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Raus aus der Abhängigkeit "Meine Tablettensucht begann schleichend - trotzdem war sie ein Schock!"

Raus aus der Abhängigkeit: "Meine Tablettensucht begann schleichend - trotzdem war sie ein Schock!"
© Privat
BRIGITTE.de-Leserin Ulrike (54) hat ein anstrengendes Leben und rutschte in die Tablettensucht. Hier erzählt sie, wie sie sich aus der Abhängigkeit kämpft.

Wie so vieles im Leben begann die Tablettensucht schleichend

Meine Krankengeschichte begann vor über 30 Jahren. Durch Kinder, Beruf, Hausbau, Haushalt und Hunde war ich den ganzen Tag beschäftigt. Mein Mann war im Schichtdienst tätig, und eine Ganztags-Kinderbetreuung gab es nicht, sodass vieles von mir erledigt werden musste.

Bei meinem Sohn wurde nach vielen Schwierigkeiten Asperger-Sydrom diagnostiziert, und meine Tochter leidet seit ihrem neunten Lebensjahr an Depressionen. Probleme gab es auch mit meinen Schwiegereltern, mit denen wir Haus an Haus wohnten. Sie mischten sich in alles ein, und ich konnte ihnen nichts recht machen.

Meine Mutter starb bereits 1994, meine Schwester und mein Vater starben 2012 an Krebs. Mein Mann erkrankte an weißem Hautkrebs und musste mehrfach operiert werden.

Selbstverständlich habe ich Mann und Kinder versorgt, Termine wahrgenommen, täglich frisch gekocht, Haushalt, Garten, Hunde und Schwiegereltern betüdelt. Aufstehen um 4 Uhr morgens war normal, mehr als drei, vier Stunden Schlaf waren selten drin.

Irgendwann begannen die Schmerzen. Meine Bewegungen wurden schwerfällig und die Stimmung immer schlechter. Jeder wollte etwas von mir und ich musste allen und allem gerecht werden.

Ich nahm Pillen gegen die Schmerzen - um weiter zu funktionieren

Also erstmal eine Pille eingeworfen und weitergemacht. Dann hat eine Pille nicht mehr gereicht, also eine zweite. Als es immer schlimmer wurde, bin ich zum Arzt gegangen. Ich habe wegen meiner Schmerzen und meiner Beschwerden durch Polyarthrose, Osteochondrose und Fibromyalgie stationäre Reha-Kuren, Krankengymnastik, Massagen, Akupunktur, Blutegelbehandlungen und Pilates gemacht und natürlich Tabletten eingenommen: Antidepressiva, Antikonvulsiva, Entzündungshemmer und hurra, die vermeintliche Rettung: Opiate.

Anfangs haben diese Pillen auch geholfen, allerdings nur für eine begrenzte Zeit. Danach musste die Dosis immer weiter erhöht werden, bis ich an einen Punkt kam, an dem eine weitere Dosiserhöhung mit meinem Arzt nicht mehr möglich war. Was nun? Die Dosis ohne Absprache weiter nach oben treiben? Aber was ist, wenn vor Ausstellung eines neuen Rezepts keine weiteren Rezepte mehr verordnet werden?

Familie und Freunden ist dann auch aufgefallen, dass ich mich vom Wesen her stark veränderte. Ich habe mich immer mehr zurückgezogen, Aktivitäten habe ich wegen der Schmerzen gar nicht mehr wahrgenommen. Meine Aufmerksamkeitsspanne war praktisch nicht mehr vorhanden. Ich habe innerhalb von Minuten vergessen, was ich eben noch gemacht habe. Auf der Arbeit kam es zu massiven Problemen, weil ich immer mehr Fehler gemacht und immer häufiger gefehlt habe.

Zu dieser Zeit ist mir ein Fernsehbericht aufgefallen mit dem Titel „Die Opioid-Krise in den USA“. Vor allem der Untertitel „Süchtig nach Schmerzmitteln“ sprang mir ins Auge. Bei weiteren Recherchen im Internet habe ich erfahren, dass es in den USA durch Opioide massiv zu Abhängigkeiten und so vielen Toten gekommen ist, dass von einer Opioid-Epidemie gesprochen wird.

Aber so weit war es bei mir doch nicht, oder?!

Zum Glück war ich an eine Psychotherapeutin geraten, die darauf drang, dass ich eine stationäre Schmerztherapie mache. Nachdem ich eine Klinik gefunden hatte, habe ich mich zu einem Erstgespräch angemeldet. Ich war vom komplexen Ansatz der „multimodalen Schmerztherapie“ überrascht, allerdings wurde mir klar gesagt, dass mir der Schmerz nicht genommen werden kann, mir aber ein Weg aufgezeigt werden könnte, damit umzugehen.

Ein Schock war für mich, als dann im Arztbrief das Wort OPIOIDENTZUG stand. Ja, ich war tablettenabhängig, also süchtig!

Dann endlich der Termin in der Klinik. 18 Tage stationär in einer Gruppe von Leidensgenossen. Der Tagesablauf beinhaltete viele Therapien, die auf jeden Einzelnen abgestimmt waren.

Der Entzug war hart

Eine nicht einfache Zeit, vor allem der Entzug, der sich vor allem körperlich bemerkbar machte. Ich hatte das Gefühl, ich wäre in den Schleudergang einer Waschmaschine geraten. Alles schmerzte, ich hatte ein Kribbeln auf der Haut, Schweißausbrüche, Zitteranfälle und extreme Stimmungsschwankungen.

Nach etwa einer Woche wurde es besser. Ganz allmählich bekam ich mithilfe der Therapien den Entzug und die Schmerzen in den Griff. Dem Tag der Entlassung sah ich nun entspannter entgegen.

Ich weiß jetzt, dass die Welt nicht untergeht, wenn ich nicht alles schaffe

Natürlich sind die Schmerzen, nach nun drei Monaten zu Hause, immer noch da. Es gelingt mir aber, besser damit umzugehen und nicht gleich zur Tablette zu greifen. Ich nehme die täglich in meinem Terminkalender fest eingetragenen Termine zum Spazierengehen, Entspannungstraining und Yoga so wichtig, wie sie sind.

Ich muss nicht immer 100 Prozent geben und kann mir endlich eingestehen, dass ich nicht alles schaffe, was auf meiner Agenda steht. Ich weiß jetzt, dass die Welt deshalb nicht untergeht. Ich denke, dass ich auf einem guten Weg bin und blicke zuversichtlich in die Zukunft.

Die Autorin: Ulrike (54) ist verheiratet, hat zwei Kinder (31 und 28) und lebt mit ihrem Mann in einem Dorf. Sie arbeitet als Teamassistentin und ist aufgrund ihrer Krankheiten schwerbehindert.

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