gibt es nicht in der öffentlichen Diskussion. Wir sind entweder die armen Opfer oder die eiskalten Luder. Höchste Zeit, da mal ein bisschen aufzuräumen...

Aber vorab ein paar Worte über die Sprache: Ich bin "Sexarbeiterin" oder - wenn Sie es international lieber haben - "Sexworkerin". Das ist als Berufsbezeichnung neutraler als "Hure" oder "Prostituierte". Und die Männer, die mich besuchen, sind meine Gäste - manchmal auch meine Klienten – und meine Beziehung zu ihnen mindestens genau so komplex wie die Beziehung eines Therapeuten zu seinen Klienten. So - und jetzt fange ich an.

Klischee Numero Eins:

"Alle Prostituierten sind jung und ungebildet."

Viele Kolleginnen haben während des Studiums mit der Sexarbeit angefangen. Später sind sie dabei geblieben, weil sie keine Lust haben, als Angehörige der „Generation Praktikum“ zum Nulltarif zu arbeiten - mit einer vagen Zusage auf Festanstellung am Sankt Nimmerleinstag. Viele Kolleginnen sind aus einem bürgerlichen Beruf in die Sexarbeit gewechselt, weil sie für den regulären Arbeitsmarkt "zu alt" waren – oder weil eine Sexworkerin mehr verdient als eine Altenpflegerin oder Krankenschwester.

Ich habe einen Hochschulabschluss und eine therapeutische Ausbildung, engagiere mich politisch und arbeite kreativ. Ich bin Seiteneinsteigerin, bin mit Anfang 50 ins Metier gewechselt, nachdem ich längere Zeit erwerbslos war. Ausschlaggebend war ein Gespräch mit meiner Fallmanagerin bei der Hartz-IV-Behörde. Mein Mann und mir waren kurzfristig und mit dem Hinweis auf unser "Vermögen" (unser noch nicht abbezahltes Einfamilienhaus) die Leistungen gestrichen worden. Natürlich hatten wir alle Auflagen brav erfüllt, waren zu jedem Verhör marschiert, hatten uns beworben ohne Ende... aber wir waren beide schon über Fünfzig und entsprechend „berauschend“ war die Resonanz bei den Arbeitgebern. Als ich ein Jobangebot in der benachbarten Großstadt bekam, aber das Fahrgeld nicht hatte (eine Monatskarte kostete 70€) riet mir meine Fallmanagerin "den Arbeitgeber anzupumpen." Das war glücklicherweise nicht nötig, denn ich bekam ein unmoralisches Angebot, das Problem mit den Fahrtkosten war gelöst und seitdem fahre ich zweigleisig...

Klischee Numero Zwei:

"In der Sexarbeit muss man jung, schön und schlank sein - anders hat man keine Chance."

Ich bin 50plus, habe graue Haare und Übergewicht und ich stehe zu meinen kleinen körperlichen Macken. Zugegeben: als ich das erste Mal in der Lokalpresse mit dem Slogan „Deine Adresse für Streicheleinheiten“ inserierte, war ich selber verblüfft über die Resonanz. Heute weiß ich, dass viele Männer nicht unbedingt die schöne, schlanke und unbedarfte Frau suchen, sondern die ganz normale Frau, die aber ihre Sexualität lustvoll und offensiv auslebt, die Spaß am Sex hat und das auch zeigt. Schönheit liegt immer auch im Auge des Betrachters - ich habe in den vergangenen Jahren was DAS angeht, einiges an Selbstbewusstsein hinzugewonnen.

Klischee Numero Drei:

"Eine Prostituierte steht rund um die Uhr zur Verfügung und weiß später gar nicht mehr, mit wie vielen Männern sie sich eingelassen hat."

