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Plötzlich war er eine sie "Ich liebe eine trans Frau"

Amanita M. Nomi ist freie Journalistin und Pädagogin. Als Partnerin einer trans Frau setzt sie sich für die Akzeptanz von Menschen ein, die von der Gesellschaft als „anders“ wahrgenommen werden.
Amanita M. Nomi ist freie Journalistin und Pädagogin. Als Partnerin einer trans Frau setzt sie sich für die Akzeptanz von Menschen ein, die von der Gesellschaft als „anders“ wahrgenommen werden.
© CC0 Lizenz / Brigitteonline
Amanita M. Nomi hat sich unsterblich in einen Mann verliebt. Dachte sie. Dann erkannte sie: "Er" ist eine trans Frau.

Es war Liebe auf den ersten Blick

Als ich die Frau meiner Träume zum ersten Mal sah - da dachte ich noch, sie sei ein Mann -, war es Liebe auf den ersten Blick. Sie strahlte eine unglaubliche Liebenswürdigkeit, Ruhe und Geborgenheit aus. Sie hatte wunderschöne Augen und einen weichen Vollbart. Ich fühlte mich, als sei ich angekommen, endlich Zuhause. Alles was ich wollte, war sie zu halten und nie wieder loszulassen. Noch am ersten Abend sagte ich ihr genau das: Ich möchte dich halten bis zum Morgen und danach für alle Zeit. 

Nach allem, was ich bisher in meinem Leben gelernt hatte, ging ich davon aus, einen wahnsinnig attraktiven und liebevollen Mann kennengelernt zu haben. Ich wusste damals noch nicht, dass mindestens ein Prozent aller Frauen anatomisch wie Männer aussehen. 

Wir verliebten uns unsterblich. Doch wir konnten zunächst nicht zusammen sein. Wir lebten weit entfernt und schrieben uns täglich sehnsuchtsvolle Nachrichten. „Manchmal fühle ich mich eher wie eine Frau“, schrieb "er" eines Tages. Ich hörte kurz in mich hinein und fand keinen Grund, warum ich das problematisch finden sollte. Mir kam das sehr schön vor, ganzheitlich. „Du bestehst eben aus allen Farben des Regenbogens“, antwortete ich. 

Ich hatte so viele Fragen

Ich hatte viele Fragen an ihn oder besser: an sie. Meine Geliebte erzählte mir von ihren Empfindungen, ihrer inneren Suche, ihrem Erleben der Welt und dann auch davon, dass sie den Eindruck hatte, dass sie ihre innere Weiblichkeit immer mehr entdecke und sich alles Männliche mehr und mehr als Rolle herausstellte, die sie anderen zuliebe spielte. „Warum trägst du eigentlich einen Bart?“, fragte ich, „und warum Strickpullover aus der Herrenabteilung?“ Sie dachte kurz nach und sagte: „Weil mir die Welt immer suggeriert hat, dass ich das tun sollte.“

Mehr und mehr wurde deutlich, dass ich mich nicht in einen Mann verliebt hatte, sondern in eine trans Frau, also in eine Frau, die, wie man früher sagte, „im Körper eines Mannes“ lebte. Diese Formulierung wird oft gebraucht, dabei ist sie nicht ganz richtig. Eine Frau lebt immer im Körper einer Frau, auch wenn dieser so aussieht, wie wir es sonst meist nur von Männerkörpern kennen. Vielleicht klingt das nach Spitzfindigkeit, wenn ich es so ausdrücke. Aber für das Selbstverständnis und die Selbstakzeptanz von trans Frauen ist es wichtig, dass ihr Körper nicht als Männerkörper bezeichnet wird und dass auch Außenstehende erkennen, dass sie voll und ganz weiblich sind, auch wenn das zunächst eine ungewöhnliche Vorstellung ist.

