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"Ich habe ein Baby – trotzdem helfe ich Menschen in Kriegsgebieten"

"Ich habe ein Baby – trotzdem helfe ich Menschen in Kriegsgebieten"
© privat
Helfen ist ihre Leidenschaft: BRIGITTE.de-Leserin Raphaela (32) arbeitet als junge Mutter in Kriegsgebieten, auch wenn sie das manchmal an ihre Grenzen bringt.

Zwischen Traumata und Trümmern Gutes tun

Menschen in Not helfen! So formulierte ich schon als Kind meinen Berufswunsch. Erfüllen sollte sich dieser, als ich vor vier Jahren die Stelle als Koordinatorin der Notfallpädagogik beim Verein "Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners" antrat. Die Aufgabe lautete, professionelle Teams zusammenzustellen und für Nothilfeeinsätze in Kriegs- und Krisengebieten zu entsenden. 
Als Arbeits- und Organisationspsychologin war ich für meine Rolle als Einsatz-Koordinatorin bestens vorbereitet, doch ich wollte die Einsatzteams auch fachlich gut begleiten. Deshalb hängte ich noch eine Weiterbildung als Traumapädagogik/Traumazentrierte Fachberaterin dran.
Zu meinen Einsatzbereichen gehörten beispielweise die Insel Lesbos, wo täglich Hunderte Menschen in Schlauchbooten strandeten, die Erdbebengebiete in Mexiko und die Flüchtlingslager im Nordirak und in Ostafrika. Überall konnte ich die Angst vor dem Tod, vor Flucht und Vertreibung spüren. Immer waren es vor allem die Kinder, die auf uns zuströmten, hungrig nach Spiel und Freude, um möglichst ein bisschen Normalität zu erleben.
Wenn wir abends nach der pädagogisch-therapeutischen Arbeit in unseren oft einfachen Unterkünften zusammensaßen, gemeinsam auf den Tag zurückblickten und die nächsten Vorbereitungen trafen, stellte sich meist ein Gefühl der Zufriedenheit ein. Wir konnten vor Ort, zwischen Trümmern und Traumata, Gutes tun!

Nach der Geburt meiner Tochter berührten mich die Schicksale noch mehr

Es war nicht immer einfach, nach diesen Einsätzen nach Hause zu kommen. Die Eindrücke aus den Krisengebieten und die vielen Geschichten der notleidenden Menschen waren oft erdrückend. Meine Teams und vor allem mein Mann, meine Familie und Freunde waren dann für mich da.
Nachdem vor einem halben Jahr meine Tochter auf die Welt kam, spürte ich jedoch, dass die Eindrücke der Einsätze bedrückender auf mich wirkten als noch vor meiner Schwangerschaft. Frauen, die ihre Babys auf der Flucht zur Welt bringen, Kinder, die schon in frühen Lebensjahren hungern müssen, Familien, die durch Flucht und Vertreibung zerrissen wurden – Bilder, die kaum zu vereinbaren sind mit dem Leben, das ich mir für meine Tochter wünsche. Und obwohl mir dann Tränen aufsteigen, weiß ich, dass ich diesen Beruf weiterhin ausüben werde. Selbst Mama geworden zu sein, motiviert mich umso mehr, nicht nur meinem Kind ein gutes Leben zu ermöglichen, sondern auch für Kinder in Not da zu sein.
Schon in der Schwangerschaft lernte ich, dass meine Einsatzbereitschaft als werdende Mutter an ihre Grenzen stößt. Eine Fortbildungsreise nach Südamerika musste ich absagen, zu groß war das Risiko einer Zika-Infektion mit Schäden für mein ungeborenes Kind. Dafür konnte ich, im sechsten Monat schwanger, einen Workshop für ein Einsatzteam in Madrid geben.
Als Mutter werde ich nicht mehr kompromisslos Nothilfe in Krisengebieten leisten können.
Es ist mir wichtig, für mein Kind da zu sein, wenn es mich braucht. Gleichzeitig lebt mein Berufswunsch ebenso stark in mir wie früher und ich weiß, dass ich mich als Frau und Mutter der Herausforderung stellen will, diese beiden Aufgaben in meinem Leben zu vereinbaren.
Die Autorin: Raphaela Logemann arbeitet in der Notfallpädagogik der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners. Sie koordiniert und leitet Einsätze in Kriegs- und Katastrophengebieten.Die Notfallpädagogik wendet sich an psycho-traumatisierte Kinder und Jugendliche und unterstützt sie in der Verarbeitung der traumatischen Erlebnisse (https://freunde-waldorf.de/notfallpaedagogik/).

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