Mein typischer Arbeitstag ist von vielen Wartezeiten geprägt. Warten auf den Anruf eines Interessenten, warten auf den Gast... und in rund acht von zehn Fällen wartet man vergebens. Ich habe, bevor ich mich auf die eigenen Füße stellte, in einem Wohnungsbordell, einem Privatclub auf dem Lande und einem sehr renommierten SM-Studio hospitiert. Ich habe mir in den Wartezeiten diese Betriebe genau angesehen und mein ganz persönliches Modell entwickelt: Die erfahrene Frau, die sich privat und diskret mit viel Liebe, Lust und Kennerschaft um die Bedürfnisse ihrer Gäste kümmert.

Klischee Numero Vier:

„Ab Mitte 40 wird eine Frau als Sexualpartnerin unsichtbar, weil sich niemand mehr für sie interessiert.“

Meine Gäste sind Männer aller Altersstufen – vom schüchternen Jungspund bis zum quicklebendigen Rentner. Und wer mich besucht, kommt ZU MIR und nicht zu irgendeiner Frau... Meine Gäste sehen meine Bilder im Internet und wissen: diese Frau ist kein Teenie und kein Model. Sondern eine erwachsene Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht – und mit der man(n) auch noch mehr tun kann, als „nur“ die viel zitierten elf Minuten "Ohlala". DAS ist oft viel wichtiger als der Sex und damit komme ich zu:

Klischee Nummer Fünf:

„Die Männer die die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nehmen, sind primitive, schwanzgesteuerte Unholde, die andernfalls als Vergewaltiger ihr Unwesen treiben würden.“

Nach einer Studie der Humboldt-Universität Berlin geht jeder fünfte Deutsche ins Bordell, und das sind nur diejenigen die sich geoutet haben – die Dunkelziffer ist wahrscheinlich noch viel höher. Stellen Sie sich vor, Sie säßen in einem Straßencafé und nähmen den Männern die Parade ab. Und zählen im Geiste: "Eins ... zwei ... drei ... vier ... fünf ... DER vielleicht ... DER vielleicht auch..." Alle keine Monster, sondern ganz normale Männer mit all den Macken, die ein Mann – ein MENSCH, eben haben kann. Das können doch unmöglich alles Verkörperungen von Dr. Jekyll und Mr. Hyde sein...?

Der Typ des schwanzgesteuerten Sexmonsters ist mir noch nie begegnet. Aber sehr viel Sehnsucht nach Zärtlichkeit, viel Einsamkeit und immer wieder der Wunsch, nach Geborgenheit und Angenommen-Werden. Da kann es auch schon mal passieren, dass ich nicht auf die Uhr gucke, sondern einfach nur zuhöre.

Ein Berufsnomade und Single wider Willen seufzte irgendwann glücklich: „Bei Dir bin ich gerne – da merke ich wenigstens, dass ich ein Mensch bin.“ Ein Hüne mit der Figur eines Bodybuilders und der verletzlichen Seele eines Schmetterlings erzählte mir von seinem großen Bruder, der ihn aufgezogen hatte: "Und dann ist er einfach gestorben und hat mich alleine gelassen ..." Und ich habe seine Tränen getrocknet... Ein später Besucher mit dem Gesicht eines traurigen Clowns, der mit drei Rosen vor meiner Tür stand. Und der dann drei Stunden blieb (zwei hab ich ihm geschenkt ... ).

Natürlich gibt es auch die anderen: Den Mann, der mich in ein teures Hotel beorderte und so großspurig auftrat, dass ich unverrichteter Dinge wieder ging. Den Jungspund, der sich in meinen Sessel lümmelte und "Zeig doch mal, was du so zu bieten hast" meinte, und den ich freundlich, aber bestimmt hinaus-komplimentierte.

Die vielen, vielen "Spaßbucher", die ihre Termine nicht einhalten, sondern sich stattdessen zu Hause die Bilder im Internet anschauen und es toll finden, das genau diese Frau jetzt in diesem Moment auf sie wartet. UND natürlich die vielen braven Bürger, der mich früher aus anderen Zusammenhängen kannten - und mich nicht mehr kennen wollten, als ich vor rund acht Jahren mein Zwangsouting hatte. Aber DAS ist wieder eine ganz andere Geschichte...

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