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"Ich bin ein Stoffjunkie"

In der Kolumnen-Reihe "60 Stimmen" schreiben unsere Leserinnen. In diesem Artikel: Andrea Müller von Jolijou bezeichnet sich selbst als Stoffjunkie und hat Sucht und Beruf optimal miteinander verbunden.

Andrea Müller hat 2006 das Label Jolijou gegründet und arbeitet seitdem erfolgreich mit verschiedenen Partnern der Kreativindustrie zusammen, hat mit ihnen zahlreiche Schnittmuster, Stickmotive, Webbänder und Stoffdesigns veröffentlicht und schreibt den beliebten Blog jolijou.
Andrea Müller hat 2006 das Label Jolijou gegründet und arbeitet seitdem erfolgreich mit verschiedenen Partnern der Kreativindustrie zusammen, hat mit ihnen zahlreiche Schnittmuster, Stickmotive, Webbänder und Stoffdesigns veröffentlicht und schreibt den beliebten Blog jolijou.
© privat

Hallo, ich heiße Andrea und bin ein Stoffjunkie. So oder so ähnlich müsste ich mich wohl vorstellen. Ok, der Begriff Stoffjunkie ist vielleicht etwas zweideutig, aber wie würden Sie jemanden beschreiben, der in seinem Keller etliche Kilo lagert, der dennoch oft Angst hat, der Vorrat könne irgendwann zur Neige gehen und sich deshalb ständig Nachschub besorgt, und der inzwischen sogar nachts von neuen Sorten träumt? Genau. Ein klarer Fall für die Entzugsklinik. Aber nichts da, denn ich habe aus meiner Sucht sogar einen Beruf gemacht! Seit 2006 tarne ich mich nämlich als Textildesignerin und versorge mich damit geschickt ständig mit Nachschub. Trotzdem sorgt diese Berufsbezeichnung oft für überforderte Blicke beim Gesprächsgegenüber, denn darunter kann sich fast keiner etwas vorstellen. Spätestens, wenn ich dann aushole und erkläre, dass ich Stoffe, Schnittmuster, Stickereien und Webbänder entwerfe, trennt sich die Spreu vom Weizen. Die einen möchten bitte sofort mit in den Keller, die anderen am liebsten schlagartig flüchten. Sehr amüsant.

"Ich bin ein Stoffjunkie"
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Dabei ist das wirklich nichts zum Fürchten. Wahrscheinlich tragen Sie gerade selber etwas, das einer von uns entworfen hat. Sehen Sie sich beim nächsten Besuch im Laden xy mal bewusst um. Überall lauern Beweise unserer Arbeit: Karos, Punkte, Streifen, Blumen, Äpfel, Eulen, A-Linien, Bleistift-Formen, Kragen, Taschen, Biesen, Belege, Stickereien. Das alles haben wir fleißigen Designern zu verdanken, die sich jeden Tag neue Muster und Formen für Textilien aller Art ausdenken und dafür sorgen, dass wir - und unsere vier Wände - darin gut aussehen. Ich mache aber niemandem einen Vorwurf, wenn er das alles übersieht, denn unsere Arbeit ist fast so selbstverständlich geworden wie die Luft zum Atmen. Es ist ja in vielen Bereichen leider so, dass man sich viel zu selten Gedanken über den Ursprung der Dinge macht. Aber so viel, so nachdenklich. Ich bin Textildesignerin, und das ist gut so. Einer muss es ja schließlich machen.

Ich entwerfe allerdings nicht für die Mode- oder Heimtextil-Industrie, sondern für die Kreativbranche (bitte nicht weglaufen, das ist bloß ein anderes Wort für die DIY-Szene und die liegt ja voll im Trend), d.h. meine Designs sind für kreativ tätige Menschen, die gerne nähen und Dinge aus Stoff herstellen. In diversen Stoff- oder Kurzwaren-Geschäften des Landes liegen meine Stoffe, Schnittmuster und Webbänder aus und können zu individueller Mode oder Accessoires verarbeitet werden.

Meine Faszination für Stoffe begann bereits im jüngsten Kindesalter. Und zwar ausgerechnet zusammen mit Lady Di, denn ich habe ihre komplette Garderobe aus Zeitschriften ausgeschnitten und in großen Sammelalben neu gestaltet, nach Farben sortiert und kategorisiert. Fergies übrigens auch. Auf einer alten Singer-Nähmaschine versuchte ich, die Kleidung für meine Puppen nachzunähen, und träumte schon damals davon, irgendetwas mit Textilien oder Mode zu machen.

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Der Weg verlor sich im Laufe der Jahre, bis ich nach der Geburt meiner Tochter wieder zum Nähen zurückfand. Ich liebte es schon immer, wenn alles farblich zusammenpasst, das fesselt mich auch heute noch. Als mein erster Sohn geboren wurde und ich das Fehlen schöner Motive für Jungs bemängelte, habe ich selber zum Stift gegriffen und meine erste Stickmusterserie gezeichnet. Etwa zeitgleich entwarf ich mein erstes Schnittmuster und stellte fest, dass mir beides sehr viel Spaß macht. Die Ergebnisse präsentierte ich in meinem Blog und die Anerkennung die ich dafür bekam, beflügelte mich weiterzumachen. So kamen nach und nach zu den Stick- und Schnittmustern Webbänder, Tassen, Teller und Brettchen, Papeterie-Artikel und natürlich Stoffe dazu.

Stoff verbindet für mich perfekt die beiden Elemente des kreativen Schaffens, die ich am meisten liebe: das Zeichnen und das Nähen. Ich liebe zwar auch die Arbeit mit Papier, Wolle und Porzellan, aber fast nichts lässt mein Herz höher schlagen als ein schönes Stück Stoff in den Händen zu halten. Da fange ich an zu träumen und stelle mir tausend Dinge vor, die ich daraus am liebsten sofort nähen möchte. Übrigens, Nähen entspannt total, reinigt den Kopf und ist am Ende, mit einem Ergebnis in der Hand, unglaublich befriedigend. Nähen ist das neue Yoga, wie ich immer sage, Sie sollten es unbedingt probieren!

In diesem Sinne: keep calm & sew stuff.

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