Anzeige

"Mein Leben mit dem Krebs ... ist gar nicht so schlecht!"


BRIGITTE.de-Leserin Angelika Rheindorf bekam die Diagnose Krebs - mehr als einmal. Ihren Lebensmut hat sie trotzdem nicht verloren. 

Mein Dialog mit den "dummen" Zellen

Meine vereinfachte Darstellung von Krebs klingt so: Wir sind voller Zellen, die für uns ihre Arbeit tun. Sie teilen sich und be- und verarbeiten, was wir ihnen an Vitaminen und guten Gedanken geben. Wenn sie damit fertig sind, sterben sie ab.

Doch einige haben das nicht verstanden, sie teilen sich immer weiter, fressen nur Zucker und machen Unsinn. Die nennt man Krebszellen. "Du musst mit ihnen reden“, so einer der vielen Ratschläge im Umgang mit ihnen. Das habe ich mal versucht. Profis nennen das, glaube ich, die „Macht der Gedanken“.

Das Gespräch ist jetzt zehn Jahre her. Der Dialog dauerte drei Stunden, bei zwei Flaschen Rotwein auf der Terrasse meiner Freundin. Dazu hatte sie blumenkohlähnliche Gebilde besorgt, die wir feierlich verbrannten. Gegen Mitternacht hatten sich der Krebs und ich unmissverständlich darauf verständigt, dass es kein Wiedersehen zwischen uns geben wird.

Doch nun klopfte er plötzlich und unerwartet wieder an, wenn auch nur als Vorstufe. Klein, rosa, schuppig und fast nicht zu sehen. Mist! Dabei war meine erste Krebsdiagnose schon soooo tief im Verdrängungstunnel verschwunden, dass ich sie beinahe vergessen hatte. Und plötzlich lief der ganze Film noch einmal ab.

Die Diagnose: Blasenkrebs!

Sommer 2003. Ich wusste damals sofort, dass „er“ es ist. Der Hausarzt schickte mich zu all seinen Fachärzten, einer sah Blumenkohl. Dessen Versprechen, dass es sich um gutartiges Gemüse handle, konnte er nicht halten. Der Pathologe gab die Meldung: Blasenkrebs. Es schien nicht schrecklich eilig, aber das Kommando war klar: Blase raus!

Nie in meinem Leben bin ich mehr getorkelt - unter mir tat sich das Universum auf. Die Liste, was ich noch alles hatte machen wollen, wurde lang und länger. Die Liebe zu denen, für die ich noch da sein wollte, größer. Die dummen Zellen in mir schienen vor Schadensfreude zu kichern, die anderen krempelten die Ärmel hoch und riefen: „Na wartet!“ Das hat mir unheimlich gut getan. Nie hatte ich mehr den Wunsch zu leben, als in jenen Tagen.

Meine Krankenhaus-Odyssee

Die erste Kampfansage machte ich dem ersten Oberarzt, der sich an mir versuchte. Wir kamen bei der Wahl einer neuen Blase nicht überein. Ich ließ mir mutig die Papiere geben, nahm meinen Krebs und ging. Der zweite Arzt rannte mir noch auf dem Flur hinterher und drehte sich schlagartig wieder um, als ich ihm auf seine Frage antwortete, dass ich nur Kassenpatientin bin. Wieder nahm ich meinen Krebs und ging. In der dritten Klinik fasste ich halbwegs Vertrauen, hier hatte man sich schon viele Jahre ausgiebig mit meinem Thema und der dazugehörigen Forschung befasst. Meine Knie waren längst an das Schlottern gewöhnt, als ich die Einweisung mit dem Wort "Kock-Pouch“ vorlegte, das ist eine Ersatzblase aus körpereigenem Material. Der junge Arzt in der Aufnahme fragte: „Wollen wir handeln oder erstmal gucken?“

Sie fanden nichts. In den darauffolgenden drei Jahren strapazierte ich in vierteljährlichen Kontrolluntersuchungen das Nervengeflecht von niedergelassenen Ärzten, bis dann einer wieder was entdeckte. Diesmal war es eilig. Und ich wusste, was alles geschehen konnte, wenn ich noch länger wartete. Dann doch lieber ein Leben ohne eigene Blase ...

In Krankenhaus vier faszinierte mich der Professor schon, als er noch über den Gang lief. Seine Worte „Auch wenn es schwer geht, heißt das nicht, dass es nicht geht“, habe ich nie mehr vergessen. Ich ergab mich ihm schon in der ersten Sekunde unserer Bekanntschaft und vertraute ihm mein Leben an. Heute sage ich: „Er hat mich repariert.“

Mein Leben ist bewusster geworden - und dankbarer

Es stimmt, man gewöhnt sich an alles, auch an das. Mein neues Organ ist längst ein Teil von mir. Auch mein neues Leben. Es ist bewusster geworden, dankbarer. Das ist bei dieser Diagnose oft zu hören, aber es zu erleben, ist etwas ganz anderes.

Es ist wie fliegen und nicht mehr wie fallen. Ich habe meinen Vorfahren verziehen, dass ihre Überlieferungen zu meinen Altlasten geworden sind, und habe gelernt, dankbar und demütig zu denken. Ich habe Vorträge gehalten, anderen Mut gemacht.

Ich genieße den Augenblick und habe begriffen, dass man von Geld alles kaufen kann – nur nicht das, was man will. Vieles prallt an mir ab, für das ich „vorher“ an die Decke gegangen wäre. Und dann denke ich: „Reg dich nicht auf - sie verstehen dich nicht, nie Krebs gehabt.“

Und eines glaube ich jetzt zu wissen: Es kommt im Leben nicht darauf an, was du sagst. Entscheidend erscheint mir, was in dir geschieht. Nenn es Seele, Unterbewusstsein oder was auch immer. Ich meine das in dir, was du nicht belügen kannst. Und das, genau das, lenkt deinen Weg.

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel