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„Meine Freundin hat sich neu verliebt! Und was ist mit mir?“

BRIGITTE.de-Leserin Anja Schulmeister lebt eigentlich ganz zufrieden mit ihrer Familie auf dem Land. Bis ihre beste Freundin sich neu verliebt ... 

Zweisamkeit? Im Tiefschlaf auf dem Sofa

Ihr wisst, was ich meine ... Dieses Kribbeln im Bauch ist heute, nach den wohlwollend geschätzten ersten zwei Jahren mit ihm, allerhöchstens ein wachsendes Hungergefühl, oder es kündigt die bevorstehende Menstruation an.

Die rosarote Leichtigkeit des Seins ist sukzessive einem dunkellila Gleichmut gewichen. Und der mir bis heute äußerst unheimliche Energiestrom der ersten Monate einer Beziehung, der das Schlafbedürfnis exekutiert und einen dennoch rund um die Uhr gut aussehen lässt, durchfließt meinen Körper maximal noch träge tröpfelnd, wenn eine außergewöhnliche Party mit ein paar neuen Gesichtern ansteht.

Zweisamkeiten mit meinem Mann finden in der Regel in spannungsloser Einigkeit und traumlosem Tiefschlaf auf dem Sofa statt und werden oftmals freundlich von Frau Will, Herrn Plasberg oder anderen begleitet. Sollte ich diesem Zustand eine Farbe zuordnen, fiele mir so etwas wie Sauerampfergrün ein.

Ich lebe in der guten alten Komfortzone ...

Manchmal sehe ich mich um und registriere, dass ich gemeinsam mit vielen anderen Frauen meiner Lebensphase in einer emotions- aber auch weitestgehend schmerzlosen Komfortzone angekommen bin. Die guten wie die schlechten Zeiten stehen wir wacker durch, und wir haben längst begriffen, dass die ganz große Liebe mit der ewigen Treue und dem tiefen Vertrauen in das Reich der Fabeln gehört. Wir flicken, bis die Fugen dicker sind als jede einzelne Scherbe, an deren Farben wir uns nicht mehr erinnern.

Irgendwann haben wir angefangen, die Prioritätenliste mit unseren Sehnsüchten, Träumen, Wünschen und Werten neu zu sortieren und zu ergänzen. Ganz nach oben gerückt sind Vernunft, Verantwortungsbewusstsein, Sicherheit, ein vordergründig haltgebendes Sozialleben, das Glück der Kinder... Manche nennen das die Harmonie des Alters, den natürlichen Wandel der Zeit. Zyniker sprechen von Resignation, besonders schlimme von Feigheit. Allseits beliebt und auch bei mir hoch im Kurs ist die Zufriedenheit. Tendenz – aber nur bei mikroskopischer Betrachtung: hundehaufenbraun.

... bis ich den Anruf bekomme

Und dann rief sie an. Die beste Freundin. In meinem Fall heißt sie Sarah, und sie hat im Dezember ihren Gatten nach 16 Ehejahren aus ihrem Leben verbannt. Wegen der Kinder ist so ein Cut in den meisten Fällen ja nur für Teilbereiche umsetzbar, aber immerhin... Eine gute und wichtige Entscheidung, die lange reifen musste, und der herrenseitig viel Betrug, zahllose Lügen und traumatische Respektlosigkeit vorausgegangen sind.

Ich habe Sarah damals durch das tiefe Tal begleitet, mit ihr gelitten und geweint und an neuen Lebensmodellen gebastelt. Wir haben ihr Lachen wiederentdeckt, die Frau von heute als absolut fehlerfrei und den Mann an sich als grundsätzlich überlebensunnötig definiert. Je nach Art und Ort des Erkenntnisaustausches widmete ich mich dem Hemdenbügeln und Rhabarberkuchenbacken für den Schwiegerelternbesuch parallel oder im Anschluss.

