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"BDSM - ich mache es, wie ich es mag!"

In der Kolumnen-Reihe "60 Stimmen" schreiben unsere Leserinnen. In diesem Artikel: Sina Seeland mag BDSM und will endlich mit den Vorurteilen gegen ihre Sexualität aufräumen.

Sina Seeland, 40, lebt mit ihrer Familie in Nordrhein-Westfalen und schreibt seit 2009 Texte zum Thema Liebe, Beziehung, Sexualität und Familie für verschiedene Online- und Printmagazine. Außerdem wurden erotischen Kurzgeschichten von ihr in bisher zwei Anthologien veröffentlicht. In den kommenden Wochen wird ihr erster Roman erscheinen, ebenfalls eine erotische Liebesgeschichte.
Sina Seeland, 40, lebt mit ihrer Familie in Nordrhein-Westfalen und schreibt seit 2009 Texte zum Thema Liebe, Beziehung, Sexualität und Familie für verschiedene Online- und Printmagazine. Außerdem wurden erotischen Kurzgeschichten von ihr in bisher zwei Anthologien veröffentlicht. In den kommenden Wochen wird ihr erster Roman erscheinen, ebenfalls eine erotische Liebesgeschichte.
© privat

Über Sex zu schreiben, ist immer eine ziemliche Gratwanderung. Sex ist ein sehr persönliches Thema und die meisten Menschen haben den Impuls, das, was im eigenen Schlafzimmer vor sich geht, vor der Beurteilung durch Fremde zu schützen. Ich finde das völlig nachvollziehbar und mache das eigentlich auch so. Eigentlich? Ja, eigentlich, denn heute und hier mache ich eine Ausnahme. Ich möchte über den Sex schreiben, den ich mag, der mich interessiert, der mir Lust macht. Denn ich lebe durch die Art Sex, die ich mag, mit einer Menge Vorurteilen, und Vorurteile baut man nicht ab, indem man schweigt. Sie entstehen durch Informationsmangel. Es ist ein wenig wie mit der Westentaschenweisheit, dass Leute, die nicht wählen gehen, sich auch nicht über die Zustände beklagen sollten: Ich kann nicht über etwas schweigen und erwarten, dass sich Vorurteile und falsche Meinungen trotzdem wie durch ein Wunder in Luft auflösen.

Also spreche ich über mich und über den Sex, den ich mag: über BDSM. Ich sehe, wie einige Leserinnen jetzt mit den Augen rollen, weil sie gehofft hatten, die peinlich-gruselige "Fifty Shades of Grey"-Welle sei allmählich abgeebbt. Keine Ahnung, was mit der Welle ist, ich mochte meine Art, Sex zu haben, schon, bevor es die Buchreihe gab. Erstaunlich, oder? Es gab "uns" schon, bevor BDSM als Thema durch sämtliche Talkshows tingelte und jeder - aber auch jeder - plötzlich glaubte, sich eine Meinung und ein Urteil darüber erlauben zu können oder zu müssen. Bitte nicht falsch verstehen: Ich finde es völlig ok, sich Meinungen zu bilden. Ich selbst tue das jeden Tag, zu sehr vielen Dingen. Nur ist es vielen Menschen leider oft zu mühsam, das anhand von wertneutralen Informationen zu tun. Stattdessen applaudieren sie, wenn jemand ein paar bekannte und für möglichst viele Menschen nachvollziehbare Klischees aneinanderreiht.

Aber werden wir doch mal konkret: ich mag also BDSM. Unter diesem Sammelbegriff vereinen sich verschiedene Spielarten von Sex, die alle nur eine Sache gemeinsam haben: sie gehen über das hinaus, was im Sprachgebrauch als "normaler" Sex bezeichnet wird. Wobei, was bitteschön ist "normaler" Sex, wer definiert das und wo zieht man die Grenze zwischen "noch normal" und "schon BDSM"? Allein darüber redet man sich in Internetforen und überall sonst die Köpfe heiß. Ich jedenfalls beobachte, dass die Grenzen von "noch normal" und "schon speziell" immer weniger klar gezogen werden können. Alles fließt mehr und mehr ineinander. Weil Menschen aufgeschlossener und neugieriger geworden sind. Was ich persönlich natürlich begrüße. Allerdings: ich beobachte und erfahre auch, dass die Menschen nicht aufgeschlossen und nicht neugierig genug sind. Nicht genug, um mir nicht zu nahe zu treten. Ich möchte das anhand eines für mich aktuellen Beispiels konkretisieren: ich sprach über meine Vorliebe mit einem Menschen, der mir nahe steht und den ich für offen genug hielt, um ihm das Thema überhaupt zuzumuten. Wer BDSM lange genug betreibt, der bekommt irgendwann eine Art gesunder Skepsis vor zu viel Mitteilsamkeit gegenüber den falschen Menschen. Mit "falschen Menschen" meine ich in diesem Fall Menschen, die reflexhaft oben erwähnte Kette an Vorurteilen abspulen, sobald man sich dem Thema nähert. Nun, ich hatte also meinen Gesprächspartner so eingeschätzt, als hätte er sich einen offenen Geist bewahrt. Wie sich herausstellte, war meine Einschätzung falsch. Nicht nur, dass er mich und meine Neigung (ich empfinde sexuell submissiv, mit Tendenz zu devot) für fürchterlich rückschrittlich und unemanzipiert hält. Was an sich schon schwer verdaulich ist für mich, da ich mich durchaus für eine sehr moderne und auf Gleichberechtigung bedachte Frau halte. Aber er hatte auch gleich eine kleine küchentischpsychologische Kurzanalyse parat, indem er meine Neigung sofort mit einer Anzahl von Traumata aus meiner Kindheit erklären konnte. Damit nicht genug. In den folgenden Tagen postete ich auf meinem Facebook-Profil ein Liebesgedicht von Virginia Woolf, das mir gefiel, woraufhin dieser besagte Mensch es kommentierte mit: "So ist es doch viel schöner. Nieder mit der Sklaverei!"