Identität wird von den Genitalien abgeleitet - ein Fehler

Ich dachte nach und stellte mir vor, wie es ist, wenn man geboren wird. Du bist nackt, gerade erst auf der Welt. Ärzte und Eltern sehen einen Penis und rufen: „Es ist ein Junge!" Sie suchen einen 'Jungennamen' für dich aus und sagen „er“ und „ihn“, wenn sie über dich sprechen. Sie suchen Farben für dich aus, die sie für männlich halten, und kaufen einen Strampler mit Bagger. Sie leiten von den Genitalien das Recht ab, dir zuzuweisen, welcher gesellschaftlichen Gruppe du angehören sollst - ob du später die Jungs- oder die Mädchenumkleidekabine benutzen sollst, ob du eher zu den Jungs- oder den Mädchengeburtstagen eingeladen wirst, und ob es wahrscheinlicher ist, dass der Onkel dich zum Fußballspiel einlädt oder dass die Tante mit dir einen 'Mädelsabend' macht. All das wird von Ärzt:innen und Eltern bestimmt.

Ich recherchierte ein Jahr lang. Die Wissenschaft hat mittlerweile herausgefunden: Etwa 99 Prozent aller Menschen sind vermutlich cis. Das heißt, das Geschlecht, das man ihnen bei der Geburt aufgrund der Genitalien zugewiesen hat, stimmt mit der geschlechtlichen Identität überein. 

Etwa ein Prozent der Menschen sind jedoch trans oder intergeschlechtlich. Trans bedeutet, dass das Geschlecht, welches bei der Geburt aufgrund der Anatomie festgelegt wurde, nicht mit der später festgestellten geschlechtlichen Prägung des Gehirns übereinstimmt. Und intergeschlechtlich bedeutet, dass ein Mensch aufgrund von Genetik, Hormonen oder Anatomie nicht eindeutig als "männlich" oder "weiblich" eingeordnet werden kann. 

Ein Penis bedeutet nicht, dass ein Mensch ein Mann ist

Ein Penis bedeutet also nicht, dass ein Mensch ein Junge und später ein Mann ist. Aber wie kommt das? Die geschlechtliche Prägung des Körpers und die des Gehirns geschehen zeitlich versetzt während der Schwangerschaft. Das bedeutet, dass dein Gehirn (trans)weiblich sein kann und dein Körper dennoch Penis und Hoden ausbildet, die dich später mit männlichen Hormonen versorgen. Dein Gehirn sagt dir deutlich: "Du bist ein Mädchen und Du gehörst zu den Mädchen." Du spürst es ganz klar, genauso wie die meisten cis Menschen spüren, dass sie männlich oder weiblich sind. Nur sagt dir dein Umfeld immer wieder, dass dein Gefühl falsch ist, tausende Male hörst du, wie sie dich "er" und bei deinem "Jungennamen" nennen, und du denkst, es sei deine innere Stimme, die sich irrt. Du hörst auf, auf sie zu hören.

Meine heutige Partnerin und ich lebten fast 40 Jahre lang in Geschlechterrollen und Beziehungen, die uns für andere als hetero und cis aussehen ließen, und selbst wussten wir auch nicht so richtig, dass das so nicht stimmte. Die Bilder, die wir über die Welt kannten, waren so stark, dass sie unsere inneren Gefühle lange überdeckten. 

Die Sache mit dem Namen

Den Namen, den die Eltern meiner Frau bei ihrer Geburt ausgewählt haben, als sie sie für einen Jungen hielten, erwähne ich meist nicht. Für trans Frauen ist es häufig schmerzhaft, an diese Zeit erinnert zu werden, in der sie in der anderen Rolle leben mussten. Nachdem meine Partnerin ihrem Umfeld, Eltern, Freund:innen, Familie und Kolleg:innen offenbarte, dass sie eine Frau ist, gab sie sich den Namen Alice. Alice begann nun auch, ihre Weiblichkeit durch Veränderungen in Kleidung, Haaren und Make-up zu zeigen, sodass ihr Umfeld sie leichter als Frau erkennen konnte und sie auch selbst mehr und mehr in ihrem Körper ankam. 

Ich hoffte es sehr, aber ich war zunächst nicht sicher, ob ich sie weiterhin attraktiv finden würde, während sie sich optisch veränderte.