Ihre Stimme klang anders als sonst

Doch jetzt klang ihre Stimme... anders. „Bis heute Morgen um zehn vor vier haben wir uns über WhatsApp geschrieben! Ich sag‘ dir gar nicht, was alles, war echt nicht jugendfrei...“ Wie bitte??? „Meine Gute, ich dachte, ich stehe den Tag im Büro nicht durch – ABER ICH BIN TOPFIT!“ Irgendwo in meiner Magengegend zuckte es leise. „War heute Nachmittag joggen, hab‘ schon 3 Kilo abgenommen, und das neue Vitamin-Serum, das du mir empfohlen hast, schlägt jetzt total an! Die drei dunklen Flecken im Gesicht sind so gut wie weg, ist das nicht der Hammer?“ Ähm, ja. „Ich will mich ja gar nicht so einlassen, aber er macht so wunderbare Komplimente! Dass ich die schönste Frau bin, die ihm je begegnet ist, so elegant und geheimnisvoll und strahlend! Ich laufe den ganzen Tag auf Wolken!“

Ab „laufe“ senkte sie ihre Stimme, dehnte jeden Buchstaben und klang wie ein himmelblaues Daunenkissen.

„Der Ultrastress mit meinem Chef lässt mich völlig kalt gerade – ich grinse den ganzen Tag vor mich hin!“ Ein seltsames Misstrauen keimte in mir auf. Ich fühlte mich unvermittelt in meine frühe Jugend gebeamt, so Anfang 14 etwa, als wir Mädchen uns versuchsweise in genau diesem zuerst euphorisch-schrillen, dann leise-versonnenen und leicht peinlichen Tonfall unsere Empfindungen nach diversen Jungs-Dates (zum Beispiel mit dem coolen Andreas, hautenge Jeans mit weißen Seitenstreifen!) mitgeteilt haben.

„Halt‘ dich fest: Er. Hat. Mir. Einen. BRIEF geschrieben!“ Jetzt brauchte ich wirklich etwas zum Absitzen und zog mir den Schaukelstuhl ran. „Weiß ja nicht, ob er sich alles tatsächlich selbst ausgedacht hat, aber... ein Wahnsinns-Liebesbrief! Wie früher! Sogar mit Briefmarke und vom Briefträger eingeworfen! Zeig‘ ich Dir, wenn wir uns mal wiedersehen. Du wirst wegschmelzen.“

Das tat ich bereits. Ich saß und lauschte und fühlte mich merkwürdig breiig. „Samstag sehen wir uns, da sind die Kinder bei Michael. Irgendwie plant er etwas ganz Besonderes, er verrät mir nichts. Ich bin so aufgeregt! Muss dringend vorher noch shoppen – hab‘ original nichts mehr zum Anziehen, nur diesen ganzen Altweiber-Batsch!“

Bisher war mir noch nichts Schlaues eingefallen, das ich zu dem Gespräch hätte beitragen können. Meine so kluge, erfahrene, reife, auch ohne Therapeuten das Leben verstehende Sarah schien aber auch keine ausführlichen Kommentare von mir zu erwarten. Außer vielleicht zum Klamotten-am-Samstag-Thema. „Du hast doch dieses hübsche Sommerkleid, das zartgelbe mit den Schwalben...?“, versuchte ich es zaghaft. „Um Himmels willen. Damit sehe ich uralt aus! Außerdem lässt sich das nur über den Kopf ziehen, und dann komplett! Für so ein Date ist Mehrteil-Garderobe Pflicht! Stell‘ Dir mal vor, er plant vielleicht ein romantisches Treffen mit Wolldecke und Rotwein da oben am Waldrand. Und er sieht mich das erste Mal gleich total nackt. Bin doch keine 20 mehr!“ Nicht?

Sucht mich etwa auch noch ein Prinz?

Sarah sprühte ihren Ausnahmezustand förmlich durch mein Ohr in jeden Winkel des Zimmers, immun gegen jeden Gedanken an eine Zeit danach und vor allem an alle Zeit davor. Ihre ganze Welt war rosarot! Und jetzt freute ich mich auf einmal so sehr für sie! Wollte sie am liebsten drücken und halten und mit ihr schaurig laut „Ohne Dich schlaf‘ ich heut‘ Nacht nicht ein“ singen, als plötzlich eine intensive, seemonstergrüne Welle vor meine Brust knallte. An mir zerrte. Mir kurz den Atem nahm. Da war sie. Die Erinnerung. Die Wehmut. Ach, ja. Damals. Diese traumverlorene Schwerelosigkeit, die alles umgab und die die ganze Welt in ein irreales Farbenmeer tauchte. Diese unkontrolliert-naive, sehnsuchtsvolle Kleinmädchenfreude, getragen von bittersüßen Befürchtungen, dass schließlich alles doch noch völlig anders kommen könnte. Samstag war ja noch lange hin.