Was selbstbestimmte Sexualität für mich bedeutet

Um ehrlich zu sein, mir fehlen noch immer die Worte. Wäre er nicht jemand, der mir nahe steht, ich hätte vermutlich die Augen gerollt und die Sache für mich abgehakt. Da er aber jemand ist, der zu meinem unmittelbaren Umfeld gehört und da seine seltsame Reaktion zeitlich zusammenfiel mit meiner Teilnahme an diesem Projekt der BRIGITTE, habe ich mich entschlossen, mich auf diesem Wege damit auseinander zu setzen. Bin ich also rückschrittlich und unemanzipiert, weil ich beim Sex gern eine devote Position einnehme? Spucke ich quasi allen ins Gesicht, die stellvertretend für mich seit Jahrzehnten für die Gleichberechtigung der Frau kämpfen? Die dafür kämpfen, dass Frauen im Bett nicht mehr als Objekte betrachtet werden, dass Frauen ihr eigenes sexuelles Selbstbewusstsein entwickeln konnten und dass Frauen keine Gewalt mehr gegen sich billigen müssen? Tue ich das, weil ich mich im Bett beherrschen lasse, körperlich und geistig? Weil ich das Spiel zwischen Lust und Schmerz liebe und weil ich mich bewusst in die empfangende Position begebe? Werfe ich und werfen alle, die Sex so mögen wie ich, die gesamte Emanzipationsbewegung um Lichtjahre zurück?

Nein. Das tun wir nicht. Das tue ich nicht. Das Gegenteil ist der Fall: weil ich eine emanzipierte Frau bin, habe ich Sex, so wie ich ihn mag. Weil es die Emanzipationsbewegung gab, kann und darf ich heute Sex haben, wie er mir gefällt. Ich bin eine freie Frau, die alle Möglichkeiten hat und nutzt, ihre eigene Lust zu definieren und auszuleben und das bin ich, weil es die Emanzipation der Frau gibt. Sie gibt mir die Möglichkeit, heute so zu sein, wie ich es möchte. Eine Beziehung im Rahmen von BDSM hat nichts damit zu tun, ein passives Opfer von Männergewalt zu sein. Nichts könnte unrichtiger sein. Zwei Menschen, die sich im Rahmen von BDSM sexuell begegnen, tun das im gegenseitigen Einverständnis. Niemand wird gezwungen, niemand unterdrückt. Zwei freie Menschen begegnen einander, stellen fest, dass ihre Neigungen sich ergänzen und verschaffen einander Lust. Unter Umständen verlieben sie sich auch, dann kann es sein, dass die gesamte Beziehung im Rahmen von BDSM ge- und erlebt wird. Oder auch nicht. Manche genießen ihre Rollen nur im Schlafzimmer, manche mögen es, ihr gesamtes, partnerschaftliches Leben auf diese Weise zu ordnen. Der Punkt ist: sie tun es freiwillig und als selbstbewusste Menschen. Ich bremse also mit meiner Neigung die Emanzipation nicht aus, ich BIN gelebte und empfundene Emanzipation und ich genieße es sehr. Indem ich ganz bewusst situativ die Gleichberechtigung meinem Partner gegenüber aufgebe und mich in eine Art Spiel begebe, das für uns beide prickelnd und aufregend ist, agiere ich absolut emanzipiert, denn ich entscheide, was ich wann und warum aufgebe und ich erlebe diese Aufgabe als bereichernd, lustvoll und befreiend.

Es gäbe zu diesem Thema so viel mehr zu erklären und zu sagen, allein mein Platz hier ist begrenzt. Ich kann und möchte mit meinen Zeilen nicht erreichen, dass jeder, der sie liest, meine Empfindungen für sich nachvollziehen kann oder gar meine Neigung teilen oder auch nur verstehen soll. Darum geht es nicht. Es geht darum, einander zu begegnen und zuzuhören und Fragen zu stellen und sich um Offenheit gegenüber den Antworten zu bemühen und sich nicht reflexhaft auf das Abspulen von alten Vorurteilen zu begrenzen. Denn das tut man: man begrenzt sich. Und das ist schade.

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