Denn an Körpern, die wir für männlich halten, wird Weiblichkeit medial mit Unattraktivität, Lächerlichkeit und Klamauk in Verbindung gebracht und nicht mit Erotik und Sinnlichkeit – wie etwa in den Filmen Tootsie, Charleys Tante oder Mrs. Doubtfire. 

Durch Alice lernte ich, meine eigene Weiblichkeit zu lieben

Doch dann entdeckte ich Alices Weiblichkeit mehr und mehr. Die Zartheit ihrer Haut und die Femininität ihres Blicks wurden für mich so deutlich und begehrenswert, dass ich mich wunderte, wieso Fremde sie häufig noch als "er" bezeichneten. Ihre Weiblichkeit wurde für mich einer der wundervollsten Aspekte ihrer Persönlichkeit. Durch sie konnte ich auch meine eigene Weiblichkeit mehr lieben. 

Ich entdeckte eine ganz neue Lust, die ich mit keinem anderen Partner je verspürt hatte. Unsere Körper zu entdecken, ohne die suggestiven Bilder von Mann-Frau-Beziehungen im Hinterkopf zu haben, ließ uns ganz tief in unsere Herzen und Seelen hineinspüren. Während wir zunächst einige Körperstellen ausklammerten, die für sie oder für mich unangenehme Gefühle hervorriefen, eroberten wir uns diese nach und nach zurück.

Für meine Partnerin war es zum Beispiel zunächst sehr unangenehm, daran erinnert zu werden, dass sie einen Penis hatte. Sie trug auch in der Dusche und teilweise im Bett Unterwäsche, zog sich nur im Dunkeln um und hatte beim Schlafen immer ein Kissen zwischen den Beinen. Schritt für Schritt lasen wir uns in Anatomie ein und fanden heraus, wie ähnlich unsere Genitalien sind. Da sowohl ein Penis als auch eine Klitoris mit all ihren Ausläufern Schwellkörper haben, und da Schamlippen und Hodensack aus dem gleichen Gewebe gebildet werden, konnten wir die entsprechenden Körperstellen umdeuten, umbenennen und neu entdecken. Auf diesem Weg lernte ich auch meine eigene Anatomie besser kennen. Wir beide arbeiten daran, unsere Körper voll zu akzeptieren und zu verehren. Das hatte ich so noch nie erlebt.

Unser Geschlecht ist in unserer Seele verankert

An Alice und mir selbst erkannte ich: Unsere Körper bestehen nicht nur aus den typischen Merkmalen für "männliche" und "weibliche" Körper. Auch meine glatten Beine sind dem Rasierer und nicht meiner Weiblichkeit zu verdanken. An Kinn und Oberlippe wachsen mir Haare, wenn ich sie nicht zupfe; ein bisschen verschiebt sich im Laufe der Jahre auch mein Haaransatz nach oben. Unsere Hände sind ungefähr gleich groß und unsere Augen führen uns beide tief in unsere weibliche Seele und zum besonderen Glück unserer Partnerschaft. 

Von unserer Umwelt erfahren wir aber auch viel Ablehnung. Bei öffentlichen Veranstaltungen wissen wir nie, ob nicht eine Gruppe Betrunkener ausfällig oder handgreiflich wird. Im privaten Umfeld bleibt immer die Frage, wer uns ganz akzeptiert und wer wohl insgeheim denkt, wir seien eigentlich ein heterosexuelles Paar, das sich wichtig machen will, oder das in gegenseitiger Abhängigkeit verrückt geworden ist. 

Ihren Vollbart trägt meine Partnerin heute nicht mehr, doch die Ruhe und Geborgenheit, die sie bei unserem ersten Treffen ausstrahlte, vermittelt sie noch immer. Ich liebe ihren Körper und ihre Seele und wünsche mir, mehr Menschen würden erkennen, dass unser wahres Geschlecht in unserer Seele zu finden ist und nicht in unserer Unterwäsche.

Amanita M. Nomi ist freie Journalistin und Pädagogin und setzt sich für die Akzeptanz von Menschen ein, die von der Gesellschaft als „anders“ wahrgenommen werden. Im Internet bietet sie eine Transgender-Beratung an. 

Brigitte

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