Verzweifelt versuchte ich mich in mein eigenes, in das echte Leben zurückzuhangeln, machte mir klar, dass es immer so ist und immer gleich endet (hach!), eine Phase. Wir kennen und wir wissen das. Die gerade Nicht-Verliebten lehnen sich zurück, lächeln weise wissend. Und doch... Ist eigentlich der hinreißend schöne Prinz auf dem weißen Pferd jemals vorbeigekommen, um mich auf sein schnaubendes Ross zu heben und in das goldschimmernde, endlose Glück zu entführen? Oder irrt er seit Ewigkeiten tapfer durch schwarze Wälder, über kahle Höhen... und sucht mich gar?

Sarah musste aufhören. Friseurtermin. Ich rappelte mich aus dem schaukelnden Stuhl und schaute in den Spiegel. Wirkte bei mir irgendwie nicht so mit den Vitaminen. Rauchgrau. Und die Haare... Sommerkleider? War nicht sowieso bald wieder Herbst? Eine Textzeile aus einem Weihnachtslied von Rolf Zuckowski, das mich immer unter dem Christbaum aufschluchzen lässt, während mein Kind fremdschämend und möglichst unauffällig den Ort des jährlichen Grauens zu verlassen versucht, kam mir in den Sinn: „War jede Frau nicht auch ein Mädchen irgendwann...?“ Als in diesem Augenblick die erste Träne (möglicherweise aus Gewohnheit) über mein Gesicht rollte, fasste ich einen Entschluss.

Eine Zwischenlösung in Rosarot

Tja, liebe Freundinnen. Was immer Ihr nun anzunehmen geneigt seid. Nein, ich bin NICHT festen Schrittes und getreu dem Motto „Nur ein toter Fisch schwimmt mit dem Strom“ zum Kleiderschrank marschiert, um meine Koffer mit dem Nötigsten zu packen. Ich habe auch keinen Abschiedsbrief mit melancholischen Erklärungsversuchen auf dem Küchentisch hinterlassen und anschließend unserem Reihenmittelhäuschen schwersten Herzens, aber mit dem großartigen Gefühl von Freiheit, Aufbruch und Neuanfang für immer den Rücken gekehrt. Verzeiht ...

Stattdessen unterzog ich, tief bewegt vom schwarzgrauen Bewusstsein über die Endlichkeit allen Daseins, die heimischen Räumlichkeiten einer subjektiven Detailprüfung und fand unter der Treppe nach oben eine etwa drei Quadratmeter, bis dahin eher schimmelgelbe, Übergangslösung.

Mit einem zart wehenden Vorhang, der in den späten Nachmittagsstunden rotgoldene Abendsonne hindurch lässt, schuf ich zunächst an den offenen Seiten eine Trennung zum familiärem Nutzbereich. Ich bemalte die schmale Wand in kräftigem Altrosa und behängte sie mit kitschigen Weisheiten in geschwungenen Buchstaben auf Leinwand. Nach beherzter Kürzung und Farbveredelung in Sonnenaufgangsrot passte auch der alte Tapeziertisch hinein. Davor Omas antiker Küchenstuhl aus dem Keller, ein kleiner Teppich mit Schnörkelblumen in Primelpink, ein bisschen schönes Licht und schließlich ein neuer (eigener, mit geheimem Passwort gesicherter) Laptop.

Und wer mich sucht, könnte mich nun hier finden! In meiner rosaroten, kleinen Mädchenwelt – die mit den ganz großen Träumen, den unerfüllten Wünschen, der ewigen Sehnsucht...

Den Vorhang schiebe ich übrigens ab und zu etwas zur Seite. Damit mich der schöne Prinz eines Tages durch das Küchenfenster vielleicht doch noch entdeckt.

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